«Dorothea war ein zuversichtlicher Mensch – wie ich auch»

Sachseln OW, 21.10.17 (kath.ch) Dorothea von Flüe sei für die damalige Zeit eine sehr fortschrittliche Frau gewesen, sagt die bekannte Jodlerin Nadja Räss im Gespräch mit kath.ch. Am Sonntag tritt sie als Dorothea in der Uraufführung der Kantate «Dorothea» in der Wallfahrtskirche von Sachseln auf. Den jungen Obwaldner Komponisten Joël von Moos kennt sie von einem Jodelchor.

Regula Pfeifer

Wie sind Sie zum Engagement als Dorothea von Flüe gekommen?

Nadja Räss: Der Komponist Joël von Moos singt in einem Chor mit, den ich coache. Das ist der Jugendchor jutz.ch, in dem junge Leute miteinander jodeln. Irgendwann im Verlauf eines Probeweekends erzählte er mir von seinem Projekt und fragte dann schüchtern, ob ich Dorothea singen würde.

Der Komponist Joël von Moos singt in einem Chor mit, den ich coache.

Da ich ihn kannte, dachte ich: wieso nicht. Ich fand: So einen jungen Typen mit tollen Ideen unterstütze ich. Ich sagte, er solle mal etwas liefern, damit ich mir das vorstellen könne. Als ich mir die Komposition anschaute, wurde mir schnell klar, dass ich mitmachen wollte.

Sie haben sich sicher mit Dorothea auseinandergesetzt: Was verbindet Sie mit dieser Frau?

Räss: Ich habe Verschiedenes gelesen – auch ein tolles Buch über die Beziehung zwischen Dorothea und Niklaus von Flüe.  Was ich dabei herausspürte: Dorothea war eine bodenständige Frau. Sie hatte kein einfaches Leben wegen diesem Mann, der seinen eigenen Weg ging und sie mit den zehn Kindern alleine liess. Aber sie blieb immer zuversichtlich und bodenständig.

In der heutigen Zeit läuft im Leben oft auch viel nebeneinander und es rüttelt manchmal. Das ist in meinem Leben ähnlich wie in anderen auch. Und dennoch weiss ich immer: Es kommt gut. Ich bin ein positiver Mensch. So sehe ich mich verbunden mit Dorothea.

Was trennt Sie allenfalls von ihr?

Räss: Ich weiss nicht, wie ich an ihrer Stelle auf den Weggang des Mannes reagiert hätte. Aber ich habe auch keine Beziehung zu einem Mann, mit dem ich zehn Kinder hätte, kann das also nicht beurteilen.

Ich weiss nicht, wie ich an ihrer Stelle auf den Weggang des Mannes reagiert hätte.

Passt die Figur in die heutige Zeit?

Räss: Ich glaube: Ja. Dorothea war für ihre damalige Zeit eine fortschrittliche Frau. Wie ich aus all den Dokumenten verstanden habe, die ich gelesen habe, haben Niklaus und Dorothea eine sehr gleichberechtigte Partnerschaft geführt. Das wirkt zwar gegen aussen nicht so, da er die Familie verlassen hatte. Dennoch haben die beiden viel miteinander geredet und geklärt, es fand ein Dialog statt. Insofern passt sie sehr in die heutige Zeit.

Niklaus und Dorothea haben eine sehr gleichberechtigte Partnerschaft geführt.

Haben Sie sich bereits früher mit Bruder Klaus und seiner Frau beschäftigt?

Räss: Jein. Wer in Einsiedeln zur Schule geht, macht als Drittklässler nach der ersten Heiligen Kommunion, also nach dem Weissen Sonntag, eine Wallfahrt nach Flüeli-Ranft und bereitet sich im Religionsunterricht auf das Thema vor. Das war bei mir auch so, aber ich erlebte dabei etwas Besonderes. Damals war ein Schulkollege verliebt in mich und wollte mich in der Bruder-Klaus-Kapelle heiraten mit einem Ring, den er von seiner Grossmutter geklaut hatte (lacht). Mit Niklaus und Dorothea von Flüe verbindet mich also eine persönliche Erinnerung.

Im Flüeli-Ranft wollte mich ein Schulkollege heiraten.

Bei der aktuellen Vorbereitung zur Kantate habe ich mich natürlich vermehrt mit dem Thema auseinandergesetzt. Diesen Frühling ging ich zu Fuss von Einsiedeln nach Flüeli-Ranft. Einfach um das Feeling des damaligen Reisens zu verspüren. Früher war man ja zu Fuss oder mit Ross und Wagen unterwegs. Das nahm ich als gute Erfahrung wahr. Es brachte Ruhe in mein Leben und war Teil der Vorbereitung zu dieser Kantate.

Werden Sie im Stück jodeln?

Räss: Ja. In der Kantate treffen verschiedene musikalische Ausdrucksformen aufeinander. Ich gebe einerseits Dorothea meine Stimme und erzähle in Worten ihre Zweifel, ihre Nöte, ihre Ängste, aber auch ihre Zuversicht. Dazwischen gibt es immer auch Jodel, den ich singe. Für mich bedeutet das: Was man nicht in Worte fassen kann, kann ich übers Jodeln ausdrücken.

Wie würden Sie die Kantate von Joël von Moos charakterisieren? Was ist das für Musik?

Räss: Als ich die Musik erstmals in den Fingern hatte, dachte ich: Das ist ja gar nicht wahnsinnig kompliziert. Zeitgenössische Musik wirkt ja oft sehr konstruiert und kompliziert, weil die Komponisten auf spezielle Klänge ausweichen, das sie ja das Rad der Musik nicht neu erfinden können. Das ist bei dieser Kantate überhaupt nicht so. Da hat jeder Ton seinen Platz. Joël von Moos geht keinen Weg zu weit, sondern findet mit seiner Musik den Weg direkt ins Herz.

Joël von Moos findet mit seiner Musik den Weg direkt ins Herz.

Ins Herz?

Räss: Ja. Das merkte ich besonders bei den Proben mit dem Orchester. Joël von Moos hat es geschafft, etwas zu komponieren, das zwischen allen Noten steht und sehr berührend ist, was mir die Orchestermusiker bestätigten. Beim Singen werde ich mitgenommen auf eine Reise in jene Zeit.

Zeitgenössische Musik wird oft als schwierig angesehen…

Räss: Das ist diese Musik nicht. Sie ist verständlich. Joël von Moos hat schöne, gehörfällige, berührende Musik geschrieben.

Link zu SRF-Videoporträt über Nadja Räss, Sendung Potzmusig, 12.02.2015

Dorothee von Flüe erscheint kurz vor Bruder-Klaus-Ansturm

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/dorothea-war-ein-zuversichtlicher-mensch-wie-ich-auch/