Vor 30 Jahren belebte der Europarat den Jakobsweg neu

Santiago de Compostela/Strassburg, 14.10.17 (kath.ch) «Ich bin dann mal weg.» Der Satz kommt einem heute fast wie von selbst über die Lippen, wenn das Thema auf den Jakobsweg kommt. Ja, manch einer hält sogar den Bestseller von Hape Kerkeling aus dem Jahr 2006 für den Auslöser des neuen Booms auf den mittelalterlichen Pilgerstrassen nach Santiago de Compostela. Dabei war der Zug damals schon in ziemlich voller Fahrt.

Alexander Brüggemann

Den Anstoss gaben 1982 Papst Johannes Paul II. und, vor genau 30 Jahren, der Europarat in Strassburg. Am 23. Oktober 1987 erklärte er den Jakobsweg zum ersten europäischen Kulturweg und rief zur Wiederbelebung dieser «europäischen Kulturbewegung» auf. Seitdem sind von Jahr zu Jahr mehr Wallfahrer und Wanderer den «Camino» gegangen.

Ein Wegnetz, auch durch die Schweiz

In eine fast verebbte Tradition kam so allmählich neues Leben. Seit der Überlieferung nach der Einsiedlermönch Pelagius, wohl im Juli 813, auf dem «Sternenfeld» (Compostela) im damaligen Bistum Iria Flavia die Gebeine des Apostels Jakobus entdeckte, war Sankt Jakob (spanisch Santiago) Anziehungsort für Pilger vom gesamten Kontinent. Der Jakobsweg, das ist ein Netz von Strassen und Wegen, die seit dem Mittelalter Pilger vom Baltikum über Polen, Deutschland, die Schweiz und schliesslich Frankreich zum angeblichen Apostelgrab in Nordspanien führten.

Die Urkunde bekommt bei weitem nicht jeder.

Die offizielle Pilgerurkunde bekommt bei weitem nicht jeder der Millionen Santiago-Touristen jährlich ausgehändigt, die per PKW, Bus, Bahn oder Flugzeug anreisen. Man muss dazu mindestens die letzten 100 Kilometer bis Santiago gewandert oder geritten sein oder die letzten 200 Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt haben. – Ob das E-Bike als recht neuer Freizeittrend ebenfalls gleichberechtigt gilt, harrt noch einer Entscheidung.

2017 erhielten bereits rund 280’000 Pilger die Urkunde. Das ist wieder ‘mal ein neuer Rekord, der die bisherige Bestmarke aus dem Heiligen Jakobsjahr 2010 (272’412) hinter sich liess. Ein Riesenandrang auf die Helfer im Pilgerbüro der Apostelstadt. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 1981 kamen überhaupt nur 299 Pilger an, so wenige wie heute im August binnen einiger Stunden. 1984 waren es immerhin schon 423.

Weckruf von Papst Johannes Paul II.

Dazwischen lag der flammende Appell des polnischen Papstes Johannes Paul II., der am 9. November 1982 aus Santiago de Compostela einen Weckruf sandte: «Noch immer kannst du Leuchtturm der Zivilisation und Anreiz zum Fortschritt für die Welt sein. Die anderen Kontinente blicken auf dich – und hoffen, von dir die Antwort des heiligen Jakobus zu hören, die er einst Christus gab: ‘Ich kann es!’»

Von da an entstand ein neues Bewusstsein für die europäische Dimension des Jakobspilgerns. Und der Europarat griff die Idee auf. Seit den 1990er-Jahren schoss die Zahl der Pilgerer in die Höhe. Nicht alle freilich waren religiös unterwegs; manche sportlich, manche kulturell; manche aber auch auf der Suche nach sich selbst.

Nicht alle waren religiös unterwegs.

Die Zahlen von heute bringen manche Auswüchse der Kommerzialisierung mit sich: Pauschaltourismus, organisierte Rucksacktransporte, sogar Gepäckverbot in der Kathedrale von Santiago, immerhin das ganz grosse Ziel eines jeden Pilgers. Das ruft inzwischen auch Kritiker auf den Plan: Der Jakobsweg werde konsumiert, samt der Landschaft und der Leute am Wegrand.

Die «harten» Pilger weichen aus

Aber Not – wenn das schon Not ist – macht auch erfinderisch: Die «harten» Pilger weichen auf Nebenstrecken und auf Wanderschaft ausserhalb der Saison aus. Und es entstehen immer neue Projekte, die dem Muster der Jakobswege folgen, oder es variieren: sich auf dem Weg einer guten, interessanten oder spannenden Sache herausfordern zu lassen.

So gibt es seit einigen Jahren etwa die europäischen Martinswege auf den Spuren des heiligen Martin. Dort soll es weniger ums Ankommen gehe und mehr um das Gemeinsame auf dem Weg gehen: Erfahrungen zu teilen, wie einst der heilige Martin seinen Mantel mit dem Bettler teilte. In Deutschland ist zuletzt ein sogenannter Hildegardweg entstanden auf den Spuren der Kirchenlehrerin Hildegard von Bingen.

«Vorwärts, immer weiter!»

Den Takt gibt aber, zumindest was die Zahlen angeht, weiter der Jakobsweg an. «Ultreia!», so lautet dort seit altersher der Pilgergruss: «Vorwärts, immer weiter!» – «Ultreia» also zu neuen Pilgerrekorden. Spätestens in den nächsten «Heiligen Jahren», wenn der 25. Juli, das Jakobusfest, wieder auf einen Sonntag fällt. Die nächsten Termine dafür sind 2021, 2027 und 2032. (kna)


«Viele pilgern über Santiago hinaus bis ans Meer»

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