Frauen suchen nach Strategien gegen den Anti-Genderismus

Bern, 26.3.17 (kath.ch) Die «NGO-Koordination post Beijing Schweiz» hat sich am Samstag im reformierten Kirchgemeindehaus Frieden in Bern zur Jahrestagung unter dem Motto «Verweigerung von Frauenrechten aufgrund sogenannt christlicher Werte» getroffen. Der Hauptbefund: Progressiven Frauen weht aktuell ein rauer Wind entgegen. Auch von Papst Franziskus könne man keine Hilfe erwarten, stellte die feministische Theologin Doris Strahm vor rund 100 Frauen aus der ganzen Schweiz fest.

Vera Rüttimann

Für das Input-Referat konnte die Organisatoren der Tagung Doris Strahm gewinnen. Die Theologin ist in der feministischen Szene ein viel beschriebenes Blatt: Doris Strahm ist vielen bekannt als wissenschaftliche Mitarbeiterin, Dozentin und Referentin an verschiedenen Universitäten. Sie ist zudem Mitgründerin der feministisch-theologischen Zeitschrift Fama und Mitinitiantin des Interreligiösen Think-Thanks.

Die Theologin machte zu Beginn ihres Referates vor rund hundert Frauen aus unterschiedlichen Frauenorganisationen aus der ganzen Schweiz klar, dass nicht erst seit der Wahl Donald Trumps zum US-amerikanischen Präsidenten Frauen ein rauer Wind entgegen wehe. «Seit der vierten UNO-Weltfrauenkonferenz in Beijing 1995, an der bekräftigt wurde, dass Frauenrechte Menschenrechte sind, bekämpfen fundamentalistische christliche Kreise sowie der Vatikan die reproduktiven Rechte der Frauen und ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung», so Strahm. Leider sei die römisch-katholische Kirche dabei federführend und habe mit dem Begriff eine regelrechte Gegenstrategie aufgebaut, um gegen die sexuellen und reproduktiven Rechte von Frauen vorzugehen.

Christlich-fundamentalistische Kreise mobilisieren gegen Gender

Im Jahr 2000, so Doris Strahm, habe der Päpstliche Rat für die Familie erstmals von «Gender-Ideologie» gesprochen. Diese «Ideologie» sei dem Vatikan ein Dorn im Auge, stelle sie doch für ihn die natürlichen Unterschiede von Mann und Frau in Frage und höhle die Fundamente der Familie aus. Wer der Gender-Ideologie anhänge, betreibe die Auflösung christlicher Werte, so das Weltbild konservativer Kleriker. «Mit aller Kraft wird versucht, das traditionelle Modell von Ehe und Familie als gottgewollte Ordnung und ‘natürliches’ Fundament der Gesellschaft zu verteidigen», führte die Theologin aus.

Leider mobilisierten auch in der Schweiz christlich-fundamentalistische und evangelikale Kreise gegen Gender. Strahm führte als Beispiel den Churer Bischof Vitus Huonder und sein Wort zum Tag der Menschenrechte mit dem Titel: «Gender – Die tiefe Unwahrheit einer Theorie» aus dem Jahr 2013 auf.

Die Hauptreferentin der Tagung führte zudem kenntnisreich aus, wie durch eine rechtskonservative Entwicklung in Politik und Gesellschaft in jüngster Zeit verstärkt eine gefährliche Allianz von christlich-konservativen, fundamentalistischen und rechtspopulistischen bis rechtsradikalen Kräften unter dem Label «Anti-Genderismus» entstanden sei, «um Frauenrechte einzuschränken und eine konservative Geschlechterordnung und sogenannte christliche Werte politisch durchzusetzen».

Keine Hilfe von Papst Franziskus

Eine Tagungsteilnehmerin stellte eine brisante Frage in den Raum, die viele Frauen beschäftigt und auch eine gewisse Ratlosigkeit zurück liess: Wie konnte es gelingen, dass der Begriff «Gender» so instrumentalisiert werden konnte? Doris Strahm gab zu bedenken, dass der Begriff «Gender-Ideologie» vielen bis vor wenigen Jahren nicht bekannt war. «Wenn ich in meinen Theologinnen-Kreisen darüber sprach, staunten viele über den Umstand, dass es eine Anti-Genderismus-Bewegung gibt und wie erfolgreich sie ist.»

Leider könnten progressive Frauen, so Doris Strahm, auch nicht auf Papst Franziskus bauen, der in seinem Lehrschreiben «Amoris Laetitia» aus dem Jahr 2016 «Gender» als Ideologie bezeichne, die die anthropologische Grundlage der Familie aushöhle.

Selber Themen setzen

In der von der Journalistin Helen Issler moderierten Tagung sprachen die Referentinnen anschliessend darüber, welches ihr persönlicher Bezug zum Tagungsthema ist und welche Strategien sie gegen den Anti-Genderismus sehen. Alle waren sich einig, dass in den letzten Jahren überall auf der Welt christliche Frauen die Initiative ergriffen haben, um ihre Rechte einzufordern, diese Bewegung jedoch in Zeiten Trumps noch breiter und stärker werden müsse. Fabienne Amlinger, wissenschaftliche Mitarbeiterin des «Interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung» an der Universität Bern, trieb diese Frage um: «Wie schaffen wir es, dass wir die Diskursmacht über den Begriff ‘Gender’ haben, dass wir diese Werte definieren können, dass uns die Gegner diesen Begriff nicht immer wieder im Mund umdrehen können?» Es gelte mit gezielten Informationen Gegenstrategien zu entwickeln gegen einen «dominanten patriarchalen Diskurs».

Martine Matthey, pensionierte Pfarrerin und immer noch aktive Feministin aus Anzère VS, plädierte dafür, alles zu tun, dass das Thema Frauenrechte in den einschlägigen grossen Medien verstärkt präsent sei. In diesem Zusammenhang kam die Idee auf, einen eigenen TV-Kanal zu lancieren, der Frauenrecht zum Thema machen könnte, um so selber Themen zu setzen. Susanne Rohner von der Organisation «Sexuelle Gesundheit Schweiz» plädierte dafür, dass auch in der Deutschschweiz professionelle Sexualaufklärung vermittelt werden soll. «Die Romandie ist diesbezüglich weiter», sagte sie.

Mehr Feministinnen braucht die Welt

Doris Strahm machte am Schluss der Tagung deutlich, dass die Allianzen zwischen katholischen Aktivistinnen, evangelikalen und christlich-fundamentalistischen Kreisen sowie rechtspopulistischen Gruppierungen und Parteien stets stärker werde. Die Theologin rief die Vertreterinnen von unterschiedlichen Frauengruppen deshalb dazu auf, nun verstärkt eine «Politik der Gemeinsamkeit» anzustreben, die sich an gemeinsamen Zielen ausrichten und damit versuchen soll, «einen wirksamen gesellschaftlichen Gegendiskurs aufzubauen». Unisono waren alle Frauen an der Tagung der Meinung: Mehr Feministinnen braucht die Welt.

Die «NGO-Koordination post Beijing Schweiz» entstand im Nachgang zur vierten UNO-Weltfrauenkonferenz von Beijing von 1995. Sie positioniert sich als Interessenvertretung und Kompetenzzentrum für Frauenmenschenrechte, heisst auf der Webseite der Organisation. Zahlreiche Frauenorganisationen haben sich der «NGO-Koordination post Beijing Schweiz» angeschlossen, darunter der Schweizerische Katholische Frauenbund und die Evangelischen Frauen Schweiz.


«Gegner nutzen das Wort Gender wie einen Korb für alles Gefährliche»

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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