Mutige Frauen bewirkten Grossaufmarsch in Luzerner Festsaal

Luzern, 20.3.17 (kath.ch) Mutige Frauen standen im Zentrum der diesjährigen Preisverleihung der Herbert Haag-Stiftung im Hotel Schweizerhof: Die renommierte Auszeichnung ging an die Pastoraltheologin Jadranka Rebeka Anić (Kroatien), die Bibelwissenschaftlerin Mercedes Navarro Puerto (Spanien), die Basler Initiantinnen und Initianten der kirchlichen Gleichstellungsinitiative sowie an die Pilger-Initiative «Für eine Kirche mit* den Frauen». Gegen 400 Personen nahmen an der Preisverleihung teil.

Vera Rüttimann und Sylvia Stam

Eine halbe Stunde vor Beginn der Preisverleihung wurde es im Hotel Schweizerhof unruhig. Plötzlich zog ein Menschenstrom mit Rucksäcken und Wanderstöcken in das 5-Sterne-Deluxe-Hotel am Vierwaldstättersee ein. Es waren gegen 100 Sympathisantinnen und Sympathisanten der Pilger-Initiative «Für eine Kirche mit* den Frauen», die an diesem Tag von Eschenbach nach Luzern gepilgert waren, um an der Preisverleihung der Herbert Haag-Stiftung teilzunehmen. Die insgesamt gegen 400 Personen fanden nicht alle einen Sitzplatz im Barocksaal.

Erwin Koller, Präsident der Herbert Haag-Stiftung, erinnerte die Anwesenden in seiner Begrüssung an das diesjährige Reformationsjubiläum. Es ist kein Zufall, dass es einzig den Kirchen der Reformation gelungen sei, den Frauen im vollen Sinn die gleichen Rechte anzuerkennen wie den Männern. Frauen wie Jadranka Rebeka Anić und Mercedes Navarro Puerto hätten durch ihre Auseinandersetzungen mit Genderfragen nicht weniger die Basis gelegt für eine Pilger-Initiative «Für eine Kirche mit* den Frauen».

Märtyrerinnen

Angela Berlis, Professorin für Altkatholizismus und Kirchengeschichte an der Universität Bern, übernahm stellvertretend für die erkrankte Irmtraud Fischer, Professorin am Institut für Alttestamentliche Bibelwissenschaft an der Universität Graz, die Laudatio und die Preisübergabe an Mercedes Navarro Puerto und Jadranka Rebeka Anić. Weil beide Frauen mit ihrer Haltung und ihrem Tun von der gängigen kirchlichen Lehre abwichen, wurde den beiden Wissenschaftlerinnen und Ordensfrauen die Lehrerlaubnis an theologischen Ausbildungsstätten entzogen. Anić arbeitet heute an einem staatlichen Institut für sozial-wissenschaftliche Forschung, Navarro Puerto ist Autorin vieler feministischer Publikationen. Beide, erfuhren die Zuhörer im Saal, sind Mitglieder der Europäischen Gesellschaft für Theologische Forschung von Frauen, der grössten wissenschaftlichen Theologinnen-Vereinigung Europas.

Für Fischer sind beide Frauen Märtyrerinnen, «Zeuginnen für das freie Wort in der Kirche und für ihre eigene Glaubensüberzeugung, dass Frauen keine Christen zweiter Klasse sind». Bewundernd nahmen die Zuhörer im Saal wahr, wie sehr sich die beiden Preisträgerinnen weiter in vielen Projekten in Sachen Frauen- und Geschlechterfrage engagieren. Anić etwa arbeitet derzeit an der Gründung einer Bibliothek für feministische Theologie.

Navarro Puerto bedankte sich in lebhaftem Spanisch für die Anerkennung und erinnerte daran, wie sehr dieser Preis ein Fest der Freiheit sei. Sie fühle sich als feministische Ordensfrau und Theologin in ihrem Denken bestärkt und wies darauf hin, dass es viele feministische Ordensfrauen gebe.

 Gender – Ein schwieriger Begriff

Den eigentlichen Festvortrag hielt Jadranka Rebeka Anić in deutscher Sprache. Vor der Frage «Gender- Wo liegt das Problem?» ging sie auf die Komplexität der Debatte über Gender–Konzepte sowie auf die Problematik der aktuellen Gender-Bewegung ein.

Der Begriff Gender sei unklar definiert und werde von vielen bewusst falsch gedeutet. Die Anti-Gender-Bewegung hat für Anić eine starke politische Dimension. Besonders sticht für die Theologin die bedenkliche Verbindung von Anti-Genderismus und Rechtskonservatismus ins Auge. So werde etwa in Ungarn die Anti-Gender-Kampagne gegen Migrantinnen und Migranten mit Antisemitismus gepaart und behauptet, Schöpfer der Gender-Ideologien seien zionistische Oligarchien, die die Homosexualität legitimieren wollten. Da letztere einen Rückgang der Geburtenrate bewirke, müsse Einwanderung akzeptiert werden, das sei das Ziel der Oligarchie.

«Solches Gedankengut findet Eingang in kirchliche Dokumente. Theologinnen, die solche Zusammenhänge in Frage stellen, droht der Verlust des Arbeitsplatzes», so Anić, die daraus folgert: «Indem Gender das Identitätszentrum an sich berührt, stellt es sich als gefährliches Konzept dar, weil es viele Ideologien in Frage stellt, auf denen die gesellschaftliche und kirchliche Ordnung beruht. Das ruft Ängste und Unsicherheiten hervor, was Anti-Gender-Aktivistinnen und Aktivisten und rechte Parteien für ihre Zwecke zu nutzen wissen.»

 Laudatio und Basler Schnitzelbänke

Sabine Demel, Stiftungsrätin der Herbert Haag-Stiftung und Professorin für Kirchenrecht an der Universität Regensburg, hielt die Laudatio für die Initiantinnen und Initianten der Gleichstellungsinitiative. Deren Engagement hat bewirkt, dass 2014 durch eine Volksabstimmung folgender Satz in die staatskirchenrechtlichen Verfassungen beider Basel eingefügt wurde: «Die Kantonalkirchen Basel-Stadt und Basel-Landschaft sollten den kirchlichen Organen unterbreiten, dass die gleichberechtige Zulassung zum Priesteramt, unabhängig von Zivilstand und Geschlecht, ermöglicht wird.»

Demel dankte den Initiantinnen und Initianten für ihren Mut, «neue und originelle Wege in der Diskussion um die Frauenordination gebahnt zu haben». Die Kirchenrechtlerin legte im Folgenden humorvoll und anschaulich dar, wie die Güterabwägung zwischen dem Recht auf Gleichstellung und dem Recht auf Religionsfreiheit konkret aussehen könnte. Obschon letzteres aus ihrer Sicht stärker gewichtet würde, verwies sie auf die Langzeitwirkung solcher Initiativen. «Denn irgendwann schafft es auch die Kirchenleitung nicht mehr, ständig wegzuhören, sich erfolgreich wegzuducken und so die inhaltliche Autorität unserer Argumente durch die formale Autorität ihrer Macht auszuhebeln», endete ihre Laudatio.

Im Anschluss an die Laudatio betraten fünf fasnächtlich gekleidete Initiantinnen und Initianten der Basler Gleichstellungsiniative die Bühne und gaben zum Thema «Kirchliche Gleichstellung» originelle Schnitzelbänke zum Besten.

Ganzer Saal singt das Pilgerlied

Der St. Galler Theologe und Schriftsteller Ivo Ledergerber nahm in der vierten Laudation in lyrischer Form humorvoll und zugleich nachdenklich die Pilger-Initiative «Für eine Kirche mit* den Frauen» auf. Das Kernteam betrat die Bühne teils in Wanderschuhen und mit Rucksäcken. Neun von ihnen waren im Frühling 2016 1200 Kilometer von St. Gallen nach Rom gewandert, um dort einen Brief an Papst Franziskus abzugeben. Darin schreiben sie von ihrem Wunsch, dass «Männer in Zukunft nicht mehr ohne Frauen über die Belange der Kirche entscheiden sollen.»

In ihrem Dankeswort sagte Pilger-Initiantin Hildegard Aepli: «Wir freuen uns über die Anerkennung, die uns Verbündete schafft und unser Anliegen stärkt.» Sie wie auf Fortsetzungen des Projekts hin – die Erscheinung des Dokumentarfilms «Habemus feminas» im Sommer, die Gestaltung des 2. Mai, dem Pilgerstart, als Pilgertag in einigen St. Galler Pfarreien – und  schloss mit den Worten eines Pilgerlieds, das die Gruppe auf dem ganzen Weg von St. Gallen nach Rom begleitet hatte: «Wir laden Sie ein, in das Vertrauen, von dem unser Pilgerlied spricht, einzustimmen». Der ganze Saal stimmte daraufhin in den Gesang ein. Spätestens hier wurde deutlich, wie viele der Anwesenden das Projekt in irgendeiner Form mitgetragen hatten.

Sämtliche Redetexte finden Sie hier.

«Gegner nutzen das Wort Gender wie einen Korb für alles Gefährliche»


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