«Die eigene Religiosität bleibt für Flüchtlinge eine Ressource»

Muttenz BL, 23.2.17 (kath.ch) Roland Luzi ist Seelsorger für Asylsuchende im Bundesasylzentrum Feldreben in Muttenz. Im Interview mit kath.ch erklärt der reformierte Theologe, wie wichtig Religion für Flüchtlinge ist und dass er bisweilen auch den Rosenkranz mit ihnen betet.

Sylvia Stam

Sie sind vom ökumenischen Seelsorgedienst beider Basel (Oesa) angestellt. Ist dieser kirchliche Hintergrund für die Asylsuchenden Thema?

Roland Luzi: Die Asylsuchenden fragen, woher ich komme. Ich mache meinen kirchlichen Hintergrund transparent, sage aber, dass ich für alle Religionen offen bin. Bisher hat noch niemand wegen meinem Auftraggeber ein Gespräch ausgeschlagen.

Werden denn auch religiöse Themen angesprochen?

Luzi: Ja, das kommt vor. Die eigene Religiosität ist oft eine Ressource, die bleibt. Das ist im Herzen verankert. Einige, darunter auch Muslime, bitten mich, mit ihnen zu beten oder sie zu segnen, eine Kerze anzuzünden. Ich habe auch Objekte katholischer Frömmigkeit wie Marienbilder, Rosenkränze oder Lourdeswasser dabei. Sie befinden sich einem Korb, sind also sichtbar. Ich habe diese Gegenstände aus dem Kloster Mariastein.

Sie können als reformierter Theologe den Rosenkranz beten?

Luzi: Auf jeden Fall. Wir sind ein ökumenischer Seelsorgedienst. Ich bin also auch von der katholischen Kirche angestellt und muss diese Offenheit haben.

Haben Sie auch Bibeln dabei?

Luzi: Ich habe Bibeln bei mir, die ich aber nur verteile, wenn ich merke, dass dies dem Gegenüber ein Bedürfnis ist. Viele Flüchtlinge leben sehr stark in ihrem Glauben, die religiöse Quelle ist näher als bei vielen Menschen in der Schweiz.

Viele Flüchtlinge haben Haarsträubendes erlebt. Wie gehen Sie mit diesen Geschichten um?

Luzi: Ich zünde immer eine Kerze an, wenn ich ins Seelsorgezimmer komme. Ich sammle mich einen Moment, indem ich das Jesuswort sage: «Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.» Auch zum Abschluss mache ein kurzes Ritual für mich persönlich. Wenn es ganz schlimm ist, gehe ich zum Dorfbach hinunter und übergebe das Gehörte dem Wasser. Dieses fliesst in den Rhein, nach Holland und dann ins Meer – das ergibt einen Kreislauf. Damit versuche ich mich zu entlasten.

In welcher Sprache sprechen Sie mit den Asylsuchenden?

Luzi: Ich kann Französisch, Englisch und Italienisch. Wenn ich damit nicht weiterkomme, kann ich einen der freiwilligen Dolmetscher kontaktieren, die auf unserer Liste stehen. Oder ich habe Vertrauen in einen Asylsuchenden, den ich schon kenne und von dem ich weiss, dass er genau übersetzt.

Im Café «Mama Muttenz», das Sie initiiert haben, jassen die Leute, einige malen. Gibt es weitere Aktivitäten?

Luzi: Sie spielen zum Beispiel Domino. Das klingt für uns nach «einfach spielen», aber für diese Menschen ist es wichtig, sich nur schon auf so ein Spiel konzentrieren zu können. Manchmal wird getanzt. Es geht hier darum, dass sie einen Moment die schwierigen Fluchterlebnisse hinter sich lassen können. Viele verhalten sich im Café «Mama Muttenz» anders als im Bundesasylzentrum Feldreben (Baz). Dort erlebe ich sie passiv, lethargisch, emotional verloren. Hier blühen sie auf. Sie geben sich offener, vertrauensvoller, gelöster.

Sind weitere Angebote geplant?

Luzi: Geplant ist ein Projekt, wo mit den Flüchtlingen zusammen musiziert wird. Auch eine Kleiderausgabe soll eingerichtet werden. Das gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Die Flüchtlinge haben alles Persönliche zurückgelassen, um kein überflüssiges Kilo bei sich zu tragen. Uns ist es auch wichtig, dass die Menschen sich gut kleiden können. Das Café lebt aber letztlich vor allem von der direkten Begegnung zwischen den Menschen.

Wer genau ist Ihr Arbeitgeber?

Luzi: Ich bin vom ökumenischen Seelsorgedienst für Asylsuchende beider Basel angestellt. Der Dienst wird seit zwanzig Jahren in Vereinsform von den Landeskirchen beider Basel und Aargau sowie von der methodistischen Kirche getragen. Ich bin insgesamt zu 45 Prozent angestellt, 15 davon in Muttenz. Die übrigen 30 Prozent arbeite ich im Empfangs- und Verfahrenszentrum Basel.

Sie sind ausserdem vom eindgenössischen Staatssekretariat für Migration (SEM) akkreditiert. Was heisst das?

Luzi: Man kann nicht einfach in so ein Bundesasylzentrum hinein. Das ist einerseits ein Schutz für die Asylsuchenden, damit keine Rechtsradikalen hineingehen, und das SEM möchte eine Kontrolle, wer hier ein und aus geht. Die Schweizer Bischofskonferenz und der Schweizerische Evangelische Kirchenbund haben meine Akkreditierung beim SEM beantragt.


«Flüchtlinge kommen strahlend aus dem Café Mama Muttenz zurück»

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