Schweizer Missbrauchsopfer veröffentlicht Enthüllungsbuch mit Vorwort des Papstes

Freiburg, 13.2.17 (kath.ch) Vier Jahre lang wurde Daniel Pittet von einem Kapuziner sexuell misshandelt. Jetzt hat er seine Erfahrungen in einem Buch veröffentlicht. Dazu ermutigt wurde er durch Papst Franziskus, der auch das Vorwort zum Buch geschrieben hat, wie einer gemeinsamen Mitteilung der Schweizer Bischofskonferenz, der Schweizer Provinz der Kapuziner sowie des Bistums Lausanne, Genf, Freiburg (LGF) zu entnehmen ist.

«Mon Père, je vous pardonne» (Mein Pater, ich verzeihe Ihnen) lautet der Titel des Buches von Daniel Pittet. Der engagierte Katholik beschreibt darin detailliert, wie er als neunjähriger Ministrant in Freiburg erstmals vom Kapuzinerpater J.A. zu sexuellen Handlungen genötigt wurde, wie einem Artikel im «Blick» (12. Februar) zu entnehmen ist. Die Übergriffe fanden in den Jahren 1968 bis 1972 statt. Thema des Buches sind aber auch die Folgen, die Blindheit des Umfelds, sein Glaube und seine Vergebung.

Pittet, der 2015 unter dem Titel «Lieben heisst alles geben» Glaubenszeugnisse von Schweizer Ordensleuten herausgegeben hatte, möchte mit seinem jüngsten Buch andere Missbrauchsopfer ermutigen, «aus der Deckung zu kommen», sagte er gegenüber dem Blick. Darin bestärkt, seine Erfahrungen zu veröffentlichen, habe ihn Papst Franziskus. Bei einer persönlichen Begegnung mit dem Pontifex habe er das Buchprojekt erwähnt. «Er fand die Idee grossartig».

Papst tief bewegt von «Martyrium»

In seinem Vorwort schreibt der Papst: «Sein Martyrium hat mich tief bewegt. (…) Ich bin glücklich, dass andere sein Zeugnis vernehmen und es ihnen die Augen dafür öffnet, wie gewaltig das Böse ins Herz eines Kirchendieners eindringen kann», zitiert die Zeitung aus dem Vorwort. Das Leiden der Opfer liege ihm und der Kirche auf dem Gewissen. «Ich bitte um Vergebung (…) Wir müssen gegenüber solchen Priestern grosse Strenge walten lassen»

Der Papst hebt besonders hervor, dass Pittet auf seinen Peiniger zugegangen sei und ihm vergeben habe. Dies könne Pädophilen helfen, «sich der schrecklichen Folgen ihres Tuns bewusst zu werden.»

Pittet hat Täter vergeben

Das grösste französische Privatfernsehen TV1 berichtete am 12. Februar über das Buch. In einer Ausstrahlung des Pariser Fernsehens «Le Parisien TV» (12. Februar) erzählt Pittet, wie J.A. einst zu Maria Himmelfahrt gepredigt habe. Pittet sah, dass die Worte die Menschen berührten. «Ich erkannte, dass er sicherlich ein guter Priester war. Es gab den Priester und den Schweinehund. Da sagte ich mir: Er ist ein schwer Kranker. Ich muss ihm verzeihen», sagte sich Pittet bereits als 11-Jähriger. «Darüber sprechen konnte ich damals nicht, und selbst wenn ich darüber gesprochen hätte – ich wusste, dass man mir nicht geglaubt hätte», erklärt Pittet im Pariser Fernsehen. Pittet wollte den Täter im Buch ebenfalls zu Wort kommen lassen, womit dieser einverstanden gewesen sei. Als er ihn dann aber gesehen habe, war er überrascht, wie klein, schwach und alt der Kapuziner inzwischen geworden war. Für Pittet war klar, dass er mit diesem Mann die Missbrauchsgeschichte nicht nochmals aufgreifen konnte.

«Den Ruf der Kirche schonen»

Die Kapuziner und das Bistum Lausanne, Freiburg, Genf bedauern die Fehler zutiefst, welche damals begangen wurden. «Die Kapuziner stehen zu den Anschuldigungen, dass durch die damals übliche Praxis im Umgang mit Tätern von sexuellen Übergriffen weitere Übergriffe erst möglich wurden», heisst es in einer Mitteilung, welche die Schweizer Kapuziner-Provinz, die Schweizer Bischofskonferenz und das Bistum LGF am Montag gemeinsam verschickten. «Um den Ruf der Kirche oder des Ordens zu schonen, versuchte man damals allein durch interne Regelungen wie Versetzung oder Berufsverbot das Problem zu lösen.» Bei Versetzungen etwa seien die Hinweise von Opfern zu wenig ernst genommen und die neuen Arbeitgeber zu wenig informiert worden.

Die Kapuziner wollen nun durch eine unabhängige juristische Instanz «gründlich abklären lassen», wie weit sich durch die Publikation neue Verdachtsfälle ergeben und ob noch weitere Opfer gefunden werden. «Wir haben aus den bitteren Ereignissen Lehren gezogen und es wurden verschiedene Vorkehrungen getroffen, um solches in Zukunft zu vermeiden.» Konkret wird ein «obligatorisches Präventionsprogramm» erwähnt sowie eine «Null-Toleranz bei solchen Vergehen.»

Täter dreimal vor Gericht

Auch Charles Morerod, Bischof von LGF, lässt anlässlich der Erscheinung des Buches untersuchen, ob weitere Personen seines Bistums beteiligt sein könnten.

Laut Mitteilung der SBK stand der Täter J. A. bereits dreimal vor Gericht: 1995 wurde eine erste Anklage erhoben, auf die aber infolge Verjährung der Fälle nicht weiter eingegangen werden konnte.

2008 kam es zu einer weiteren gerichtlichen Voruntersuchung, dabei waren 22 Opfer identifiziert worden, die Fälle waren aber ebenfalls verjährt. J.A. habe während dieser Untersuchungen zwei weitere Opfer genannt, die zwischen 1992 und 1995 in Frankreich missbraucht worden seien. Das Dossier sei daraufhin an die Staatsanwaltschaft von Grenoble (F) weitergeleitet worden. 2012 wurde J.A. in Grenoble zu einer Haft von zwei Jahren bedingt schuldig gesprochen.

Aufruf an weitere Opfer, sich zu melden

SBK und Kapuziner rufen allfällige weitere Opfer dazu auf, sich zu melden. Selbst wenn die Fälle nach staatlichem Recht verjährt seien, könnten sie dennoch im Rahmen einer kirchenrechtlichen Untersuchung überprüft werden. Für verjährte Fälle gibt es ausserdem einen Genugtuungsfonds.

SBK und Kapuziner hoffen, «dass das Buch von Daniel Pittet weiteren Opfern den notwendigen Mut schenkt, um ihre Geschichte anvertrauen zu können und so weitere Überfälle zu verhindern.»

Pittet, der in Freiburg als Universitäts-Bibliothekar arbeitet und sechsfacher Vater ist, hatte 2015 das Buch «Lieben heisst alles geben» herausgegeben. Darin bezeugen 80 Schweizer Ordensleute ihren Glauben. J.A lebt heute laut «Blick» in einem Kapuzinerkloster in der Deutschschweiz. (sys)

 

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