5/2003

INHALT

Kirchengeschichte

Bistumsgeschichten

von Zoe Maria Eisenring

 

Bistumsgeschichten scheinen derzeit Hochkonjunktur zu haben. 1999 erschien das erste Heft der Geschichte des Bistums Basel, verfasst von Dr. P. Gregor Jäggi OSB.<1> Es umfasst die Zeit von den Anfängen bis zum Konzil von Basel, also das Mittelalter. Der Autor geht grundsätzlich chronologisch vor, stellt aber einzelne Abschnitte unter bestimmte Themen. Das erste Jahrtausend steht unter dem Titel: «Untergang und Neuorganisation». Für das Hoch- und Spätmittelalter greift der Autor folgende Themen auf: die Pfarrei als Ort des religiösen Lebens; letzte Hoffnung ­ Heiligenverehrung und Wallfahrt; der spätmittelalterliche Klerus, Klöster und Stifte im Bistum Basel, das Konzil von Basel. Es handelt sich um ein reich illustriertes Heft, sein Herausgeber ist die «Editions du Signe» in Strassburg. Die Darstellung baut auf dem gegenwärtigen Stand der Forschung auf und ist allgemein verständlich. Die Anschaulichkeit wird durch eine reichhaltige Illustration erhöht. Text und Bilder machen das Heft zu einer Informationsquelle ersten Ranges.
Vom gleichen Herausgeber erschien zwei Jahre darauf das erste Heft der Geschichte des Bistums Chur.<2> Im Jahr 2001 feierte dieses Bistum ein Jubiläum. Vor 1550 Jahren ­ im Jahr 451 ­ ist erstmals in den historischen Quellen ein Bischof von Chur, Asinio mit Namen, nachgewiesen. Dem Brief einer Mailänder Provinzialsynode vom Herbst 451 an Papst Leo I. den Grossen (440­461) unterzeichnete der Nachbarbischof Abundantius von Como zugleich im Namen seines abwesenden Churer Amtskollegen Asinio.
Dieses Heft umfasst die Zeit von der Romanisierung des Alpenraumes und endet mit dem Vertrag von Verdun 843. Verfasst ist es von Prof. Dr. Michael Durst, dem Kirchenhistoriker und Patrologen der Theologischen Hochschule Chur. In den ersten Kapiteln gibt Durst einen guten Einblick in den Prozess der Romanisierung und Christianisierung des Bistumsgebietes, in die Entstehung und Entwicklung des Bistums. Durst stellt die einzelnen Bischöfe und das Leben der Bistumsheiligen vor, die frühen Klostergründungen, die Kirchen und Pfarreien der Diözese. Er behandelt aber auch Aspekte der Frömmigkeitsgeschichte.

«Schriftenreihe der Theologischen Hochschule Chur»

Das Bistumsjubiläum war für die Theologische Hochschule Chur Anlass, die alljährlich im Sommer stattfindende öffentliche Vortragsreihe im Jahr 2001 der Churer Bistumsgeschichte zu widmen. Die Vorträge stiessen auf grosse Resonanz beim Publikum. Jetzt sind die fünf Vorträge im ersten Band der «Schriftenreihe der Theologischen Hochschule Chur» in leicht überarbeiteter Form herausgegeben und einer breiten Öffentlichkeit übergeben worden.<3> Damit hat die Theologische Hochschule Chur ein neues wissenschaftliches Publikationsorgan eröffnet, das nicht nur die Drucklegung der alljährlichen öffentlichen Sommervorträge ermöglichen, sondern auch für monographische Veröffentlichungen und andere Publikationen aus dem Umfeld der Theologischen Hochschule Chur offen stehen soll.
Michael Durst geht im ersten Vortrag aufgrund literarischer und archäologischer Zeugnisse den Anfängen der Kirche im Bistum Chur nach. Chur wurde im Rahmen der diokletianisch-konstantinischen Reichsreform Hauptstadt der Provinz Raetia prima, deren Ausdehnung später dem Bistum Chur entsprechen sollte (19). Obwohl erst 451 Bischof Asinio von Chur in den Mailänderakten erwähnt wird, dürfte das Churer Bistum ein höheres Alter haben. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist es am Ende des 4. oder mindestens zu Anfang des 5. Jahrhunderts gegründet worden. Erste Hinweise darauf ergeben die Grabungen unter St. Stephan in Chur, denn diese Kirche lässt sich als bischöflich errichtete Stephanusmemorie und als Bischofsgruft deuten (41). Auch die Errichtung der Churer Andreasmemorie (Vorgängerbau der St. Luciuskirche) setzt die Anwesenheit eines Bischofs in Chur im ausgehenden 4. oder spätestens im frühen 5. Jahrhundert voraus (45).
Das Hofareal, das als Kastell befestigt worden war, ist spätestens seit dem 4. Jahrhundert besiedelt. Es war nicht nur Sitz der Munizipalverwaltung, sondern auch des Statthalters und der Provinzverwaltung der Raetia prima. Auch der Bischofssitz befand sich an der exponierten Lage des spätrömischen Kastells. Grabungen haben eine Kontinuität des Standortes der Bischofskirche vom 5. Jahrhundert an erwiesen (47).
Für die Anzeichen einer Ausbreitung des Christentums um 400 herum fehlen literarische und urkundliche Quellen. Der Historiker ist auf archäologische Funde, Hinweise und Evidenzen angewiesen. Mehrere archäologische Funde erweisen die Präsenz von Christen oder christlichen Gemeinden an verschiedenen Orten in der Raetia prima ausserhalb der Bischofsstadt Chur: Bonaduz, Schiers, Schaan, Zillis, Sagogn, Hohenrätien (Hochrialt). Das Christentum hatte also Eingang gefunden in den wichtigsten Siedlungsgebieten des damaligen Bistums Chur: am Vorderrhein und Hinterrhein in der Nähe des Zusammenflusses, in Schams, im Heinzenberger Gebiet im Prättigau und im liechtensteinischen Rheintal. Die Ausbreitung des Christentums im Churer Bistumsgebiet muss als Erfolg von intensiven und systematisch durchgeführten Missionsbemühungen eingestuft werden, die eine Zentrale, das heisst letztendlich einen Bischof von Chur um die Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert voraussetzen (57).
Ludwig Schmugge, ordentlicher Professor für mittelalterliche Geschichte am Historischen Seminar der Universität Zürich, schreibt Kirchengeschichte «von unten» und zeigt anhand grossenteils neu erschlossener Quellen auf, wie der einfache Christ im Spätmittelalter seiner Kirche im Bistum Chur begegnete. Aus verschiedenen Bereichen führt er interessante Beispiele an, um zu zeigen, welche Probleme die Gläubigen mit ihrer Kirche im Spätmittelalter hatten. Die Augen vieler Bündner waren nach Rom gerichtet, um von dort Hilfe in ihren Nöten zu empfangen.
Unehelich geborene Männer, die die höheren Weihen empfangen und eine Pfründe erhalten wollten, brauchten eine Dispens vom Makel der unehelichen Geburt (63). Illegitime gab es damals zuhauf, vielleicht sogar ein Viertel bis zu einem Drittel der damaligen Bevölkerung. Aus dem Bistum Chur sind zwischen 1447 und der Reformation 111 Bittschriften von jungen Männern in den Registern verzeichnet.
Rom wurde angegangen, wenn neue Kirchen mit Seelsorgerecht errichtet werden sollten (67). Die Gläubigen in abgelegenen Gegenden wollten die eigene Pfarrkirche in der Nähe haben. Deshalb sollten Filialkirchen und Kapellen mit Pfarrrechten ausgestattet werden. Man versicherte sich des kirchlichen Heilsangebotes nicht zuletzt durch päpstliche Privilegien. Ablässe, Reliquien und Pilgerfahrten, aber auch das Bestreben nach einer Privatisierung der Frömmigkeitspraxis (z.B. das Recht, die Beichte nicht beim Ortspfarrer ablegen zu müssen) spielten dabei eine wichtige Rolle (68).
Bisweilen strebten Geistliche mit Pfründen in Graubünden mit Hilfe einer päpstlichen Dispens weg von ihrer Seelsorgestelle und liessen sich zu Hause durch einen Vikar vertreten (72). Die Gläubigen schätzten derartige Praktiken nicht und hielten ihre Geistlichen zur Residenz an. Die römische Kurie war auch gerne als Karrieresprungbrett in Anspruch genommen, da es für einfache Kleriker im Bistum Chur wenig Karrieremöglichkeiten gab.
Die römische Kurie bekam es auch mit vielen gewaltsamen Übergriffen auf Geistliche auch aus dem Bistum Chur zu tun (76). Ein bedeutender Teil der Rechtsprechung des geistlichen Gerichts aber waren Eheprozesse, vor allem wegen Ehehindernissen im Falle von Verwandtschaft (78). Ludwig Schmugge weist am Schluss des Beitrags darauf hin, dass bereits im Spätmittelalter eine antikirchliche Stimmung aufkam und «die leichte Durchsetzung der Reformation in weiten Teilen Graubündens erklärbar macht» (81).

Reformation

Alt Nationalrat Dr. phil. Martin Bundi zeichnet den Weg der Einführung der Reformation im Freistaat der Drei Bünde nach. Dieser Weg war zutiefst geprägt von demokratischer Willensbildung und dem Bestreben, religiöse «Toleranz» zu gewährleisten. Bundi charakterisiert den Zeitgeist von damals mit den Worten: «Die Zeit um 1500 stellte für die kleine Alpenrepublik der Drei Bünde eine Epoche eines gewaltigen Aufbruchs dar. Parallel mit der politischen Staatsbildung und mit dem Ausbau der demokratischen Willensbildung wuchs eine grosse Bereitschaft für die Aufnahme humanistischen Gedankenguts und eine Offenheit für Renaissancegeist sowie für die Ideen der kirchlichen Reformation.» Zur republikanischen Souveränität der vollen politischen Mündigkeit bedurfte es auch «der wirtschaftlichen Befreiung, das heisst der Ablösung der am Boden haftenden grundherrlichen Abgaben... So wurde denn... zum Kampf gegen die letzte Bastion der Feudalzeit, gegen die wirtschaftliche Vormachtstellung und politische Mitbestimmung der Kirche geschritten» (83).
Dieses Anliegen leitete der Freistaat der Drei Bünde in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts mit einer geradezu revolutionären Kirchengesetzgebung ein. Grundlage davon sind zunächst die «Sieben Artikel des Grauen Bundes» vom 20. April 1523. In ihnen greift der Staat «erstmals massiv in das Kirchenleben» ein und regelt «die Kompetenzen der Geistlichen neu». Der Graue Bund erhebt sich zum Sittenrichter über unredliche Machenschaften und das ausschweifende Leben der Geistlichkeit. Im Wesentlichen wird auch bereits das Schriftprinzip, das heisst die auf der Bibel gegründete Verkündigung des Evangeliums postuliert (84).
Dem initiativen Vorgehen des Grauen Bundes folgte der Erlass der 18 Artikel des Grauen Bundes und des Zehngerichtebundes, der Stadt Chur und der Landschaften Fünf Dörfer und Domleschg vom 6. November 1523 und schliesslich die «Ilanzer Artikel» von 1524 und 1526. Diese entmachteten «die bischöfliche Gewalt in weltlichen Dingen fast vollständig» (90). Die Ilanzer Artikelbriefe atmen eindeutig reformatorischen Geist. Ilanz kann man als die Wiege der bündnerischen Reformation bezeichnen.
Parallel zum Prozess der revolutionären Landesgesetzgebung verlief die Diskussion um die Einführung des neuen Glaubens. Das Wirken Comanders und anderer neugläubiger Pfarrer zugunsten der Reformation führte bereits Ende 1525 zum Übertritt einer Reihe von Landsgemeinden und auch der Stadt Chur zum neuen Glauben (92).
Nach einem ersten Religionsgespräch von Ilanz vom 7.­9. Januar 1526 galt das Schriftprinzip von Staats wegen als anerkannt und Comander und seine Mitbrüder konnten nunmehr das Evangelium ungehindert verkünden. Auf den Druck der inneren Orte der Eidgenossenschaft auf die Drei Bünde, den neuen Glauben zu verbieten, proklamierten 14 Männer aus allen Drei Bünden die «Religionsfreiheit», die sie einem Bundestag zur Annahme vorschlugen. Diese Proklamation überliess jedem Individuum des Dreibündestaates die freie Wahl zwischen der römisch-katholischen und der reformierten Konfession. Sie bedeutete noch keine eigentliche Religionsfreiheit im modernen Sinne, aber sie bildete «pionierhaft weltweit den ersten liberalen Ansatz zur religiösen Toleranz» (95). Grosse Schwierigkeiten bereitete die Durchführung und Umsetzung des Beschlusses in der Praxis. Aber auf dieser Grundlage wurde es möglich, dass sich durch eine Reihe von Ausführungsbestimmungen (z.B. Zuteilung von Kirchen an Minderheiten) die ursprüngliche reformierte Minderheit in den Drei Bünden bis zum Ende des 16. Jahrhunderts zu einer klaren Mehrheit entwickelte (100).

Katholische Reform

Albert Fischer, der Diözesanvizearchivar des Bistums Chur, behandelt die Bemühungen um eine solide Ausbildung der Priester im Bistum Chur, die nach dem Konzil von Trient ein zentrales Anliegen der Katholischen Reform war.<4> Er geht aus von einem Gutachten, das eine aus neun Prälaten zusammengesetzte Reformkommission 1537 an Papst Paul III. (1534­1549) richtete. Im Gutachten wird unter anderem Kritik laut wegen der vernachlässigten «Aufsicht und Vorsicht» der Bischöfe bei der Auswahl von würdigen Alumnen zu Priestern, mit der verheerenden Folge, «dass immer wieder zu höheren Weihen, vorab zur Priesterweihe,...alle möglichen Leute zugelassen werden, die ungebildet sind, von niederer Herkunft, fragwürdigem Lebenswandel und ohne das nötige Lebensalter» (116).
Die Lösung, die auf dem Konzil von Trient gefunden wurde gegen diese Missstände, ist im Dekret «Cum adolescentium aetas» formuliert, bekannt unter dem Schlagwort «Seminardekret». Dieses darf trotz einiger Mängel als die «Magna Charta» der Priesterbildung in der Neuzeit der Kirche bezeichnet werden (120). Es forderte die Errichtung von Seminarien, die zum ersten Mal in der Geschichte der Kirche eine wichtige, die höheren Schulen ergänzende Institution zur spezifischen Ausbildung des künftigen diözesanen Seelsorgeklerus darstellten.
Die ersten erfolgreichen innerkirchlichen Reformbemühungen im Churer Sprengel sind bis etwa 1590 geprägt von der Hilfe von aussen. Für die Heranbildung einer reformorientierten Priestergeneration bemühte sich in herausragender Weise Carl Borromäus (1538­1584). Am 1. Juni 1579 öffnete das von ihm initiierte «Collegio Elvetico» in Mailand seine Tore. Die Zahl der Freiplätze für Alumnen aus dem Hoheitsgebiet der drei Bünde blieb im 17. Jahrhundert konstant bei sechs; 1726 wurde die Zahl auf 12 erhöht. Churer Studenten studierten an der von Jesuiten geleiteten Brera-Universität in Mailand oder an der renommierten Universität in Pavia.
Neben Borromäus bemühte sich der Konstanzer Bischof und Kardinal Mark Sittich von Hohenems (1561­1589) um Ausbildungsplätze für Churer Priesteramtskandidaten. Er erwirkte für zwei Feldkircher Studenten Freiplätze am deutschen Jesuitenkolleg, am Collegium Germanicum in Rom. Die Churer Ordinarien besassen auch Anlaufstellen für ihre Alumnen an den Jesuitenkollegien in Luzern, Freiburg i.Ü. und Wien, an den philosophischen und theologischen Universitäten Freiburg i.Br., Ingolstadt, Dillingen und Graz.
Nach 1590 wurde der Ruf nach einer eigenen Bildungsstätte auf Diözesangebiet immer lauter. 1587 eröffnete der Disentiser Abt Nikolaus Tyron (1584­1593) eine Lehranstalt in den Räumen des Klosters (127). Weil die finanziellen Zuwendungen nach dem Tod Tyrons von Dominikanerkardinal Michele Bonelli ausblieben, konnte die Lehranstalt nicht mehr weitergeführt werden. Aber es war ein erster, zwar bescheidener, diözesaneigener Beitrag im Bereich der Priesterausbildung, deren Schwerpunkt weiterhin im Ausland lag. Die Churer Priesterausbildung führte im 17. Jahrhundert und darüber hinaus über den sicheren Weg der Garantie von Studienfreiplätzen, welche von geistlicher wie weltlicher Hand finanziert wurden. Die Gründung eines eigenen Seminars gelang für Chur erst an der Schwelle des 19. Jahrhunderts (1800 in Meran, 1807 Verlegung nach St. Luzi, Chur).

Der Weg in die Gegenwart

Im letzten Beitrag verfolgt Albert Gasser, der langjährige Professor für Kirchengeschichte an der Theologischen Hochschule Chur, die Entwicklung des Bistums Chur vom rätischen Fürstbistum zur schweizerischen Diözese im 19. und 20. Jahrhundert bis in die jüngste Vergangenheit.
Die Umgestaltung der Schweiz zur Zeit Napoleons leitete eine neue Einteilung der Schweizer Bistümer ein. Gaudenz von Planta, ein Chefbeamter während der Helvetik, nahm am 3. März 1803 das Hochstift formell in Besitz. Armutsgründe retteten das Bistum vor dem völligen Ruin, denn nach eingehender Bestandsaufnahme schien es dem bündnerischen Kleinen Rat rentabler, das «Erbe» auszuschlagen. Der Churer Hofbezirk behielt eine eigene Rechtsprechung und Polizeigewalt, bis er 1852 in die Stadtgemeinde Chur integriert wurde.
Die Auflösung des Bistums Chur in seinem bisherigen Umfang liess sich indes nicht verhindern. Das Bistum wurde nun mit Ausnahme von Liechtenstein eine rein schweizerische Diözese. Bei der Liquidierung des Bistums Konstanz 1821 wurde der Bischof von Chur für kurze Zeit Apostolischer Administrator des ehemaligen «Schweiz Quart». Dem Churer Bischof unterstand die Region zwischen Rhein und Aare. Zürich kam 1819 administrativ zum Bistum Chur. Im Jahr 1821 gingen die Kantone Luzern, Zug, Bern, Thurgau und Aargau an das umgestaltete Bistum Basel über. Auch Schaffhausen und Appenzell traten aus der Churer Interimsverwaltung aus; Schaffhausen wurde dem Bistum Basel übergeben, Appenzell dem neu errichteten Bistum St. Gallen. Der Nuntius hatte nämlich die Idee eines Doppelbistums in Personalunion mit einem Bischof durchgesetzt, der alternierend in Chur und in St. Gallen residieren sollte. Graubünden leistete gegen dieses Gebilde Widerstand und erreichte 1836, dass Papst Gregor XVI. das Experiment des Doppelbistums fallen liess.
Die Bistumszugehörigkeit der Zentralschweiz war nur provisorisch geregelt, und das Thema beschäftigte noch lange die Gemüter (149). Verschiedene Optionen wurden getroffen: Der Bischof betrieb den Anschluss der Urkantone. Die Bündner Behörden zeigten aber zunächst die kalte Schulter. Schwyz drängte auf raschen Abschluss des Anschlusses an Chur in der Hoffnung, die beiden anderen Urkantone würden mitziehen. Am 3. August 1824 schlossen der Bischof und die Schwyzer Regierung eine Vereinbarung, die Papst Leo XII. genehmigte. Die Anerkennung durch die Bündner Regierung aber blieb aus. 1913 traten die Urkantone erneut in Verhandlungen mit der Bündner Regierung. 1916 entstand ein Entwurf zu einem Bistumsvertrag. Dieses Provisorium, zu dem auch Zürich und Glarus gehörten, wurde faktisch definitiv. Aber in den Urschweizer Tälern blieb ein gewisser Anti-Chur-Affekt. In Zürich regte sich kein Verlangen an einer definitiven Bistumszugehörigkeit. 1956 erhielt es mit der Errichtung eines Generalvikariates einen Sonderstatus.
In Zürich hatte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts wieder katholisches Leben zu regen begonnen (153). Ab 1817 wurde eine katholische Gottesdienstgelegenheit in der St.-Anna-Kapelle eingerichtet. Dann wurde der wachsenden Katholikenzahl das Schiff des Fraumünsters zur Verfügung gestellt. 1842 übergab die Zürcher Regierung den Katholiken die Augustinerkirche in Miete. 1862 wurde das Benediktinerkloster Rheinau durch Beschluss des Parlamentes des Kantons Zürich aufgehoben. Als «Gegenleistung» wurde den Katholiken ein Teil des Vermögens zur Verfügung gestellt. 1863 wurde Zürich zur Kirchgemeinde erhoben. Am 8. Juni 1873 beschloss die Mehrheit der allein stimmberechtigten Schweizer Bürger die Ablehnung der Doktrin von der päpstlichen Unfehlbarkeit. Pfarrer Reinhard trug demonstrativ das Allerheiligste aus der Augustinerkirche. Die romtreuen Katholiken erbauten sofort in Aussersihl die Kirche St. Peter und Paul, die bereits 1874 eingeweiht wurde. Die Zahl der Katholiken nahm kontinuierlich zu, aber sie blieben bis 1963 ohne öffentlich-rechtliche Stellung. Aus der ursprünglich spärlichen Zürcher Diaspora wurde eine personalintensive Kernregion des Bistums. Die Zürcher Kirche wurde die aktivste und kreativste, auch die finanzkräftigste in der Diözese Chur.
Gasser schildert in seinem Beitrag auch einige bischöfliche Profile, vor allem die von Georgius Schmid von Grüneck (1851­1932) und Christianus Caminada (1876­1962). Der letzte Abschnitt gilt einigen Aspekten des «Churer Investiturstreits» (1988­1998).
Alle drei vorgestellten Veröffentlichungen verdienen eine breite Leserschaft. Die Leser und Leserinnen werden auf spannende Reisen durch die Geschichte der Kirche mitgenommen und verwurzeln sie im religiös-kirchlichen Erbe unseres Landes.

 

Dr. Sr. Zoe Maria Isenring ist Lehrbeauftragte für Kirchengeschichte am Theologischen Seminar des Dritten Bildungsweges.


Anmerkungen

1 Gregor Jäggi, Das Bistum Basel in seiner Geschichte. Mittelalter, Strasbourg 1999.

2 Michael Durst, Geschichte der Kirche im Bistum Chur. Von den Anfängen bis zum Vertrag von Verdun (843), Strasbourg 2001.

3 Michael Durst (Hrsg.), Studien zur Geschichte des Bistums Chur (451­2001), (Schriftenreihe der Theologischen Hochschule Chur, Band 1), Freiburg Schweiz 2002.

4 Vgl. Michael Durst, Das Bistum Chur im Zeitalter der Katholischen Reform, in: SKZ 170 (2002) Nr. 39, S. 542ff.


St. Luzius in Chur

 

Die Churer St. Luziuskirche hat vor kurzem in der Reihe des Kunstverlags Josef Fink einen kleinen Kunstführer erhalten, den Michael Durst verfasst und zu dem er eine Reihe von ausgezeichneten Fotos beigesteuert hat. Seiner Tätigkeit in Chur entsprechend legte er grosses Gewicht auf die Geschichte der Luziuskirche: er beginnt mit der Topographie und Archäologie, das heisst mit den spätantiken Bauten; anschliessend stellt er dar, was es über die karolingische Kirche zu wissen gibt; dann kommt er zu dem, was der Besucher und die Besucherin heute noch zu sehen bekommen: die Kirche der Prämonstratenser und die Kirche des Priesterseminars. Abschliessend wird die Ausstattung, aus dem 8. und dem 12./13. Jahrhundert ist praktisch nichts erhalten, dargestellt. Vom Priesterseminar St. Luzi herausgegeben, kann dieser kleine Kunstführer auch dort bezogen werden (Alte Schanfiggerstrasse 7/9, 7000 Chur).

Rolf Weibel


«Katholisch Zürich»

 

Nach seiner Dissertation «Die Katholiken im Kanton Zürich 1862­1875 im Spannungsfeld zwischen Eingliederung und Absonderung» hat der Historiker Max Stierlin eine Gesamtdarstellung verfasst: nicht eine Zürcher Katholizismus- oder Kirchengeschichte, sondern ein Kaleidoskop der Spuren, die katholische Gläubige in der Zürcher Landschaft hinterlassen haben: «Der Weg der Katholiken im Kanton Zürich. Wegmarken und Etappen» (Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2002, 200 Seiten). Das reich illustrierte Buch will, wie René Zihlmann als Präsident der römisch-katholischen Zentralkommission schreibt, seine Leser und Leserinnen dazu anregen, «diese Wegmarken auf Wanderungen und Ausflügen zu finden». Es will aber auch dazu anregen, sich für die Geschichte der eigenen Pfarrei zu interessieren bzw. ihr nachzugehen. Eine wünschbare Gesamtdarstellung ist auf noch viele Vorarbeiten angewiesen!

Rolf Weibel


© Schweizerische Kirchenzeitung - 2003