19/2002

INHALT

Theologie in Freiburg

Departement für Moraltheologie und Ethik

von Adrian Holderegger

 

Die theologische Ethik ist innerhalb des theologischen Fächerkanons zu jenem Brückenfach geworden, das in der konkreten Problembearbeitung wohl am intensivsten auf andere Wissenschaften verwiesen und angewiesen ist. Die «Genitiv-Ethiken» (z.B. Ethik der Wissenschaften, Ethik der Ökonomie, Ethik der Medizin, Ethik der Gentechnik) sind nicht bloss eine Modeerscheinung, sondern entsprechen der Notwendigkeit, die ethische Reflexion in einzelnen, meist sehr komplexen Sachbereichen zur Geltung zu bringen. Für die theologische Ethik ergibt sich daher eine dreifache Herausforderung: Einerseits muss sie immer wieder aufs Neue ihre theologische Herkunft und ihr theologisches Proprium mit den anderen theologischen Disziplinen, insbesondere mit der Fundamentaltheologie, klären; andererseits kann sie sich in der Frage der ethischen Rationalität nicht aus einem intensiven Austausch mit der praktischen Philosophie (= Ethik) heraushalten; und schliesslich ist sie in Anwendungsfragen auf ein breites Fachwissen in den jeweiligen Sachbereichen angewiesen.

Thematische Vielfalt

Diesen Herausforderungen versucht das Departement für Moraltheologie und Ethik gerecht zu werden. Die Moraltheologie gehört seit den Anfängen der Theologischen Fakultät (1890) zu den prägenden Kernfächern; zusammen mit der Dogmatik gehörte sie ­ oft vertreten durch hervorragende und einflussreiche Köpfe wie D. Prümmer, S. Ramirez, S. Pinckaers ­ gleichsam zum apologetischen Grundbestand der Theologie. Ursprünglich ganz dem Neothomismus verpflichtet, ist sie heute vielfältiger geworden, durch verschiedene Traditionen und Kulturen inspiriert, auch wenn die thomasische Tradition in den beiden Professoren des Dominikanerordens (Roger Berthouzoz; Michael Sherwin) in gewandelter Form noch präsent ist. Beide gehören der französischsprachigen Abteilung an. Bénézet Bujo, der seit 1989 an der deutschsprachigen Abteilung lehrt, stammt aus dem ehemaligen Zaïre; sein Anliegen ist es, in Forschung und Lehre schwarzafrikanische Erfahrung und Reflexion mit unseren westlichen Lebens- und Rationalitätsformen zu konfrontieren und zu vermitteln.
Die Entwicklungsphase der Fakultät in den Jahren 1964­1968 brachte nicht bloss die Ersetzung der lateinischen Unterrichtssprache durch Deutsch und Französisch, sondern auch eine Verdoppelung des Lehrangebotes und dementsprechend eine Verdoppelung der Lehrstühle. Der Ausbau der Fakultät fiel nicht bloss in die fruchtbare, reformbereite nachkonzilare Zeit, sondern auch in eine Phase ökonomischer Prosperität. In unserer Zeit der Sparmassnahmen, die insbesondere die Theologischen Fakultäten treffen, in Zeiten der Umverlagerung der Finanzen innerhalb der Universitäten, wünscht man sich manchmal solche «goldenen» Zeiten zurück. Seither gibt es an beiden Abteilungen je zwei Lehrstühle, die sich die klassische Materie der Moraltheologie und der christlichen Sozialethik aufteilen. Adrian Holderegger OFMCap, seit 1982 Professor an der Fakultät, und Michael Sherwin OP, der aus Kalifornien stammt und kürzlich an unsere Fakultät berufen wurde, bearbeiten in Lehre und Forschung insbesondere fundamentalethische Fragen, verbunden mit einigen Schwerpunkten aus dem Bereich der speziellen Ethik. M. Sherwin, der Lehrerfahrung an den theologischen Ausbildungsstätten von Berkeley und Notre Dame (USA) mitbringt, wird unsere kontinentaleuropäischen theologischen Denkweisen ergänzen und befruchten durch die amerikanischen Perspektiven und Zugänge, die eine originelle Selbständigkeit erreicht haben und aus der wissenschaftlichen ethischen Debatte nicht mehr wegzudenken sind. Er folgt Jean-Louis Bruguès OP (1997­2000), der ­ aus der Sicht der Fakultät leider allzu früh ­ zum Bischof von Angers im Nordwesten Frankreichs berufen wurde. Parallel dazu ist A. Holderegger ebenfalls zuständig für die Spezialgebiete (Lebensethik, Biomedizinische Ethik, Ökologische Ethik, Medienethik u.a.), die er zum Teil auch fakultätsübergreifend in anderen Departementen vertritt, zum Beispiel im Departement für Medizin.
Die beiden anderen Professoren B. Bujo und R. Berthouzoz decken insbesondere jene Themenbereiche ab, die traditionellerweise in der katholischen Soziallehre behandelt wurden, aber inzwischen zu sehr differenzierten und anspruchsvollen Gebieten geworden sind (Wirtschaft, Sozialstaat, Institutionen der Gesellschaft wie Ehe und Familie, interkultureller Austausch u.a.). B. Bujo beschäftigt sich mit der spezifischen Frage, wie der Anspruch der katholischen Sozialethik, die im Kontext der Industrialisierung Europas und Nordamerikas entstanden ist und insofern auf europäischen Wertvorstellungen basiert, auf das Weltbild und die Wertetradition Afrikas bezogen werden kann. Zur Debatte steht hier letztlich die Universalität der Normen (z.B. der Menschenrechte), die im Blick und aus der Erfahrung zweier unterschiedlichster Kulturen besonders problematisch empfunden wird. Hier gibt es eine Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Katholische Theologie der Universität Frankfurt am Main. R. Berthouzoz setzt den Akzent in Lehre und Forschung auf ausgewählte Themen der Sozialethik (z.B. Ernährung und globale Gerechtigkeit).

Einbezug der Öffentlichkeit

Das Fach «Moraltheologie» hat seit der Reform der Fakultät in den 60er Jahren turbulente Phasen, aber auch ruhigere Phasen des umsichtigen Ausbaus und der Konsolidierung hinter sich. 1973 wurde Stephan H. Pfürtner, nur gerade ein paar Jahre Professor an der Fakultät, aufgrund einiger umstrittener Thesen im Bereich Sexualethik aus dem Lehramt entfernt. Dieses Ereignis sollte nicht bloss die Fakultät über längere Zeit vor eine Zerreissprobe stellen, sondern warf damals in der Schweizerischen Öffentlichkeit grosse Wellen. Mit der Berufung von Dietmar Mieth (1974-1981) beruhigte sich die Situation; zusammen mit Pinto de Oliveira OP (1964­1994), seiner Herkunft nach Brasilianer, der schon sehr früh die Belange der neu entstehenden Befreiungstheologie vertrat, gründete er 1975 das Moraltheologische Institut. In diese Zeit fiel auch die Gründung der Reihe «Studien zur theologischen Ethik» (Universitätsverlag/Verlag Herder), die inzwischen in der theologischen Landschaft ihren anerkannten und viel beachteten Platz hat. Betreut wird sie von A. Holderegger (deutschsprachige Titel) und R. Berthouzoz (französischsprachige Titel). Ohne Zweifel kann gesagt werden, dass in dieser Reihe eine entscheidende Diskussion zu Grundlegungsfragen der theologischen Ethik geführt wurde und wird. In ihr spiegelt sich die wechselvolle Geschichte der Moraltheologie der letzten zwanzig Jahre wider. Demnächst wird der hundertste Band erscheinen. Ferner wird eine eher populärwissenschaftliche Reihe «Ethik konkret» (TVZ-Verlag/Universitätsverlag) von A. Holderegger betreut, der ebenfalls Mitherausgeber der noch jungen Reihe «Ethik und politische Philosophie» (Universitätsverlag) ist. Darüber hinaus sind die Dozenten an der Redaktion von Fachzeitschriften beteiligt (z.B. FZThPh, Ethica, Revue d'éthique et théologie morale).
Vor kurzem ist das Moraltheologische Institut in ein Departement umgewandelt worden, so wie im Übrigen alle fünf Fakultäten nach diesem neuen Organisationsprinzip umgestaltet werden mussten. Dies verleiht dem Departement in der Gestaltung des Lehrangebotes wie auch in der Verwaltung eine grössere Eigenständigkeit. Im Hinblick auf das moraltheologische Curriculum werden zurzeit Fragen des Schwerpunktunterrichtes, der Spezialisation, des Postgrad-Studiums diskutiert. In bestimmten Bereichen wird es eine verstärkte Zusammenarbeit mit der praktischen Philosophie (J.-Cl. Wolf, B. Sitter-Liver) geben. Im Hinblick auf eine grössere, internationale Vernetzung besteht eine engere Zusammenarbeit mit den Ethik-Abteilungen der Theologischen Fakultäten der Universitäten Tübingen, Nijmegen und Louvain-La- Neuve.
Nicht als Konkurrenz, sondern als notwendige Ergänzung wurde Anfang der 90er Jahre das «Interfakultäre Institut für Ethik und Menschenrechte» geschaffen. Die Errichtung dieses Institutes wurde nicht zuletzt auch durch die Moraltheologen selbst vorangetrieben, weil dadurch die Interdisziplinarität wie auch die Präsenz der Ethik in den anderen Fakultäten verstärkt werden konnte. Im Institutsrat sind je zwei Professoren jeder der fünf Fakultäten vertreten, ein absolutes Novum in der damaligen Zeit. Im Dreier-Direktorium ist ein Lehrstuhl für «Theologische Ethik» wie auch der Lehrstuhl für «Ethik und politische Philosophie» und ein Lehrstuhl für «Jurisprudenz» ex officio vertreten. Dies ist für die theologisch orientierte Ethik eine besondere Herausforderung, aber auch eine Chance, denn ethische Standpunkte, Überzeugungen und Urteile müssen durch das «Feuer» des Diskurses und der kohärenten Argumentation. Über dieses Institut werden die beiden Schwerpunkte «Ethik der Menschenrechte» (P. Meyer-Bisch) und «Bioethik» (A. Arz de Falco) in Lehre und Forschung wahrgenommen und auch in der Öffentlichkeit vertreten. In diesen beiden Bereichen gibt es für Studierende aller Fakultäten ein spezielles Lehrangebot, das zurzeit ausgebaut wird.
In den letzten 10 Jahren sind beträchtliche Mittel des Schweizerischen Nationalfonds, aber auch Drittmittel anderer Institutionen in Forschungsprojekte des Departements geflossen. Einige seien erwähnt: Theologie und Völkerrecht im spanischen Barock, Ökologische Ethik und Ästhetik, Ethik und Unternehmensstrategien in der Wirtschaft, Theologische Grundlagen der Bioethik, Ethik-Transfer und Entscheidungsträger, Ethik im interkulturellen Dialog. Über die Forschungsprojekte läuft gleichzeitig die Nachwuchsförderung, denn damit sind junge Forscher und Forscherinnen ­ wenigstens für eine gewisse Zeit ­ nicht bloss finanziell abgesichert, sondern sie können sich auch konzentriert und weitgehend unbelastet von anderen Aufgaben Kompetenzen erwerben.<1>

 

Adrian Holderegger ist Präsident des Departements für Moraltheologie und Ethik.


Anmerkung

1 Weitere Auskünfte sind auf der Web-Seite zu finden: www.unifr.ch/ethics


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