19/2002 | |
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Theologie in Freiburg |
Die theologische Ethik ist innerhalb des theologischen Fächerkanons zu jenem Brückenfach geworden, das in der konkreten Problembearbeitung wohl am intensivsten auf andere Wissenschaften verwiesen und angewiesen ist. Die «Genitiv-Ethiken» (z.B. Ethik der Wissenschaften, Ethik der Ökonomie, Ethik der Medizin, Ethik der Gentechnik) sind nicht bloss eine Modeerscheinung, sondern entsprechen der Notwendigkeit, die ethische Reflexion in einzelnen, meist sehr komplexen Sachbereichen zur Geltung zu bringen. Für die theologische Ethik ergibt sich daher eine dreifache Herausforderung: Einerseits muss sie immer wieder aufs Neue ihre theologische Herkunft und ihr theologisches Proprium mit den anderen theologischen Disziplinen, insbesondere mit der Fundamentaltheologie, klären; andererseits kann sie sich in der Frage der ethischen Rationalität nicht aus einem intensiven Austausch mit der praktischen Philosophie (= Ethik) heraushalten; und schliesslich ist sie in Anwendungsfragen auf ein breites Fachwissen in den jeweiligen Sachbereichen angewiesen.
Diesen Herausforderungen versucht das Departement für Moraltheologie
und Ethik gerecht zu werden. Die Moraltheologie gehört seit den Anfängen
der Theologischen Fakultät (1890) zu den prägenden Kernfächern;
zusammen mit der Dogmatik gehörte sie oft vertreten durch hervorragende
und einflussreiche Köpfe wie D. Prümmer, S. Ramirez, S. Pinckaers
gleichsam zum apologetischen Grundbestand der Theologie. Ursprünglich
ganz dem Neothomismus verpflichtet, ist sie heute vielfältiger geworden,
durch verschiedene Traditionen und Kulturen inspiriert, auch wenn die thomasische
Tradition in den beiden Professoren des Dominikanerordens (Roger Berthouzoz;
Michael Sherwin) in gewandelter Form noch präsent ist. Beide gehören
der französischsprachigen Abteilung an. Bénézet Bujo,
der seit 1989 an der deutschsprachigen Abteilung lehrt, stammt aus dem ehemaligen
Zaïre; sein Anliegen ist es, in Forschung und Lehre schwarzafrikanische
Erfahrung und Reflexion mit unseren westlichen Lebens- und Rationalitätsformen
zu konfrontieren und zu vermitteln.
Die Entwicklungsphase der Fakultät in den Jahren 19641968 brachte
nicht bloss die Ersetzung der lateinischen Unterrichtssprache durch Deutsch
und Französisch, sondern auch eine Verdoppelung des Lehrangebotes und
dementsprechend eine Verdoppelung der Lehrstühle. Der Ausbau der Fakultät
fiel nicht bloss in die fruchtbare, reformbereite nachkonzilare Zeit, sondern
auch in eine Phase ökonomischer Prosperität. In unserer Zeit der
Sparmassnahmen, die insbesondere die Theologischen Fakultäten treffen,
in Zeiten der Umverlagerung der Finanzen innerhalb der Universitäten,
wünscht man sich manchmal solche «goldenen» Zeiten zurück.
Seither gibt es an beiden Abteilungen je zwei Lehrstühle, die sich
die klassische Materie der Moraltheologie und der christlichen Sozialethik
aufteilen. Adrian Holderegger OFMCap, seit 1982 Professor an der Fakultät,
und Michael Sherwin OP, der aus Kalifornien stammt und kürzlich an
unsere Fakultät berufen wurde, bearbeiten in Lehre und Forschung insbesondere
fundamentalethische Fragen, verbunden mit einigen Schwerpunkten aus dem
Bereich der speziellen Ethik. M. Sherwin, der Lehrerfahrung an den theologischen
Ausbildungsstätten von Berkeley und Notre Dame (USA) mitbringt, wird
unsere kontinentaleuropäischen theologischen Denkweisen ergänzen
und befruchten durch die amerikanischen Perspektiven und Zugänge, die
eine originelle Selbständigkeit erreicht haben und aus der wissenschaftlichen
ethischen Debatte nicht mehr wegzudenken sind. Er folgt Jean-Louis Bruguès
OP (19972000), der aus der Sicht der Fakultät leider allzu
früh zum Bischof von Angers im Nordwesten Frankreichs berufen
wurde. Parallel dazu ist A. Holderegger ebenfalls zuständig für
die Spezialgebiete (Lebensethik, Biomedizinische Ethik, Ökologische
Ethik, Medienethik u.a.), die er zum Teil auch fakultätsübergreifend
in anderen Departementen vertritt, zum Beispiel im Departement für
Medizin.
Die beiden anderen Professoren B. Bujo und R. Berthouzoz decken insbesondere
jene Themenbereiche ab, die traditionellerweise in der katholischen Soziallehre
behandelt wurden, aber inzwischen zu sehr differenzierten und anspruchsvollen
Gebieten geworden sind (Wirtschaft, Sozialstaat, Institutionen der Gesellschaft
wie Ehe und Familie, interkultureller Austausch u.a.). B. Bujo beschäftigt
sich mit der spezifischen Frage, wie der Anspruch der katholischen Sozialethik,
die im Kontext der Industrialisierung Europas und Nordamerikas entstanden
ist und insofern auf europäischen Wertvorstellungen basiert, auf das
Weltbild und die Wertetradition Afrikas bezogen werden kann. Zur Debatte
steht hier letztlich die Universalität der Normen (z.B. der Menschenrechte),
die im Blick und aus der Erfahrung zweier unterschiedlichster Kulturen besonders
problematisch empfunden wird. Hier gibt es eine Zusammenarbeit mit dem Fachbereich
Katholische Theologie der Universität Frankfurt am Main. R. Berthouzoz
setzt den Akzent in Lehre und Forschung auf ausgewählte Themen der
Sozialethik (z.B. Ernährung und globale Gerechtigkeit).
Das Fach «Moraltheologie» hat seit der Reform der Fakultät
in den 60er Jahren turbulente Phasen, aber auch ruhigere Phasen des umsichtigen
Ausbaus und der Konsolidierung hinter sich. 1973 wurde Stephan H. Pfürtner,
nur gerade ein paar Jahre Professor an der Fakultät, aufgrund einiger
umstrittener Thesen im Bereich Sexualethik aus dem Lehramt entfernt. Dieses
Ereignis sollte nicht bloss die Fakultät über längere Zeit
vor eine Zerreissprobe stellen, sondern warf damals in der Schweizerischen
Öffentlichkeit grosse Wellen. Mit der Berufung von Dietmar Mieth (1974-1981)
beruhigte sich die Situation; zusammen mit Pinto de Oliveira OP (19641994),
seiner Herkunft nach Brasilianer, der schon sehr früh die Belange der
neu entstehenden Befreiungstheologie vertrat, gründete er 1975 das
Moraltheologische Institut. In diese Zeit fiel auch die Gründung der
Reihe «Studien zur theologischen Ethik» (Universitätsverlag/Verlag
Herder), die inzwischen in der theologischen Landschaft ihren anerkannten
und viel beachteten Platz hat. Betreut wird sie von A. Holderegger (deutschsprachige
Titel) und R. Berthouzoz (französischsprachige Titel). Ohne Zweifel
kann gesagt werden, dass in dieser Reihe eine entscheidende Diskussion zu
Grundlegungsfragen der theologischen Ethik geführt wurde und wird.
In ihr spiegelt sich die wechselvolle Geschichte der Moraltheologie der
letzten zwanzig Jahre wider. Demnächst wird der hundertste Band erscheinen.
Ferner wird eine eher populärwissenschaftliche Reihe «Ethik konkret»
(TVZ-Verlag/Universitätsverlag) von A. Holderegger betreut, der ebenfalls
Mitherausgeber der noch jungen Reihe «Ethik und politische Philosophie»
(Universitätsverlag) ist. Darüber hinaus sind die Dozenten an
der Redaktion von Fachzeitschriften beteiligt (z.B. FZThPh, Ethica, Revue
d'éthique et théologie morale).
Vor kurzem ist das Moraltheologische Institut in ein Departement umgewandelt
worden, so wie im Übrigen alle fünf Fakultäten nach diesem
neuen Organisationsprinzip umgestaltet werden mussten. Dies verleiht dem
Departement in der Gestaltung des Lehrangebotes wie auch in der Verwaltung
eine grössere Eigenständigkeit. Im Hinblick auf das moraltheologische
Curriculum werden zurzeit Fragen des Schwerpunktunterrichtes, der Spezialisation,
des Postgrad-Studiums diskutiert. In bestimmten Bereichen wird es eine verstärkte
Zusammenarbeit mit der praktischen Philosophie (J.-Cl. Wolf, B. Sitter-Liver)
geben. Im Hinblick auf eine grössere, internationale Vernetzung besteht
eine engere Zusammenarbeit mit den Ethik-Abteilungen der Theologischen Fakultäten
der Universitäten Tübingen, Nijmegen und Louvain-La- Neuve.
Nicht als Konkurrenz, sondern als notwendige Ergänzung wurde Anfang
der 90er Jahre das «Interfakultäre Institut für Ethik und
Menschenrechte» geschaffen. Die Errichtung dieses Institutes wurde
nicht zuletzt auch durch die Moraltheologen selbst vorangetrieben, weil
dadurch die Interdisziplinarität wie auch die Präsenz der Ethik
in den anderen Fakultäten verstärkt werden konnte. Im Institutsrat
sind je zwei Professoren jeder der fünf Fakultäten vertreten,
ein absolutes Novum in der damaligen Zeit. Im Dreier-Direktorium ist ein
Lehrstuhl für «Theologische Ethik» wie auch der Lehrstuhl
für «Ethik und politische Philosophie» und ein Lehrstuhl
für «Jurisprudenz» ex officio vertreten. Dies ist für
die theologisch orientierte Ethik eine besondere Herausforderung, aber auch
eine Chance, denn ethische Standpunkte, Überzeugungen und Urteile müssen
durch das «Feuer» des Diskurses und der kohärenten Argumentation.
Über dieses Institut werden die beiden Schwerpunkte «Ethik der
Menschenrechte» (P. Meyer-Bisch) und «Bioethik» (A. Arz
de Falco) in Lehre und Forschung wahrgenommen und auch in der Öffentlichkeit
vertreten. In diesen beiden Bereichen gibt es für Studierende aller
Fakultäten ein spezielles Lehrangebot, das zurzeit ausgebaut wird.
In den letzten 10 Jahren sind beträchtliche Mittel des Schweizerischen
Nationalfonds, aber auch Drittmittel anderer Institutionen in Forschungsprojekte
des Departements geflossen. Einige seien erwähnt: Theologie und Völkerrecht
im spanischen Barock, Ökologische Ethik und Ästhetik, Ethik und
Unternehmensstrategien in der Wirtschaft, Theologische Grundlagen der Bioethik,
Ethik-Transfer und Entscheidungsträger, Ethik im interkulturellen Dialog.
Über die Forschungsprojekte läuft gleichzeitig die Nachwuchsförderung,
denn damit sind junge Forscher und Forscherinnen wenigstens für
eine gewisse Zeit nicht bloss finanziell abgesichert, sondern sie
können sich auch konzentriert und weitgehend unbelastet von anderen
Aufgaben Kompetenzen erwerben.<1>
Adrian Holderegger ist Präsident des Departements für Moraltheologie und Ethik.
1 Weitere Auskünfte sind auf der Web-Seite zu finden: www.unifr.ch/ethics