5/2002

INHALT

Theologie

Christliches soziales Lehren und Handeln

von Martin Rhonheimer

 

Dass sich am 9. Januar 2002 der Geburtstag des seligen Josemaría Escrivá zum 100. Mal jährte, gab dem Opus Dei Gelegenheit, seines Gründers in einer grösseren Öffentlichkeit zu gedenken. In Zürich erklärte Weihbischof Peter Henrici in einem Gottesdienst, Josemaría Escrivá sei eine der grössten Gestalten der katholischen Kirche des 20. Jahrhunderts, weil er als einer der Ersten «die Bedeutung der Laien für die Kirche» erkannt und «für sie eigens eine Spiritualität des Laienlebens vorgelebt» habe. Diese Spiritualität wurde an einer von Weihbischof Bürcher eröffneten und von Bischof Bernard Genoud mit einem Festgottesdienst abgeschlossenen Tagung in Lausanne mit dem Leitwort «Chrétiens au milieu du monde» angesprochen, während sie in Rom ein internationaler Kongress im Titel «The Grandeur of Ordinary Life ­ Die Grösse des Alltagslebens» auf den Punkt brachte. Mitten in der Welt, im Alltag von Familie und vor allem auch Beruf hätten sich die Laien nicht einfach zu bewähren, sondern aufgrund ihrer Taufberufung nach christlicher Vollkommenheit zu streben und die Welt mit dem Geist Christi zu durchdringen. Wo und wie können diese christlich gelebte Weltlichkeit des einzelnen Laien, die christliche Sozialethik und die amtliche Soziallehre der Kirche miteinander vermittelt werden? Dazu gibt es unterschiedliche Antworten. Eine profilierte Antwort findet sich in der Habilitationsschrift der deutschen Sozialethikerin Marianne Heimbach-Steins, die sich mit Madeleine Delbrêl beschäftigt, deren Gestalt und Spiritualität ihrerseits schon eine Antwort war.<1> Um eine weitere Antwort, eine Antwort aus der Spiritualität des seligen Josemaría Escrivá heraus darlegen zu können, haben wir Martin Rhonheimer, Professor für Philosophie an der Pontificia Università della Santa Croce (Rom) gebeten, diese Habilitationsschrift eingehender zu besprechen. Er hat diese Besprechung rechtzeitig abgeliefert, wegen Raumschwierigkeiten verzögerte sich deren Veröffentlichung indes ungebührlich. Wir möchten uns bei ihm dafür entschuldigen und hoffen, der gegebene Anlass ihrer Veröffentlichung könne dem Text eine neue Aktualität geben.

Redaktion

 

In dem Masse, in dem Katholische Soziallehre ihr traditionelles Selbstverständnis als eine Art «Dritter Weg» zwischen Kapitalismus und Sozialismus zugunsten einer ethisch reflektierten Bejahung neuzeitlich demokratisch-liberaler Verfassungssstatlichkeit und marktwirtschaftlicher Ordnung aufzugeben im Begriffe ist, finden sich katholische Sozialethiker mit dem zunehmenden Bedürfnis konfrontiert, für spezifisch christliche Sozialethik ­ als Ethik gesellschaftlich relevanter Praxis ­ ein erneuertes theologisches Selbstverständnis zu finden. Während katholische Sozialethiker der Vergangenheit zumeist sozialwissenschaftlich geschult waren und philosophisch-naturrechtlich argumentierten, scheint für diesen Fachbereich nun ein theologisches Reflexionsbedürfnis in den Vordergrund zu treten.
Chance und Problematik dieser Entwicklung zeigen sich gleichermassen in der Münsteraner Habilitationsschrift von Marianne Heimbach-Steins.<2> Die vielschichtige Arbeit führt den Leser zu einer Begegnung mit der faszinierenden Gestalt von Madeleine Delbrêl (1904­1964) ­ «heute sowohl in ihrem Heimatland Frankreich als auch in Deutschland selbst in kirchlichen Kreisen und unter Theologen nur wenig bekannt» und «immer noch ein Geheimtip» (S. 34) ­, die vom radikalen Atheismus zum ebenso radikalen Glauben bekehrt die besten Jahre ­ Jahrzehnte ­ ihres Lebens in der kommunistisch regierten Pariser Vorstadt Ivry verbrachte, um hier in Gemeinschaft mit gleich gesinnten Frauen ein intensives Apostolat des christlichen Glaubenszeugnisses und der davon untrennbaren Nächstenliebe auszuüben. Mehrere Jahre lang war Madeleine Delbrêl Leiterin des Fürsorgeamtes der Stadt und arbeitete in der dortigen Verwaltung Schulter an Schulter mit Kommunisten.<3>

Madeleine Delbrêl

Gestalt und Spiritualität Madeleine Delbrêls bilden für Marianne Heimbach-Steins den Ausgangspunkt für ihre Suche nach einem «theologischen Profil christlicher Sozialethik» ­ so das Leitthema der Arbeit ­, einer Theologie weltlich-sozialen Handelns, das auf einer reflektierten «Methodologie» der «Unterscheidung der Geister» beruht. Das Unterfangen, eingeleitet durch eine weit ausgreifende «Annäherung» bzw. «theologische Ortsbestimmung» christlicher Sozialethik «unter dem Spannungsbogen von Mystik und Politk», ist komplex: von der Begegnung mit Madeleine Delbrêl zur entfaltenden Darstellung ihrer tiefen, zum christlichen Apostolat drängenden Glaubenserfahrung, die im gesellschaftlichem Handlungszusammenhang eines durch und durch von Atheismus und Marxismus geprägten Arbeitermilieus nach einer «Unterscheidung der Geister» verlangt, welch Letztere schliesslich, in «Auswertung» und «Vermittlung», als «Strukturmoment christlicher Ethik» aufgewiesen wird. Christlicher Glaube als «Unterscheidungskraft» wird dargestellt anhand einiger ­ an Zahl allerdings dürftiger ­ Beispiele «prophetisch-politischer» Einsprache Madeleine Delbrêls und vor allem ihrer eindrücklichen (im Anhang im Originalwortlaut dokumentierten) Stellungnahme zur Situation der «Mission de France» im Jahre 1953 und dem in ihrem Kontext laufenden Experiment der Arbeiterpriester.
Eindrücklich und prägnant zeigt Marianne Heimbach-Steins Studie, was in dem kommunistisch geprägten Arbeitermilieu christliche Unterscheidung der Geister für die grosse Französin hiess: zur Klarheit darüber gelangen, dass der Marxismus einen mit dem Christentum unvereinbaren religiösen Ersatzanspruch und damit falsche Verheissungen enthält; Einsicht in die marxistische Verfälschung ­ trotz sprachlicher Identität, die zur «Wortfalle» wird ­, ja «Zerschlagung der Einheit des Liebesgebotes», das entgegen marxistischer Auffassung universal und nicht klassenspezifisch oder «selektiv» ist, sich auf Arme und Reiche erstreckt. «Die Liebe zu bestimmten Menschen von heute und zur Menschheit von morgen dürfe nicht um den Preis des Hasses gegenüber anderen Menschen erkauft werden» (192). In Madeleine Delbrêls Stellungnahme zur «Mission de France» wird schliesslich deutlich, dass christliches Apostolat in diesem glaubenslosen Milieu nur möglich ist, wenn die christliche Identität des Apostels gewahrt bleibt: Der Christ muss ins marxistisch geprägte Arbeitermilieu einsteigen, nicht um dessentwillen, was die Marxisten haben, sondern um dessentwillen, was ihnen fehlt, das heisst um ihnen die Wahrheit der liebenden Gegenwart Gottes zu vermitteln. Nur wer den Marxismus selbst als «Krankheit» und nicht als Heilmittel für die soziale Sünde versteht, kann in seinem Umfeld ein Zeugnis des Glaubens ablegen, ja sogar selbst zu einer tieferen Glaubenserfahrung gelangen; andernfalls wird er «geblendet» oder «angesteckt» (S. 169f.). Schliesslich werden anhand der Rezeption Gaston Fessards auch Bezüge zur ignatianischen Unterscheidungslehre aufgewiesen, eine Interpretation, über die sich allerdings Madeleine Delbrêl selbst seinerzeit mokierte; nicht zuletzt deshalb scheint die Weiterführung solcher Bezugnahme durch die Autorin doch etwas forciert und fraglich.

Eine neue Phase kirchlichen sozialen Lehrens und Handelns?

Angesichts der anfänglichen Zielsetzung ist der wichtigste Teil dieser ­ nicht nur wegen der durch sie ermöglichten Begegnung mit Madeleine Delbrêl ­ in vieler Hinsicht lehrreichen Arbeit dann aber wohl der dritte und letzte: «Auswertung» und «Vermittlung». Nun erstaunt allerdings doch, dass die Vermittlung in die aktualisierte Reflexion sozialethischer Praxis mit der Feststellung beginnt, gerade diese Thematik weise nun über Madeleine Delbrêl hinaus. Gewiss, als wesentlicher Ertrag werden festgehalten die Bedeutsamkeit der Einheit des christlichen Liebesgebotes und vor allem die Forderung nach Abkehr von einem verbürgerlichten Milieuchristentum, dessen Glaube nicht praktisch werden will, sondern eben zum blossen «Milieu» verkommt. Der Hinweis ist wertvoll, und Madeleine Delbrêls eigene Formulierungen ­ von Heimbach-Steins manchmal leider in modischem und oft etwas unzutreffendem Jargon wie «Primat der Praxis» (120) und ähnlich paraphrasiert ­ laden zur direkten Lektüre ihrer Bücher, zum Beispiel «Ville marxiste, terre de mission» (1957) und «Nous autres, gens des rues» (1966), ein<4>. Kaum in Auswertung und Vermittlung eingebracht wird jedoch die reichhaltige ­ im dritten Kapitel ausgezeichnet dargestellte ­ Spiritualität Madeleine Delbrêls, die um Glaube ­ Hoffnung ­ Liebe als «Signatur der Existenz unter dem Primat Gottes» kreist und in deren Zentrum das Bewusstsein der Anwesenheit Gottes in den alltäglichen Lebensvollzügen (81), das Gebet als «Atmen» und «Lebenskraft christlicher Existenz» (82) sowie die Identifizierung mit Christus als dem Gekreuzigten (87) stehen.
Die Richtung, in die nun die von Marianne Heimbach-Steins vorgeschlagene Vermittlung weist, orientiert sich ­ neben dem existentialethischen Ansatz Karl Rahners und der ignatianischen Idee einer discretio spirituum als deliberatio communitaria ­ vor allem an der Vision kirchlich-korporativer Unterscheidungsprozesse aufgrund sozialwissenschaftlicher Analyse in interdisziplinärer Zusammenarbeit, in deren Rahmen dann, theologisch reflektiert und unter der vorrangigen Signatur einer Option für die Armen, konkrete Handlungsoptionen für christliche Praxis ausgearbeitet werden. Es scheint hier also um das Plädoyer für eine neue Phase kirchlichen sozialen Lehrens und Handelns zu gehen, nicht mehr «einseitig» von einem sozialen kirchlichen Lehramt «verordnet», sondern in einem gemeinschaftlichen Prozess, in dem kirchliche Basis, wissenschaftliche Theologie und Lehramt im engeren Sinne kooperieren. Dadurch soll innerkirchlich ein neues «kommunikatives Sozialmilieu» aufgebaut werden, das zwischen Individuen und konkreten gesellschaftlichen Herausforderungen vermittelt, gemeinschaftliche Strukturen, die sich nicht nur als «Operationsbasen» verstehen, sondern sich als «neue Subjekte gesellschaftlicher und kirchlicher Praxis» konstituieren (265). Als Praxisfelder erröffnen sich somit christliche (kirchliche) Verbände und Bewegungen ­ «eine Möglichkeit, die mit dem Abbruch des katholischen Milieus einhergehende Krise der Verbände zu meistern» (266) ­ «basisgemeindliche Strukturen» und andere Arten von «Zusammenschlüssen von Christen». «Breit angelegte Konsultationsprozesse», in denen kirchliche und gesellschaftliche Öffentlichkeit beteiligt sind, sollen ein «höheres Mass an Verbindlichkeit des sozialen Lehrens der Kirche» ermöglichen (270f.).

Die ekklesiale Dimension christlich gelebter Weltlichkeit

Man ersieht aus diesen, gleichermassen progressive wie auch restaurative Züge tragenden Beispielen: Christliche Sozialethik ­ als «kirchlich verwurzelte soziale Praxis» (275) ­ gerät hier tendenziell in den Bannkreis des Aufbaus neuer inner-kirchlicher Struk-turen. In der Tat scheint für Marianne Heimbach-Steins soziales Lehren der Kirche ­ im Unterschied etwa zur Stossrichtung der unerwähnt bleibenden Enzyklika «Centesimus Annus» ­ sich zunächst einmal um die Kirche selbst zu drehen. Es will kirchliche Gruppen, kommunikative Milieus konstituieren, die der Welt gegenübertreten, sich ihr dann «öffnen», um in sie hineinzuwirken. Diese Zentrierung auf kirchliches «Gruppenhandeln» ist eigentlich erstaunlich angesichts der konziliaren Wiederentdeckung der Taufberufung, eine Entdeckung, die eher in die umgekehrte Richtung weist: in jene der Entdeckung der ekklesialen Dimension christlich gelebter Weltlichkeit ­ Säkularität ­ als Grundberufung aller Getauften, die ja geistgewirkte Teilhabe am Priestertum Christi in und aus der Mitte der Welt heraus ist und dadurch eben die Welt mit dem Geist Christi durchdringen und verändern soll. Dazu, so ergibt es sich aus der eingehenden Darstellung der ekklesiologischen Dimension von Madeleine Delbrêls Verständnis christlichen Apostolates, hätte es nun gerade im Werk der Französin doch entscheidende, wenn auch noch unausgereifte Ansätze gegeben. Durch die Taufe nämlich wird ­ so ein Zitat auf S. 115 ­ die Kirche «an unserem Platz in der Welt» gegenwärtig. «Öffnung der Kirche zur Welt», so scheint es, bedeutet für Madeleine Delbrêl: verstehen, dass «Getauftsein» unmittelbar auch «Kirchesein» und damit apostolische Sendung bedeutet. Dadurch ist weltliches Handeln von Christen in seiner Eigenverantwortlichkeit und säkularen Pluralität bereits schon ­ falls es im Bewusstsein der Taufberufung gelebt wird ­ vollzogene Öffnung der Kirche zur Welt. Gerade dieser Faden wird nun aber leider von Marianne Heimbach-Steins kaum weiterverfolgt.
Viel mehr als es die Autorin selbst zu bemerken scheint richtet sich ja heute das kirchliche soziale Lehramt nicht vornehmlich an Seelsorger, innerkirchliche Gruppen, Verbände, Aktionsgemeinschaften usw., sondern unmittelbar an den «Bürger dieser Welt» als Appell an seine christliche Eigenverantwortung sowie an alle Menschen guten Willens (dies wird durchaus auch aus dem Schreiben Octogesima adveniens Pauls VI. ersichtlich, auf das vor allem sich die Autorin, allerdings etwas einseitig, abstützt). Das soziale Lehramt der Kirche versteht sich heute mehr in die Wirklichkeit der modernen Welt eingelassen, als dies für die um eine Wiederbelebung des «katholischen Milieus» kreisende Bemühung von Marianne Heimbach-Steins zuzutreffen scheint. Paradoxerweise scheint sie für ein Mehr an verbindlichem kirchlichen Lehren einzustehen (unter Beiziehung professioneller Theologie und der kirchlichen «Basis», womit allerdings in der Praxis jeweils nur die Basis der kirchlich beamteten bzw. organisierten Christen gemeint sein kann), was aber unweigerlich auch ein Mehr an Bevormundung jener grossen Schar von «Normalchristen» bedeuten würde, die mit beiden Füssen in dieser Welt stehen und diese, in ihren Aufgaben in Beruf, Familie, Gesellschaft und Politik, in Zusammenarbeit mit ihren Mitbürgern auch effektiv gestalten.


Madeleine Delbrêl (Foto CIRIC).

«In freier Initiative»

Die lehr- und materialreiche Studie von Marianne Heimbach-Steins drängt demnach zur Frage: Ist es richtig und nötig, dass die «Kirche» als Amtskirche ­ inklusive Theologinnen und Theologen sowie kirchlich-verbandsmässig organisisierte «Basis» ­ gesellschaftliche Handlungsoptionen erarbeitet, auch wenn diese durch Konsultationsprozesse noch so breit abgestützt sind oder sogar konziliaren Charakter tragen? Es scheint, dass gerade das soziale Lehramt der Kirche, nunmehr versöhnt mit der politischen Kultur der Moderne und der wirtschaftlichen Logik von Marktprozessen, sich auf sein genuines Wächteramt vornehmlich im Bereich der Menschenrechte zu beschränken beginnt und davon absieht, eigene durchgearbeitete Konzeptionen sozialer Gestaltung anzubieten. Die Kirche will, wie es ihrer ursprünglichen Sendung entspricht, die Welt für den Glauben öffnen, von dessen weltverändernder Kraft sie überzeugt ist; und dafür rechnet sie mit dem «Normalchristen». Die Kirche öffnet sich dieser Welt, indem sie, aufgrund ihres Selbstverständnisses als Werkzeug im Dienste der Sendung Christi, dem «Licht der Völker» (II. Vatikanum), ihr Heilsangebot an die Welt richtet, und zwar durch jene Apostel, die sich gar nicht erst dieser Welt zuwenden müssen, weil sie ohnehin schon Teil von ihr sind: die «Normalchristen», denen es aufgetragen ist, «in freier Initiative und ohne erst saumselig Weisungen und Vorschriften von anderer Seite abzuwarten, das Denken und die Sitten, die Gesetze und die Lebensordnungen ihrer Gemeinschaft mit christlichem Geist zu durchdringen» (Paul VI., Populorum progressio, 81, zit. in: Octogesima adveniens, 49).
Gerade in dieser Hinsicht, so scheint es dem Rezensenten, würde das Vermächtnis Madeleine Delbrêls seine erstaunliche Aktualität offenbaren: Ihr missionarisches und apostolisches Selbstverständnis beruhte nämlich nicht so sehr auf der Absicht, in das Elend der kommunistisch dominierten Vorstadt Ivry bestimmte sozialreformerische «Handlungskonzepte» einzubringen, sondern die Herzen jener Menschen für Gott zu öffnen und gerade dadurch Strukturen der Ungerechtigkeit überwinden zu helfen; das dazu notwendige Zeugnis der Gottesliebe muss, und so war es bei Madeleine Delbrêl, ein Zeugnis der Nächstenliebe sein, die selbst wiederum harte und kompetente Berufsarbeit ist, Schulter an Schulter mit jenen, an die der Apostel sich wendet. Solches Apostolat muss eben aus dem Innern der Welt heraus kommen. Das wusste gerade Madeleine Delbrêl; deshalb entschloss sie sich, das Leben der Arbeiter von Ivry zu teilen. Dennoch: sie und die Angehörigen ihrer «Equipen» kamen eben letztlich doch «von aussen»; und darin liegt nicht nur ihre Grösse, sondern wohl auch die Grenze ihres Vorbildcharakters.
Marianne Heimach-Steins Arbeit ­ abgerundet durch eine reichhaltige Bibliographie sowie ein ausführliches Personen- und ein Sachregister ­ birgt in sich manches Verdienst. Sie plädiert konsequent für eine Sicht, die allerdings nicht jedermann vollumfänglich zu teilen vermögen wird. Für die Begegnung mit Madeleine Delbrêl, die detaillierte Darstellung ihres spirituellen Profils vor allem im dritten Kapitel, sowie die Erschliessung von zum Teil noch unveröffentlichten Dokumenten kann man nur dankbar sein, auch wenn, was die Interpretation der Quellentexte betrifft, manches Fragezeichen angebracht ist. Man wird das Buch auf jeden Fall mit Nutzen lesen und, sei es durch Zustimmung oder durch Widerspruch, daraus Gewinn ziehen.


Anmerkungen

1 Marianne Heimbach-Steins, Unterscheidung der Geister ­ Strukturmoment christlicher Sozialethik. Dargestellt am Werk Madeleine Delbrêls, (Schriften des Instituts für christliche Sozialwissenschaften der Universität Münster, Band 31), LIT Verlag, Münster und Hamburg 1994, 303 S.

2 Franz Furger hatte in Münster dazu das Erstgutachten erstellt.

3 Erinnert sei hier an Monographien und Studien in deutscher Sprache: Katja Boehme, Gott aussäen: zur Theologie der weltoffenen Spiritualität bei Madeleine Delbrêl, (Studien zur systematischen und spirituellen Theologie, 19), Würzburg 1997 (Diss. theol. Freiburg i.Br.); Christine de Boismarin, Madeleine Delbrêl: Mystikerin der Strasse, München 1996, 2. neu bearbeitete Auflage; Gotthard Fuchs (Hrsg.), «... in ihren Armen das Gewicht der Welt». Mystik und Verantwortung: Madeleine Delbrêl, Frankfurt a.M. 1995; Annette Schleinzer, Die Liebe ist unsere einzige Aufgabe. Das Lebenszeugnis von Madeleine Delbrêl, Ostfildern 1994 (Diss. theol. Bamberg).

4 Beide liegen in deutscher Übersetzung vor, das erste unter dem Titel «Christ in einer marxistischen Stadt» (Frankfurt a.M. 1974), herausgegeben und mit einer ausgezeichneten Einführung versehen von Victor Conzemius, und als 2. deutsche Ausgabe in der Übertragung von Hermann Josef Bormann und anderen und mit einem Vorwort von Katja Boehme versehen in der Reihe «Theologia romanica» als Band 24 unter dem Titel «Auftrag des Christen: in einer Welt ohne Gott» (Einsiedeln 2000); das zweite (in der Übertragung von Hans Urs von Balthasar) unter dem Titel «Wir Nachbarn der Kommunisten» (Einsiedeln 1975). Als Band 25 der Reihe «Theologia romanica» liegt die deutsche Neuausgabe von «Indivisible amour» in der Übertragung von Martha Gisi und mit einem Vorwort von Katja Boehme versehen unter dem Titel «Die Liebe ist unteilbar» vor (Einsiedeln 2000; die Erstausgabe ­ Freiburg i.Br. 1992 ­ trug den Titel «Leben gegen den Strom»).


© Schweizerische Kirchenzeitung - 2002