43/2002

INHALT

Spitalseelsorge

Seelsorge im Spital

von Walter Burri

 

Das Kantonsspital Luzern feiert in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen. Mit dem Bau des Spitals im Jahre 1902 wurde auch eine Spitalkapelle errichtet, und im Stellenplan ist die Stelle eines Kaplans erstmals erwähnt. 1926 wird Folgendes berichtet: «Da die Seelsorge in der Krankenanstalt besonders bei der in den letzten Jahren stark angewachsenen Patientenzahl eine sehr anstrengende und verantwortungsvolle Aufgabe ist, hat der seit der Eröffnung der Krankenanstalt tätige Hochwürdige Herr Spitalpfarrer Halter aus Gesundheitsrücksichten resigniert, worauf er zum Kanonikus an das Stift Beromünster gewählt wurde. Für seine verdienstvolle Tätigkeit im Spital sei ihm an dieser Stelle der beste Dank ausgesprochen.»
Unsere Spitalseelsorge kann somit auf eine 100-jährige Geschichte zurückblicken. Sie hat sich in dieser Zeit personell erweitert und sich, den Bedürfnissen der Gesellschaft und des Spitals entsprechend, zu einem heute allseits sehr geschätzten interkonfessionellen Team entwickelt, das aus dem Spitalalltag nicht mehr wegzudenken ist.
Das Kantonsspital Luzern behandelt als Zentrumsspital der Innerschweiz im Jahr rund 23000 Patienten stationär und 70000 Patienten ambulant. Das Leistungsangebot umfasst sämtliche Spezialgebiete, von der kinderchirurgischen und pädiatrischen Versorgung bis hin zu Neurorehabilitation und Psychiatrie.
Der Stellenplan unseres Seelsorgeteams umfasst heute 550 Stellenprozente, das heisst vier römisch-katholische und eineinhalb evangelisch-reformierte Stellen, aufgeteilt in sieben Teilpensen. Das Team setzt sich aus zwei Theologinnen, zwei Theologen, einem Priester und zwei reformierten Pfarrern zusammen. Die Leitung des Teams liegt seit 1989 bei der einen Theologin. Dieses Team ist voll in den Spitalbetrieb integriert und präsentiert sich nach aussen als Einheit. Die Seelsorgerinnen und Seelsorger verfügen sowohl bei den Patientinnen und Patienten wie auch beim Pflegepersonal über ein hohes Ansehen.
Als Spitaldirektor kann ich auf Grund meiner 17-jährigen Spitalerfahrung die Bedeutung der Spitalseelsorge und das Anforderungsprofil für diese Aufgabe wie folgt umschreiben:

Zur Bedeutung der Spitalseelsorge

Das Spital hat sich in den letzen Jahren zu einem zunehmend teureren Dienstleistungszentrum entwickelt. Betriebswirtschaftliche Fragen wie Effizienzsteigerung, Kostentransparenz, Prozessoptimierung usw. sind in den Mittelpunkt gerückt. Als Folge davon verkürzte sich die Aufenthaltsdauer der Patientinnen und Patienten, nahmen Überforderung beim Personal und die allgemeine Hektik zu. Unter dem grossen Zeitdruck fallen Patientenkontakte manchmal unpersönlich aus, was zusätzlich zu Frustrationen führt. Überdies sind Patientinnen und Patienten oft selber gezeichnet von den Alltagsbelastungen in Beruf und Familie.
Für die Pflegenden bedeuten Arbeitsdruck und ständige Konfrontation mit Krankheit, Sterben und Tod eine beträchtliche Herausforderung. Als besonders belastend empfinden Pflegende den Mangel an Zeit für die Begleitung von Kranken und ihren Angehörigen. In dieser Situation nimmt die Seelsorge eine sehr wichtige Aufgabe wahr. Eine gute Zusammenarbeit zwischen Seelsorge und Pflege ist allerdings unerlässlich. Gerade diese Zusammenarbeit ermöglicht den Kranken eine hilfreiche Begleitung in schwerer Zeit.

Zum Aufgabenfeld

Das Aufgabenfeld der Spitalseelsorge ist vielfältig. Nebst den Krankenbesuchen, der Gestaltung von Kommunionfeiern und Gottesdiensten und manchen anderen Aufgaben kommt der Begleitung und Unterstützung des Spitalpersonals in Krisensituationen wie Todesfall in der Familie, schwere Krankheit, Überforderung im Beruf, eine zunehmend wichtige Bedeutung zu.
Das Dasein der Seelsorge, im Rahmen des Pikettdienstes rund um die Uhr, ist anspruchsvoll und erfordert physische und psychische Stabilität. Gerade bei Todesfällen ist es wichtig, dass die Angehörigen sorgfältig und kompetent begleitet werden.
Grundsätzlich sind die Seelsorgerinnen und Seelsorger beauftragt, die Patientinnen und Patienten der je eigenen Konfession zu besuchen. Selbstverständlich sind sie offen für alle Menschen, die ihren Besuch oder ihre Unterstützung wünschen. Sie pflegen überdies Kontakte zu den Vertretern der verschiedenen Konfessions- und Religionsgemeinschaften.
Die Beachtung der Datenschutzbestimmungen ist sehr wichtig. Während früher zwei Ordensfrauen die Spitaleintritte täglich an die Pfarreien meldeten, trat 1993 ein neues System in Kraft: Jede Patientin, jeder Patient wird bei Spitaleintritt gefragt, ob der Spitalaufenthalt dem Gemeindepfarramt mitgeteilt werden darf. Nur bei Zustimmung erscheint der Name auf der Konfessionsliste. Die Spitalseelsorge stellt den Kolleginnen und Kollegen in den Pfarreien einen Ausweis aus, damit sie die Konfessionsliste einsehen können. Somit übernehmen die Spitalseelsorger/Spitalseelsorgerinnen die Verantwortung dafür, an wen die Ausweise abgegeben werden. Dieses System hat sich gut bewährt.
Die «hauseigenen» Seelsorgerinnen und Seelsorger haben als Mitarbeitende des Spitals Zugang zu den für ihre Arbeit wichtigen Daten. Sie stehen jedoch, wie alle andern, unter der beruflichen Schweigepflicht.
Seit mehr als zwanzig Jahren bestehen in unserem Spital drei Gruppen von ehrenamtlichen Mitarbeitenden: IDEM (Im Dienste eines Mitmenschen); Gottesdiensthelferinnen; Sitznachtwachen.
Die so genannten «Sitznachtwachen» werden von zwei Krankenschwestern und drei Personen aus dem Seelsorgeteam rekrutiert, ausgebildet und supervisorisch begleitet. Die Sitznachtwachen leisteten im vergangenen Jahr 320 Einsätze. Die Gottesdiensthelferinnen bringen an Sonn- und Feiertagen die Patientinnen und Patienten von der Abteilung in den Hörsaal zum Gottesdienst.
Ebenfalls im Spitalzentrum befindet sich der Andachtsraum, welcher von der Spitalseelsorge gestaltet wurde. Dieser schön gestaltete Raum wird von Kranken, Angehörigen und Spitalmitarbeitenden als Ort der Stille und der Besinnung aufgesucht. Beim Neubau der Frauenklinik wurde besonderer Wert darauf gelegt, dass auch dieses Haus über einen entsprechenden, für alle Religionen einladenden Meditationsraum verfügt.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Das Angebot professioneller Begleitung im religiös-spirituellen Bereich bedeutet in der Situation einer schweren Krankheit oder eines Unfalles für Betroffene und Angehörige eine wertvolle Unterstützung. Nach meinen Erfahrungen bringt die Seelsorge Menschlichkeit und Anteilnahme in den Spitalalltag. Dadurch wird ein wesentlicher Beitrag zum guten Image des Spitals geleistet.

Zum Anforderungsprofil

Spitalseelsorge ist eine Aufgabe, die nebst der theologischen und seelsorglichen Ausbildung eine hohe Belastbarkeit und Kommunikationsfähigkeit erfordert. Vorausgesetzt wird aber auch die Fähigkeit, diskret und individuell auf den jeweiligen Menschen eingehen zu können und ihm sorgfältig zuzuhören. Missionarischer Eifer wäre vollkommen fehl am Platz.
Ich erachte es als unabdingbar, dass Spitalseelsorgerinnen und Spitalseelsorger diese Voraussetzungen erfüllen und sowohl theoretisch als auch praktisch auf diese Aufgabe vorbereitet werden. Wesentliche Kriterien sind zudem Teamfähigkeit und die Integration in das bereits bestehende Team.
In einem Spital, wo der hektische Alltag Anteilnahme oftmals in den Hintergrund drängt, nimmt die Spitalseelsorge ­ gleichsam als ruhender Pol ­ eine zunehmend wichtige Rolle ein. Aus meiner Sicht erfüllt das Seelsorgeteam des Kantonsspitals Luzern das Anforderungsprofil vollumfänglich und wird deshalb sehr geschätzt.

 

Walter Burri hat als Verwaltungsdirektor des Kantonsspitals Luzern seit 1985 den Vorsitz Spitalleitung inne.


Die Spitalschwestern

von Rolf Weibel

 

Auf dass die Armen geziemende Wartung erhalten, ordne ich an, dass in diesem Hospiz auf meine Kosten fromme und gut beleumundete Frauen in genügend grosser Anzahl unterhalten werden, um die Pflege der Armen sicherzustellen.» Mit dieser Absicht gründete Nicolas Rolin, Kanzler von Burgund, zusammen mit seiner Gattin Guigone de Salin, nach dem Hundertjährigen Krieg das «Hostel-Dieu ­ Hôtel-Dieu» von Beaune. Zur Eröffnung berief er 1452 eine Gruppe von Frauen aus dem Beginenhof von Mecheln (Flandern) nach Beaune. Die auf diese Gruppe zurückgehenden Hôtel-Dieu-Schwestern bzw. Spitalschwestern können dieses Jahr deshalb ihr 550-jähriges Bestehen feiern. 1697 verband der Bischof von Besançon die Hôtel-Dieu-Schwesterngemeinschaften seines Bistums zu einer Kongregation. 1830 berief der Stadtrat von Luzern Besançoner Schwestern an das alte Bürgerspital, das spätere Kantonsspital (1902). Die ersten Schwestern waren ausschliesslich Französinnen. Erst 1943 konnte für Schweizerinnen in Luzern ein eigenes Noviziat eröffnet werden. Im Gefolge des Zweiten Vatikanischen Konzils überdachten die Spitalschwestern ihre Situation im modernen Spitalwesen und besannen sich auf das reiche spirituelle Erbe von Beaune und Besançon. Für die Spitalschwestern von Luzern führte dies zu einer Ablösung von Besançon: 1977 wurden sie eine selbständige Kongregation.<1> Ihre 25-jährige Eigenständigkeit beging die Kongregation am 22. September 2002 mit einer öffentlichen Dankfeier unter dem Leitwort: «Wo wir aufhören ­ fängt Gott neu an.» Ab 1950 traten immer mehr Laien in den Pflegedienst ein, und ab 1990 zogen sich die Schwestern schrittweise aus dem Kantonsspital zurück. Es entstanden neue Gemeinschaftsformen und es wurden neue Hôtel-Dieu-Aufgaben gefunden. Heute zählt die Gemeinschaft 49 Schwestern, die in kleineren Gruppen leben und vielfältige Aufgaben erfüllen.
Auf das letzte Generalkapitel hin hat sich die Gemeinschaft intensiv mit ihrer konkreten Situation, mit dem persönlichen und gemeinschaftlichen Älterwerden auseinandergesetzt. Die Schwestern wollen ihr Altern und auch das mögliche Sterben als Gemeinschaft bewusst mitvollziehen und gestalten. Daraus ergab sich für die Jahre bis zum nächsten Generalkapitel (2005) der Leitsatz: «ÐHeimisch werden beim Ursprung.ð Sterbend lebendig bleiben: Einkehren ins Hôtel-Dieu.» Dazu führt das Kapitelsdokument aus:
«Der Leitsatz ist eine radikale und existentielle Herausforderung. In unserer Auseinandersetzung durften wir aber eine befreiende Entdeckung machen: wir selber sind eingeladen, jetzt vermehrt Gäste zu sein im Hôtel-Dieu. Noch bis vor kurzem waren viele von uns Gastgeberinnen. Wir haben Bedürftige und Arme beherbergt, ihnen ein Stück Heimat angeboten. Wir haben sie in ihren Nöten und Schmerzen begleitet und so versucht, Gottes barmherzige Liebe erfahrbar zu machen. Jetzt sind wir selber die Gäste und dürfen diese Gastfreundschaft in Anspruch nehmen. Das will nicht heissen, dass wir uns einfach hinsetzen und uns nur verwöhnen lassen. Unsere Sendung geht weiter. Sie will jetzt vermehrt sichtbar werden in ihrer geistig-geistlichen Dimension und im Gebet und so zum Zeichen werden für unsere alternde Gesellschaft. Unser Sterben, unser Angewiesen- und Gastsein, unser bewusstes Einwilligen in die Minderungen kann so zur Kraftquelle werden und uns in eine neue Lebendigkeit führen. Diesen Prozess der Hingabe wollen wir in den nächsten Jahren bewusst und illusionslos leben.
Mit fünf Schwerpunkten haben wir uns im Generalkapitel ausführlich beschäftigt. Zuhanden der Leitung haben wir für die Arbeit mit und in den Lebensgemeinschaften Unterlagen erarbeitet.
Wichtige Akzente unserer Diskussion sind in die folgenden Themen-Formulierungen eingeflossen. Sie können und wollen nicht mehr als Schwerpunkte unserer persönlichen und gemeinschaftlichen Beschäftigung umrisshaft verdeutlichen. Wir hoffen, unsere Mitschwestern finden darin ihr Stichwort, das sie einlädt und ermutigt zu ihrem eigenen Vertiefungs-Weg.

In der Arbeit mit diesen Themenschwerpunkten, so sind die Spitalschwestern überzeugt, werden sie «Schritte tun können auf dem Weg zu sich selbst, auf dem Weg zueinander und miteinander, auf dem Weg mit anderen und für andere». Und in diesen wachsenden Kreisen soll sich ihr geistliches Leben in den verschiedenen Lebensphasen und Gemeinschaften entfalten können.


Anmerkung

1 Rolf Weibel, Die Kongregation der Spitalschwestern von Luzern, in: SKZ 145 (1977) Nr. 51­21, S. 766f.


© Schweizerische Kirchenzeitung - 2002