43/2002

INHALT

Lesejahr A

Ermächtigung 3: Gottes Wort wirkt

Regula Grünenfelder zu 1 Thess 2,7b-9.13

 

Auf den Text zu

Die drei Absender behaupten und verteidigen ihr unzweideutiges Engagement in einem längeren Abschnitt (2,1­12). Für die Lesung wurden daraus zwei Sätze gewählt: Im Bild der stillenden Mutter beschwören die drei ihre Liebe zur Gemeinde (7b­8). Anschliessend erinnern sie daran, dass sie Nacht und Tag gearbeitet haben, um niemandem zur Last zu fallen (9).
Die Echtheit der Missionspredigt sollen die Adressatinnen und Adressaten an ihrer Erfahrung ablesen: «Es [das Gotteswort] erweist sich ja in euch, den Glaubenden, als wirksam.» Diese Wirkung unterscheidet Menschenwort vom Menschenwort, durch das Gotteswort durchklingt (per-sonare).

Mit dem Text unterwegs

Die grosse Selbstverteidigung der Apostel hat zu historischen Mutmassungen über entsprechende Vorwürfe und Gegner geführt. Bekannt ist nichts. Jedenfalls ist aus dem Kontext auszuschliessen (v.a. Vers 15), dass es dabei um jüdische Neider und Neiderinnen geht (so Otto Knoch). Wahrscheinlicher sind die Gegner/Gegnerinnen Landsleute der jungen Gemeinde, die deren Verhalten nicht mehr verstehen können.
Das Bild der Stillenden, es stammt aus dem profangriechischen Umfeld, überrascht in doppelter Hinsicht: Erstens ist es nicht üblich, Frauenerfahrungen als Bilder für Führungsaufgaben heranzuziehen. Allerdings ist das augenfällige Machtgefälle mit ein Grund für seine Beliebtheit, aber auch Ambivalenz. In ausserbiblischen Texten ist jeweils eindeutiger von der Amme die Rede, während hier die stillende Frau ihre eigenen Kinder versorgt.
Zweitens überrascht, dass die Absender das Evangelium Gottes und das Anteilgeben am eigenen Leben voneinander trennen, ja, letzteres sogar als grössere Gabe verstehen. Die beiden Aspekte (Evangelium und Vermittlung ­ Milch und Stillbeziehung) können grundsätzlich nicht und müssen auch hier nicht gegeneinander ausgespielt werden. Der ganze Brief spricht davon, dass das Evangelium nur über Beziehung, Vorbild und Nachgestaltung, erfasst werden kann.
Der ganze Abschnitt verteidigt die Lauterkeit der Verkündigung und ist primär als Selbstaussage, als Wir-Botschaft, zu lesen. Dies zeigt sich besonders im folgenden Satz. Paulus und seine Gefährten erinnern an ihre Rastlosigkeit im Bemühen, niemandem zur Last zu fallen. Geht es hier um die Zurückhaltung von Wandermissionaren, ökonomisch armen Leuten nicht noch das Wenige zum Leben wegzuessen? Es ist durchaus möglich, dass die Gemeinde auf die Selbstversorgung der drei Missionare angewiesen war. Paulus hatte von anderen (reicheren) Gemeinden wie Philippi Zuwendungen angenommen, gerade auch für seine Zeit in Thessalonich (Phil 4,15f). Im Zusammenhang mit der Rechtfertigung gesehen geht es hier auch um die Glaubwürdigkeit der Prediger, die sich an ihrer Mission nicht bereichern. Allerdings bleibt die Vehemenz erstaunlich.
Im Text ist das Mutterbild nicht ganz so eng an die Behauptung gebunden, niemandem zur Last zu fallen. Zum Glück ­ in der Lesungsauswahl klingt nun allerdings ein lästiges Klischee an, das Müttern bis heute das Leben schwer macht: Mütter geben alles und geben sich vor allem Mühe, niemandem zur Last zu fallen. Hier spielten und spielen reale Verlust- und Existenzängste eine Rolle. Wer sich ständig bemüht, nicht lästig zu sein, ist es natürlich erst recht. Auch die Missionare wussten, dass ihre Botschaft, die gewohnte Nachbarschaften, Arbeitszusammenhänge und vertraute Grenzen sprengte, lästig war. Ob sie vielleicht als Personen mit ihrem rastlosen Arbeiten Nacht und Tag auch lästig fielen?
Das Wort, das die Gemeinde von Thessalonich angenommen hat, ist umständlich, aber präzise charakterisiert. Das zum Hören bestimmte Wort, das Predigtwort, ergeht durch die Apostel. Gottes Wort klingt durch das Menschenwort hindurch (per-sonare). Die Hörenden nehmen Gottes Wort im Menschenwort in zwei Schritten auf: Zuerst empfangen sie es, dann nehmen sie es aktiv entgegen.
Die Echtheit ihrer Mission können die drei Apostel weder sich noch den Adressaten und Hörerinnen beweisen. Hier werden die rastlosen Schaffer endlich zur Passivität gezwungen. Ob Gottes Wort im Menschenwort ist, zeigt sich daran, ob Gottes Wort in den Hörenden wirkt. Die drei Missionare können die Gemeinde nur einladen, dieses Wirken am eigenen Leben wahrzunehmen. Wieder kommt das Grundthema des Briefes zum Tragen: Die Kraft des Wortes wird sichtbar in der Lesbarkeit der Menschen als Glaubende (14, vgl. Lesung zum vergangenen Sonntag).

Über den Text hinaus

Die Lesung sollte nicht unkommentiert vorgelesen werden, damit das lebensfeindliche Klischee von den rastlosen Müttern, die niemandem zur Last fallen dürfen, nicht weiter Nahrung erhält. Schliesslich folgt nach dieser durch die Lesung zu eng verbundenen Kombination von Mutterbild und angestrengte Sorge der Dank für die Aufnahme des Wortes nicht als Menschen-, sondern als Gottes Wort. Und dieses kann gedeutet werden als Ermächtigung, den eigenen Weg zu gehen, auch wenn es anderen lästig ist, als Ermutigung, sich selber und den Geschwistern als Glaubende oder Glaubender deutlich zu werden.

 

Literatur: Otto Knoch, 1. und 2. Thessalonicherbrief. Stuttgarter Kleiner Kommentar Neues Testament 12, Stuttgart 1987; Elisabeth Schüssler Fiorenza, Zu ihrem Gedächtnis. Eine feministisch-theologische Rekonstruktion der christlichen Ursprünge, München 1988.


Er-lesen

Ganzer Abschnitt zur Selbstverteidigung der Apostel lesen. Welche Argumente werden aufgeführt? Welche wählt die Lesung aus?

Er-hellen

Bei aller Verschiedenheit der biblischen Worte Gottes ­ die Wirkkraft ist ihr entscheidendes Merkmal. Es wirkt im Schöpfungsbericht oder im direkten Reden Gottes mit den Menschen im Paradiesgarten, in Kriegsgeschichten oder in Berufungserzählungen (z.B. Jes 6,8­16) ebenso wie in Gesetzen, die als Wort Gottes charakterisert werden, wie beispielsweise der Dekalog oder das ganze Bundesbuch.
Eine besondere Kategorie bilden die Worte Gottes, die durch Menschen vermittelt werden. Da geht es jeweils nicht um den Gegensatz zwischen Menschenwort und Gotteswort, sondern darum, ob im Menschenwort Gotteswort wirksam wird. Was dies bedeutet, zeigt der Streit um die Wahrheit prophetischer Botschaft: Wenn das prophetische Wort in Erfüllung geht, dann zeigt sich, ob der Prophet von Gott gesandt ist (Jer 28,9), ob durch sein Menschenwort Gotteswort klingt.

Er-leben

Wie können wir erkennen, ob im Menschenwort Gotteswort wirkt? (In kleinen Gruppen) Erfahrungen austauschen, Kriterien suchen. Ist jedes Bibelwort (für mich, für Menschen, die in anderen Lebenssituationen stecken) Wort Gottes?
Austausch in der Lektoren-/Lektorinnengruppe oder unter Predigern/Predigerinnen: Was bedeutet es, das Wort Gottes durch mich hindurchtönen zu lassen? Wie bereite ich mich vor? Wie kann ich mich entschieden engagieren und gleichzeitig loslassen, da das Wirken unter den Zuhörern/Zuhörerinnen nicht an die Vorleserin/den Vorleser gebunden ist?


© Schweizerische Kirchenzeitung - 2002