43/2002 | |
INHALT |
Lesejahr A |
Die drei Absender behaupten und verteidigen ihr unzweideutiges Engagement
in einem längeren Abschnitt (2,112). Für die Lesung wurden
daraus zwei Sätze gewählt: Im Bild der stillenden Mutter beschwören
die drei ihre Liebe zur Gemeinde (7b8). Anschliessend erinnern sie
daran, dass sie Nacht und Tag gearbeitet haben, um niemandem zur Last zu
fallen (9).
Die Echtheit der Missionspredigt sollen die Adressatinnen und Adressaten
an ihrer Erfahrung ablesen: «Es [das Gotteswort] erweist sich ja in
euch, den Glaubenden, als wirksam.» Diese Wirkung unterscheidet Menschenwort
vom Menschenwort, durch das Gotteswort durchklingt (per-sonare).
Die grosse Selbstverteidigung der Apostel hat zu historischen Mutmassungen
über entsprechende Vorwürfe und Gegner geführt. Bekannt ist
nichts. Jedenfalls ist aus dem Kontext auszuschliessen (v.a. Vers 15), dass
es dabei um jüdische Neider und Neiderinnen geht (so Otto Knoch). Wahrscheinlicher
sind die Gegner/Gegnerinnen Landsleute der jungen Gemeinde, die deren Verhalten
nicht mehr verstehen können.
Das Bild der Stillenden, es stammt aus dem profangriechischen Umfeld, überrascht
in doppelter Hinsicht: Erstens ist es nicht üblich, Frauenerfahrungen
als Bilder für Führungsaufgaben heranzuziehen. Allerdings ist
das augenfällige Machtgefälle mit ein Grund für seine Beliebtheit,
aber auch Ambivalenz. In ausserbiblischen Texten ist jeweils eindeutiger
von der Amme die Rede, während hier die stillende Frau ihre eigenen
Kinder versorgt.
Zweitens überrascht, dass die Absender das Evangelium Gottes und das
Anteilgeben am eigenen Leben voneinander trennen, ja, letzteres sogar als
grössere Gabe verstehen. Die beiden Aspekte (Evangelium und Vermittlung
Milch und Stillbeziehung) können grundsätzlich nicht und
müssen auch hier nicht gegeneinander ausgespielt werden. Der ganze
Brief spricht davon, dass das Evangelium nur über Beziehung, Vorbild
und Nachgestaltung, erfasst werden kann.
Der ganze Abschnitt verteidigt die Lauterkeit der Verkündigung und
ist primär als Selbstaussage, als Wir-Botschaft, zu lesen. Dies zeigt
sich besonders im folgenden Satz. Paulus und seine Gefährten erinnern
an ihre Rastlosigkeit im Bemühen, niemandem zur Last zu fallen. Geht
es hier um die Zurückhaltung von Wandermissionaren, ökonomisch
armen Leuten nicht noch das Wenige zum Leben wegzuessen? Es ist durchaus
möglich, dass die Gemeinde auf die Selbstversorgung der drei Missionare
angewiesen war. Paulus hatte von anderen (reicheren) Gemeinden wie Philippi
Zuwendungen angenommen, gerade auch für seine Zeit in Thessalonich
(Phil 4,15f). Im Zusammenhang mit der Rechtfertigung gesehen geht es hier
auch um die Glaubwürdigkeit der Prediger, die sich an ihrer Mission
nicht bereichern. Allerdings bleibt die Vehemenz erstaunlich.
Im Text ist das Mutterbild nicht ganz so eng an die Behauptung gebunden,
niemandem zur Last zu fallen. Zum Glück in der Lesungsauswahl
klingt nun allerdings ein lästiges Klischee an, das Müttern bis
heute das Leben schwer macht: Mütter geben alles und geben sich vor
allem Mühe, niemandem zur Last zu fallen. Hier spielten und spielen
reale Verlust- und Existenzängste eine Rolle. Wer sich ständig
bemüht, nicht lästig zu sein, ist es natürlich erst recht.
Auch die Missionare wussten, dass ihre Botschaft, die gewohnte Nachbarschaften,
Arbeitszusammenhänge und vertraute Grenzen sprengte, lästig war.
Ob sie vielleicht als Personen mit ihrem rastlosen Arbeiten Nacht und Tag
auch lästig fielen?
Das Wort, das die Gemeinde von Thessalonich angenommen hat, ist umständlich,
aber präzise charakterisiert. Das zum Hören bestimmte Wort, das
Predigtwort, ergeht durch die Apostel. Gottes Wort klingt durch das Menschenwort
hindurch (per-sonare). Die Hörenden nehmen Gottes Wort im Menschenwort
in zwei Schritten auf: Zuerst empfangen sie es, dann nehmen sie es aktiv
entgegen.
Die Echtheit ihrer Mission können die drei Apostel weder sich noch
den Adressaten und Hörerinnen beweisen. Hier werden die rastlosen Schaffer
endlich zur Passivität gezwungen. Ob Gottes Wort im Menschenwort ist,
zeigt sich daran, ob Gottes Wort in den Hörenden wirkt. Die drei Missionare
können die Gemeinde nur einladen, dieses Wirken am eigenen Leben wahrzunehmen.
Wieder kommt das Grundthema des Briefes zum Tragen: Die Kraft des Wortes
wird sichtbar in der Lesbarkeit der Menschen als Glaubende (14, vgl. Lesung
zum vergangenen Sonntag).
Die Lesung sollte nicht unkommentiert vorgelesen werden, damit das lebensfeindliche Klischee von den rastlosen Müttern, die niemandem zur Last fallen dürfen, nicht weiter Nahrung erhält. Schliesslich folgt nach dieser durch die Lesung zu eng verbundenen Kombination von Mutterbild und angestrengte Sorge der Dank für die Aufnahme des Wortes nicht als Menschen-, sondern als Gottes Wort. Und dieses kann gedeutet werden als Ermächtigung, den eigenen Weg zu gehen, auch wenn es anderen lästig ist, als Ermutigung, sich selber und den Geschwistern als Glaubende oder Glaubender deutlich zu werden.
Literatur: Otto Knoch, 1. und 2. Thessalonicherbrief. Stuttgarter Kleiner Kommentar Neues Testament 12, Stuttgart 1987; Elisabeth Schüssler Fiorenza, Zu ihrem Gedächtnis. Eine feministisch-theologische Rekonstruktion der christlichen Ursprünge, München 1988.
Ganzer Abschnitt zur Selbstverteidigung der Apostel lesen. Welche Argumente werden aufgeführt? Welche wählt die Lesung aus?
Bei aller Verschiedenheit der biblischen Worte Gottes die Wirkkraft
ist ihr entscheidendes Merkmal. Es wirkt im Schöpfungsbericht oder
im direkten Reden Gottes mit den Menschen im Paradiesgarten, in Kriegsgeschichten
oder in Berufungserzählungen (z.B. Jes 6,816) ebenso wie in Gesetzen,
die als Wort Gottes charakterisert werden, wie beispielsweise der Dekalog
oder das ganze Bundesbuch.
Eine besondere Kategorie bilden die Worte Gottes, die durch Menschen vermittelt
werden. Da geht es jeweils nicht um den Gegensatz zwischen Menschenwort
und Gotteswort, sondern darum, ob im Menschenwort Gotteswort wirksam wird.
Was dies bedeutet, zeigt der Streit um die Wahrheit prophetischer Botschaft:
Wenn das prophetische Wort in Erfüllung geht, dann zeigt sich, ob der
Prophet von Gott gesandt ist (Jer 28,9), ob durch sein Menschenwort Gotteswort
klingt.
Wie können wir erkennen, ob im Menschenwort Gotteswort wirkt? (In
kleinen Gruppen) Erfahrungen austauschen, Kriterien suchen. Ist jedes Bibelwort
(für mich, für Menschen, die in anderen Lebenssituationen stecken)
Wort Gottes?
Austausch in der Lektoren-/Lektorinnengruppe oder unter Predigern/Predigerinnen:
Was bedeutet es, das Wort Gottes durch mich hindurchtönen zu lassen?
Wie bereite ich mich vor? Wie kann ich mich entschieden engagieren und gleichzeitig
loslassen, da das Wirken unter den Zuhörern/Zuhörerinnen nicht
an die Vorleserin/den Vorleser gebunden ist?