19/2002 | |
INHALT |
Lesejahr A |
In der Gemeinde von Korinth muss es manchmal turbulent zugegangen sein. Einer der Gründe ist gewiss in der unterschiedlichen Herkunft der Menschen zu suchen, die dort zusammenkamen. Die sozialen und kulturellen Gegensätze führten zu Spannungen, und die entluden sich vor allem in erwartungsbeladenen Situationen wie zum Beispiel den gemeinsamen Gottesdiensten (vgl. 1 Kor 11). Zu manchen Turbulenzen führte aber auch die Aufbruchsstimmung, die die Menschen erfasst hatte. Sie hatten die Kraft des Geistes am eigenen Leib erfahren und überraschten sich und andere mit ungeahnten Fähigkeiten. Bei aller gemeinsamen Begeisterung scheint es aber bald Leute gegeben zu haben, die ihre Fähigkeiten für besser hielten als die anderer Leute. Rangordnungen entstanden dort, wo es ein buntes Nebeneinander verschiedenster Begabungen gegeben hatte, und einige beanspruchten darüber hinaus, den Geist für sich alleine gepachtet zu haben. Das veranlasst Paulus zu seinen Ausführungen über die Geistesgaben in 1 Kor 12.
Die Lesungsordnung wählt zwei Abschnitte aus 1 Kor 12 aus und fügt
sie zu einem neuen Text zusammen. Nun steht das Thema der Einheit im Zentrum
der Lesung, während im gesamten Kapitel sowohl die geistgewirkte Vielfalt
des Gemeindelebens zum Ausdruck kommt wie auch die ihr zu Grunde liegende
Einheit, die ebenfalls durch den einen Geist gewährleistet wird. Eine
Lektüre des gesamten Kapitels macht die turbulente Gemeindewirklichkeit
in Korinth greifbarer und verankert den Lesungstext stärker in der
dortigen Lebenswirklichkeit. Dennoch sollen im Folgenden vor allem die von
der Lesung ausgewählten Verse kommentiert werden.
Der Lesungstext beginnt mit dem zweiten Teil eines Satzes, der in seiner
Gänze schwer zu erklären ist: «Keiner, der aus dem Geist
Gottes redet, sagt: Jesus sei verflucht! Und keiner kann sagen: Jesus ist
der Kyrios!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet» (12,3). Viele
Vermutungen sind über diese Verfluchung schon angestellt worden: Es
könnte sich um eine Verteidigungsstrategie vor Gericht gehandelt haben,
die dann später als Eingabe des Heiligen Geistes ausgegeben worden
sei. Oder es könnte eine gnostisch geprägte Verwerfung des irdischen
Jesus dahinter stehen. Wahrscheinlich hat Paulus diesen Kontrast konstruiert,
um im Anschluss an 12,2 zu zeigen, dass das Christsein von der Versklavung
durch die Mächte aus «heidnischer» Zeit befreit. Dies vertieft
er im zweiten Teil des Satzes: Wenn mit der Taufe der Heilige Geist verliehen
wird, dann sind Christinnen und Christen seit ihrer Taufe in der Lage, Jesus
als den Kyrios zu bekennen, das heisst ihn über jeden anderen Herrn
und das heisst zum Beispiel auch: über den Kaiser! zu stellen
und ihr Leben nach dem Evangelium zu gestalten.
12,46 führen in drei parallel aufgebauten Sätzen das Thema
des Heiligen Geistes weiter. Paulus weist einerseits nach, dass in all den
Fähigkeiten und Phänomenen der Gemeinde ein einziger und identischer
Geist wirkt. Zum anderen setzt er diesen Geist zum Kyrios Jesus und zum
Schöpfergott in Beziehung. In dieser und anderen triadischen Formulierungen,
die sich in biblischen Texten finden lassen, liegen Anknüpfungspunkte
für das erst viel später entfaltete trinitarische Denken.
Jene Geistkraft also, die bei der Taufe empfangen wird, bewirkt im Leben
der Getauften sicht- und spürbare Veränderungen. Das zeigt sich
in den Charismen, die diese Frauen und Männer jetzt für die Gemeinde
einsetzen. Das Wort Charisma, das in der hellenistischen Umgangssprache
kaum gebraucht wird, meint eigentlich etwas wie «Gunsterweis».
Ein Charisma ist also ein Geschenk, etwas Empfangenes. Die uns heute geläufige
inhaltliche Füllung geht auf Paulus zurück, der das Wort als Reaktion
auf die erfahrene Gemeindewirklichkeit und im Zusammenhang seiner Tauf-
und Geisttheologie auf spezifische Weise prägte. Bei der Taufe empfangen
Christinnen und Christen den Geist, und dieser bewirkt und entfaltet sich
in verschiedenen Fähigkeiten und Gaben, wie sie Paulus zum Beispiel
in 1 Kor 12,811 oder 12,2831 aufzählt (vgl. auch Röm
12,68). Diese den Einzelnen verliehenen Gnadengaben meint auch das
Wort «Offenbarung» in 12,7. Es geht hier nicht um den Empfang
spezieller Offenbarungsinhalte.
Bei allem sind diese geistgewirkten Fähigkeiten aber kein Selbstzweck,
sondern sie unterstehen dem Kriterium des Nutzens für die Gemeinde
(12,7). Der Geist ist demnach für Paulus «jene dynamische Kraft,
mit der Gott in die Gemeinde hineinwirkt» (Klauck 87). Er tut dies
aber, wie sowohl die anschliessende Charismenliste wie auch das gesamte
Gemeindeleben in Korinth zeigen, keineswegs auf uniforme Weise. Sondern
Kennzeichen dieser bewegenden Geistkraft sind Vielfalt und pulsierendes
Leben.
Wahrscheinlich sind die in der Folge dieser Be-GEIST-erung auftretenden
Debatten und Konflikte in Korinth der Grund, warum Paulus ab 12,12 die Einheit
betont, die dieser Vielfalt zu Gunde liegt und die die Gemeinde in ihrer
Vielgestaltigkeit zusammenhält. Diese Einheit liegt für Paulus
wiederum in dem selben Geist begründet, der alle Getauften zu Gliedern
eines einzigen Leibes, nämlich der Gemeinde als Leib Christi, macht.
Diese Zusammengehörigkeit der verschiedenen Menschen in einem Leib
nimmt in der sozialen Realität der Gemeinde konkrete Gestalt an: Die
Unter- und Überordnungen, die die antike Gesellschaft strukturierten
und jedem Menschen einen festen Platz in der gesellschaftlichen Hierarchie
zuwiesen, verlieren in der Gemeinde ihre Gültigkeit (vgl. Gal 3,2628).
Der Geist bringt also einiges in Bewegung. Nicht nur, dass Frauen und
Männer ungeahnte Fähigkeiten erhalten, öffentlich zu reden
und zu prophezeien beginnen, die Schrift auslegen und die Auslegungen der
anderen kritisieren, Kranke heilen und vor Gericht keine Angst mehr haben
(vgl. 12,811). Sondern auch die gesellschaftlichen Ordnungen, die die
Machtverteilung zwischen oben und unten garantierten und stabilisierten,
wurden durcheinander geschüttelt. Ab 12,14 entfaltet Paulus ein Bild
der Gemeinde, in der alle zwar verschiedene, doch gleichwertige Glieder
eines Leibes sind und von dem nicht einmal ein Haupt besonders hervorgehoben
wird, im Unterschied etwa zu Kol 3,18, das Christus als Haupt dem Leib der
Kirche gegenüberstellt.
Es ist eine bewegende Vision von Kirche. Gegenüber engführenden
Uniformitätswünschen erscheint Paulus als Anwalt des Pluralismus,
ohne jedoch die zu Grunde liegende Einheit in der Geistkraft aus den Augen
zu verlieren. Menschen werden in ihren Fähigkeiten ernst genommen,
sie werden unabhängig von Status und Herkunft gewürdigt und prägen
in der ihnen verliehenen Vollmacht das Gesicht der Gemeinde.
Literatur: Hans-Josef Klauck, 1. Korintherbrief, (Die Neue Echter Bibel, Neues Testament, Bd. 7), Würzburg 21987; Luise Schottroff, Der erste Brief an die Gemeinde in Korinth. Wie Befreiung entsteht, in: Dies./Marie-Theres Wacker (Hrsg.), Kompendium Feministische Bibelauslegung, Gütersloh 21999, 574592.
Den Lesungstext im Rahmen des gesamten Kapitels lesen.
Die verschiedenen Auswirkungen der Geistkraft herausarbeiten und ein plastisches Bild der korinthischen Gemeindewirklichkeit zeichnen.
Inwieweit ist der Text eine Anfrage an heutige Kirchen- und Gemeinderealität?