5/2002

INHALT

Lesejahr A

Die Macht der Worte und die Kraft der Botschaft

Sabine Bieberstein zu 1 Kor 2,1-5

 

Auf den Text zu

Moderne Kommunikationstheorien sind sich einig: Was wir sagen wollen, kommt bei unseren Gegenübern nicht nur auf Grund des Inhalts der Worte an, sondern zum allergrössten Teil über andere Kanäle. Mindestens 55% einer jeden Botschaft wird visuell vermittelt, das heisst über Gestik, Mimik und Körperhaltung. Ungefähr 38% hängt an der Stimme und Tonfall, und nur 7% (!) wirkt über den Inhalt.
Von weiteren Verstehensbedingungen ganz zu schweigen. Eine ernüchternde Erkenntnis für alle, die sich um durchdachte Argumentationen, wohlgesetzte Worte und ausgereifte Inhalte in ihren Äusserungen bemühen. Hingegen haben sich Kommunikations- und Werbeindustrie diese Erkenntnisse längst zu eigen gemacht. Effektvoll werden Stimme, Körper und viele andere Signale eingesetzt, um auf die Adressatinnen und Adressaten einzuwirken und die angestrebten Ziele zu erreichen. Auch in weiten Bereichen von Wirtschaft und Politik ist ohne entsprechendes Outfit, Auftreten und Überzeugungsstrategien nicht viel zu machen. Die Frage nach dem Inhalt darf dabei schon einmal auf der Strecke bleiben.
Bei Paulus scheint es andersherum gegangen zu sein. Nach seiner Darstellung in 1 Kor 2,1­5 muss seine erste Verkündigung in Korinth das glatte Gegenteil dessen gewesen sein, was von einem guten Redner erwartet werden konnte. Weder durch Überredungsstrategien noch durch gelehrte Worte noch durch ein effektvolles, sicheres und überzeugendes Auftreten konnte oder wollte Paulus die Korintherinnen und Korinther für seine Botschaft gewinnen. Die Botschaft allein sollte wirken. Und er kann im Rückblick einigen Erfolg konstatieren. Das musste seiner Meinung nach mit mehr als nur seinem eigenen Können zu tun haben.

Mit dem Text unterwegs

Wie schon im vorherigen Abschnitt (Nicht viele Weise, nicht viele Mächtige, 1,26­31) arbeitet Paulus in 2,1­5 mit Gegensatzpaaren, die beispielhaft die Botschaft vom Kreuz (1,18­25) erläutern sollen. Diesmal betreffen die Gegensätze die Person des Paulus selbst sowie die Art seiner Verkündigung in Korinth. Die Art und Weise, wie Paulus die Oppositionen einsetzt, schliesst sich jedoch eng an das Vorausgehende an. So wie die christliche Gemeinde von Korinth in ihrer Zusammensetzung nicht dem entsprach, was gesellschaftlich hätte nützlich sein können, so entsprach auch Paulus in seiner Verkündigung nicht dem, was erwartet wurde und womit er seinen Erfolg hätte sicherstellen können. Und so wie in der christlichen Gemeinde gerade in ihrer Zusammensetzung erfahrbar wurde, dass sich Gott auf die Seite der Ohnmächtigen und Verachteten gestellt hat, so wird gerade durch die Schwäche der Verkündigung des Paulus die Kraft der Botschaft vom Gekreuzigten deutlich.
Mag sein, dass Paulus mit dieser negativen Darstellung seiner Verkündigung Vorwürfe aufgreift, die ihm ­ womöglich von Seiten der Anhänger und Anhängerinnen des redegewandten und gebildeten Apollos (vgl. 1,12) ­ gemacht wurden. Auch nach 2 Kor 11,6 scheint ihm ja nachgesagt worden zu sein, ein schlechter Redner zu sein. Im Blick auf den Parteienstreit von Korinth (vgl. 1,10­17) kann Paulus auf diese Weise aber klarstellen, dass er mit seiner Art des Auftretens jedenfalls nicht dazu beigetragen hat, als Person favorisiert oder als «Star» gehandelt zu werden (vgl. auch 2,5).
Für Paulus ist aber seine mangelnde rhetorische Perfektion und die Abgrenzung vom korinthischen Weisheitsverständnis mehr als nur Strategie. Sie ist in der Sache begründet: Zentrum seiner Botschaft ist Jesus Christus als Gekreuzigter, den er als «Zeugnis Gottes» ­ oder nach anderer Lesart «Geheimnis Gottes» ­ verkündet (2,1f.). Wer aber ausgerechnet in einem gekreuzigten Messias etwas vom tiefsten Geheimnis Gottes erkennt, kann von diesem nicht unerschüttert und mit unberührbarer Perfektion verkünden, sondern kann nur in aller Unsicherheit, tastend und die Gebrochenheit des Lebens ernst nehmend davon sprechen.
Genau dies scheint Paulus getan zu haben: In 2,1 stellt Paulus seinem eigenen Verkünden sowohl die Regeln der Rhetorik als auch das von den Korinthern und Korintherinnen offenbar gepflegte Weisheitsverständnis gegenüber. Beidem entspricht er nicht. In 2,3 thematisiert er seine Erscheinungsweise: in Schwachheit und Furcht, zitternd und bebend. Dies widerspricht krass der von einem überzeugenden Redner geforderten Souveränität. Möglicherweise hat diese Art des Auftretens etwas mit seiner Krankheit zu tun, über die schon viel gerätselt worden ist. Im Letzten jedoch ist es auch hier in der Botschaft begründet, die nach gängigen Massstäben eine «Torheit» darstellt (vgl. 1,21). Nach 2,4a wandte Paulus dennoch keine Überredungskünste an, etwa, um die «Torheit» der Botschaft auszugleichen. Damit respektiert er zum einen die Mündigkeit der Zuhörenden. Noch wichtiger aber ist für ihn, dass auf diese Weise Raum für die schöpferische Kraft des Geistes entsteht, die er in seiner Verkündigung am Werk sieht (2,4b). Letztlich ist es diese Kraft, die allen «Erfolg», das heisst das Hören und Glauben der Menschen, bewirkt (2,5).

Über den Text hinaus

Das Nachdenken des Paulus über seine Verkündigungstätigkeit wirft Fragen über heutige kirchliche Verkündigung auf. Diese muss auf weite Strecken einer Gratwanderung gleichen. Denn da sind die Regeln moderner Kommunikation, da sind die Gegebenheiten von Wirtschaft und Politik, zwischen denen sie sich Gehör verschaffen muss. Und da ist das Evangelium mit seinem Wort vom Kreuz (vgl. 2,2) und der gar nicht trendigen Botschaft, dass Gott sich auf die Seite der Ohnmächtigen und Verachteten und zu Unrecht Ermordeten gestellt hat.
Gewiss ist es nötig und richtig und wichtig, auf dem Klavier heutiger Kommunikationstechnologien spielen zu können, gewisse Regeln zu befolgen, an Gegebenheiten anzuknüpfen und sich nicht einfach hinterwäldlerisch-merkwürdig zu verhalten. Aber da ist und bleibt jene herausfordernde Botschaft des Evangeliums, die quer zu so vielen so genannten Sachzwängen ­ des Marktes, der Rentabilität, des Erfolgs, der Leistung, der Opportunität usw. ­ steht. Deshalb wird kirchliche Präsenz in der Gesellschaft immer eine prophetische, sperrige, unbequeme sein müssen. Ihre Stimme wird sich erheben müssen ­ und sei es noch so «unzeitgemäss» ­, wenn Menschen wegen ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe, ihres Alters oder ihrer sexuellen Neigung unter die Räder kommen. Sie darf nicht schweigen, wenn wirtschaftliche Ungerechtigkeit Menschen ins Elend treibt, wenn Menschen auf der Flucht sind und eine Bleibe suchen, wenn Krieg und Gewalt das Leben von Menschen zerstören. Die Liste lässt sich fortsetzen. Das Wort vom Kreuz, wie es Paulus nennt, hat in jeder Zeit eine unbequeme Aktualität.

 

Literatur: Helmut Merklein, Der erste Brief an die Korinther, Bd. 1: Kapitel 1­4, (ÖTK 7/1), Gütersloh 1992; Michael Wolter (Hrsg.), Paulus. Ein unbequemer Apostel (Welt und Umwelt der Bibel 20, 2. Quartal 2001).


Er-lesen

1 Kor 2,1­5 lesen und den Zusammenhang mit 1,10­31 herstellen.

Er-hellen

Den inneren Bezug zwischen der Botschaft von Jesus Christus, dem Gekreuzigten (2,2) und der Art und Weise der Verkündigung des Paulus in Korinth herausarbeiten.

Er-leben

Eine Kriteriologie für kirchliche Verkündigung in unserer Zeit erarbeiten: An welchen Orten, auf welche Weise und für wen müssen die Kirchen in der Schweiz und in der Welt ihre Stimme erheben?


© Schweizerische Kirchenzeitung - 2002