36/2002 | |
INHALT |
Leitartikel |
Schon manchem Text ist es ergangen, dass er vom Lehrraum zum Leerraum
wurde, im Rahmen spezieller Vorlesungen oder Anlässe jeweils anerkennend
oder kritisch erwähnt wird, aber mit dem Erscheinen den Höhepunkt
erreicht hatte und die Wirkung entsprechend bald verpufft war. Das Wort
der Kirchen<1>, das vor ziemlich genau
einem Jahr am 1. September 2001 von den Kirchenleitungen der
Öffentlichkeit übergeben wurde und den Abschluss der Ökumenischen
Konsultation bildete, schien in den Augen vieler, ja selbst einiger seiner
Trägerinnen, kein anderes Schicksal zu erwarten.
Wissend um diesen beinahe «natürlichen» Vergessenheitsprozess
trafen sich bereits während des Konsultationsprozesses Mitarbeitende
kirchlicher und kirchlich orientierter Organisationen und Fachstellen beider
grossen Konfessionen, um darüber zu beraten und sich auszutauschen,
wie das Wort der Kirchen nicht toter Buchstabe bleiben wird und möglichst
vielfältig in die Tat umgesetzt werden kann. Seit dem Erscheinen des
Wortes der Kirchen trifft sich diese so genannte Follow-up-Gruppe<2>, um den Dialogprozess, der mit der Ökumenischen
Konsultation zwischen Kirchenleitungen und verschiedensten gesellschaftlichen
Kreisen in der Schweiz in Gang gesetzt wurde, über das Wort der Kirchen
hinaus zu fördern und fortzusetzen. Denn die Antworten und Stellungnahme
der Kirchenleitungen zu den Fragen, Sorgen und Ängsten vieler Frauen,
Männer und Organisationen in der Schweiz konnten mit den Bettagsfeierlichkeiten
2001 nicht abgeschlossen sein, sondern müssen nun auf ihre Tragfähigkeit
für eine Schweiz von morgen hin geprüft und diskutiert werden.
In einigen Kreisen schien es mir fast, als wollte man wieder zur Tagesordnung
übergehen und die unangenehmen Selbstverpflichtungen des Wortes der
Kirchen in Vergessenheit geraten lassen. Denn es haftet diesem Text zur
sozialen und wirtschaftlichen Zukunft der Schweiz viel Mutiges und Prophetisches
an: Die Kleinen und Schwachen sollen die grösste Aufmerksamkeit der
Kirchenleitungen(!) finden und gemeinsam mit andern wollen die Verantwortlichen
der beiden grossen Landeskirchen «die Keime einer gerechteren Welt
wahrnehmen und zum Gedeihen bringen» (Nr. 33). Zu nichts weniger als
zur Hinarbeitung auf die Verwirklichung einer für alle segensreichen
Zukunft verpflichten sich die Kirchenleitungen zusammen mit allen Christen
und Christinnen sowie allen Menschen guten Willens in der Schweiz (Nr. 45).
Dieser Verpflichtung ein Gesicht zu geben, die Kirchenleitungen daran zu
erinnern und das Wort der Kirchen aus dem Lehrraum in einen Lernraum (Nr.
132) hinüberzuführen, verschrieb letztlich die Gruppe Follow-up
ihr Engagement.
Infolge begrenzter Ressourcen muss sich die Arbeit der Follow-up-Gruppe
darauf beschränken, die vielfältigen Anstrengungen in Pfarreien,
Gemeinden, Dekanaten, Regionen und Landesteilen ein wenig zu überblicken
und für neue Projekte geeignete Hilfen anzubieten. Zu diesem Zweck
erklärte sich Justitia et Pax bereit, als Drehscheibe<3>
zu wirken, Projektunterlagen, Vortragsmaterial zu sammeln und Interessierten
zur Verfügung zu stellen. So wird eine Internetseite, die zurzeit in
Entstehung ist und ab Oktober 2002 zugänglich ist, Interessierte zu
Themen, möglichen Referierenden, Projektkontakten leiten.<4>
Ziel allen Engagements ist es, dem Wort den Weg zur Tat so leicht wie
möglich zu machen. Denn bereits das Werkheft zum Bettag<5>
enthielt nebst den gewohnten Vorschlägen zu Gottesdienst und Predigt
einen programmatischen Teil mit der Überschrift «Vom Wort zur
Tat». Dieser zeigt, dass das Wort der Kirchen bereits lebendig ist,
aber vielerorts noch lebendig werden will. Die Drehscheibe des Follow-up
will sicherstellen, dass das Wort auch nach dem Bettag 2001 nicht Wort bleibt,
sondern in Taten auf seine Wirksamkeit hin geprüft und umgesetzt wird,
damit möglichst viele Kirchgemeinden, Seelsorgende und engagierte Christinnen
und Christen Hilfen bekommen.
Als Beispiel für eine überregionale ökumenische Zusammenarbeit
für diese Umsetzung kann das von Caritas Zürich und Evangelisch-reformierter
Kirche des Kantons Zürich lancierte Projekt «Vom Wort zur Tat»<6> gelten. Den Leitsatz für das dreijährige
Projekt ist dem Kapitel zur Arbeit entnommen (Nr. 132): «Sowohl im
Bereich der Diakonie als auch bei der Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse
bietet sich unseren Kirchen die Gelegenheit, Projekte durchzuführen,
die im Blick auf die Zukunft Modellcharakter haben könnten. ... Wir
setzen uns dafür ein, dass die Kirchen auf diese Weise ÐLernraumð
sind und noch mehr werden. Damit leisten sie einen innovativen Beitrag zur
Gestaltung der Zukunft.» Am 31. Oktober 2002 sind Kirchenräte,
Kirchenpfleger, Seelsorgende und viele andere, die in den evangelisch-reformierten
und katholischen Kirchgemeinden und Pfarreien Verantwortung tragen, zu einer
Impulstagung eingeladen. Peter Hasler vom Arbeitgeberverband und der Gewerkschafter
Daniel Vischer erläutern aus ihrer Perspektive die heutige Arbeitswelt
und formulieren vor diesem Hintergrund Erwartungen an die Kirchen. Der gemeinsame
Austausch zwischen den Teilnehmenden soll anschliessend dazu führen,
dass in möglichst vielen Gemeinden und Pfarreien Projekte mit Modellcharakter
in Angriff genommen werden. Ambitioniertes und auch modellhaftes
Ziel ist es, in einem Jahr ein Projekt mit einem Preis prämieren zu
können. In den beiden folgenden Jahren stehen dann die Schwerpunkte
Familie (Kapitel 3 des Wortes der Kirchen) und Migration (Kapitel 4 des
Wortes der Kirchen) im Zentrum.
Nebst diesem Grossprojekt gibt es aber bereits viele andere, die oft im Verborgenen die Kirche schon länger als Lernraum für zukunftsfähige Gemeinschafts-, Arbeits- oder Gesellschaftsmodelle lebendig werden lässt. Ich denke an die zahlreichen Mütterzentren, Jobvermittlungsstellen, Sprachkursangebote, Börsen aller Art oder Tauschnetze. Sie erinnern Menschen in unserem Land, aber insbesondere Kirchenverantwortliche daran, dass das Wort der Kirchen nicht nur Geburtstag feiert, sondern letztlich dazu verpflichtet, Kirche sein als treibende Kraft zu mehr Gerechtigkeit und Menschlichkeit zu verstehen und zu leben innerhalb wie ausserhalb der Kirchen!
1 Vgl. «Miteinander in die Zukunft». Wort der Kirchen. Ökumenische Konsultation zur sozialen und wirtschaftlichen Zukunft der Schweiz. Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund, Bern, Schweizer Bischofskonferenz, Freiburg, September 2001. Erhältlich bei: Justitia et Pax, Postfach 6872, 3001 Bern, Telefon 0313815955, Fax 0313818349, E-Mail jus-pax.ch@bluewin.ch, und Institut für Sozialethik des SEK, Sulgenauweg 26, 3007 Bern, Telefon 0313702550, Fax 0313702559, E-Mail sekretariat@ise-ies.ch, oder über die folgende homepage: www.kirchen.ch/konsultation/
2 Vgl. Zusammensetzung der Gruppe: www.kirchen.ch/konsultation/followup.html. Geleitet wird sie zurzeit von Thomas Wallimann, Leiter des Sozialinstituts der KAB Schweiz in Zürich.
3 Vgl. Fussnote 1.
4 www.kirchen.ch/konsultation/
5 Vgl. www.kirchen.ch/ konsultation/bettag.html
6 Ansprechpersonen: Daniel Wiederkehr, Caritas Zürich, Abteilung Animation und Bildung, Beckenhofstrasse 16, Postfach, 8035 Zürich, Telefon 013666870, und Christoph Sigrist, Evangelisch-reformierte Landeskirche des Kantons Zürich, Gemeindedienste, Pädagogik und Animation, Fachstelle Diakonie, Hirschengraben 50, Postfach, 8025 Zürich, Telefon 012589249.