19/2002

INHALT

Leitartikel

Volkskirche - Movimenti

von Rolf Weibel

 

Auch in der Schweiz können gegenläufige Entwicklungen der Kirchlichkeit festgestellt werden. So ist in der römisch-katholischen Kirche zum einen eine Konzentration auf die Gemeinde mit einem Bedeutungsgewinn der staatskirchenrechtlichen Gebietskörperschaften nicht zu übersehen; damit einher ging die Einführung der kirchenrechtlich ermöglichten Beratungsgremien ­ von den Pfarreiräten bis zu den diözesanen Seelsorgeräten ­ sowie ein Bedeutungsverlust des volkskirchlich geprägten Vereins- und Verbandskatholizismus. Zum andern entstanden neue Bewegungen, Gruppen und Gemeinschaften mit religiösen oder sozialen Zielsetzungen, die sich einem Aufbruch verdanken, der insgesamt, im Vergleich zur Selbstorganisation des Katholizismus in der national liberalen Schweiz nach 1848 aber auch im Schweizer Katholizismus, ein neues Moment ist.
Der Bedeutungsverlust des Verbandskatholizismus hatte dazu geführt, dass in der deutschen Schweiz die Bischofskonferenz die Initiative ergreifen musste, um die Laienverbände, -organisationen und -bewegungen wieder miteinander ins Gespräch zu bringen (Deutschschweizer Forum Katholischer Organisationen [DFKO]). Dieses Forum bestellt die Vertretung der deutschen Schweiz im nationalen und internationalen Laienforum: im Schweizerischen Koordinationskomitee Katholischer Laien (SKKL) und im Europäischen Forum der Nationalen Laienkomitees. Um die besonderen Bedürfnisse der Verbände berücksichtigen zu können, haben sich Mitglieder der Vorstände mehrerer Verbände überdies zur Deutschschweizerischen Konferenz Katholischer Verbandsleiterinnen und -leiter (DKKVL) zusammengeschlossen.
Einige der auf den genannten Aufbruch zurückgehenden Gruppierungen bilden mit Organisationen des Verbandskatholizismus schon länger das «Netzwerk ÐOffene Kirche Schweizð», das sich für eine «prophetische, geschwisterliche und ökumenische» Kirche verwenden will. Die kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften, die auf den gleichen Aufbruch zurückgehen, deren Hauptziel indes ein intensiveres religiöses Leben und eine konzentriertere Erfahrung von kirchlicher Gemeinschaft ist, sind auf Einladung von Papst Johannes Paul II. an Pfingsten 1998 in Rom zusammengekommen. In der Folge hat die Schweizer Bischofskonferenz die in der Schweiz vertretenen «Movimenti», alle diese kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften, zu einer Zusammenkunft eingeladen.
Wie die Einführung der kirchenrechtlich ermöglichten Beratungsgremien zu Konflikten, namentlich zwischen Pfarreiräten und Pfarreivereinen, geführt hatte, so wird heute von Spannungen und Konflikten zwischen den «Movimenti» und den Pfarreien berichtet. An der letzten Zusammenkunft der Bewegungen wurde dieses Problem deshalb thematisiert; einführend hat es Thomas Ruckstuhl mit seinen theologisch-pastoralen Überlegungen, die wir nachstehend dokumentieren, in einen grösseren Zusammenhang gestellt.


© Schweizerische Kirchenzeitung - 2002