33-34/2002 | |
INHALT |
Ethik |
Wer den «Versuch einer ethischen Orientierung» in der Drogenpolitik
von Thomas Wallimann<1> liest und
es lohnt sich, dies zu tun! , wird sich beinahe auf Schritt und Tritt
an längst geschlagene Schlachten erinnert fühlen: In den neunziger
Jahren war die Drogenpolitik in der Tat kontrovers. Kein anderes politisches
Thema war derart ein Spielball parteipolitischer Profilierungsversuche und
unterschiedlicher Menschen- und Gesellschaftsbilder.
Man erinnere sich: Platzspitz, dann Letten in Zürich, Kocherpark in
Bern, vermeintlich keine «Szenen» in Genf und Lausanne, Hunderte
von Drogentoten (die indirekt auf Drogenmissbrauch zurückzuführenden
Todesfälle nicht mitgezählt), Volksinitiativen und Lösungsansätze,
die unterschiedlicher nicht sein konnten, und inmitten von all dem eine
Öffentlichkeit, die nicht mehr weiter wusste. Und wo stehen wir heute?
Die Anzahl Drogentoter geht beinahe kontinuierlich zurück, die offenen
Drogenszenen sind aufgelöst, illegale Betäubungsmittel werden
aber nach wie vor konsumiert, und das «Kiffen» scheint heute
übrigens auch in kirchlichen Jugendgruppen so normal wie
zu meiner Zeit das «Paffen». Allein: Die Öffentlichkeit
scheint sich nicht mehr für die Thematik zu interessieren.
1994 traf es sich, dass ich mit einem prominenten Parlamentarier und
Parteipräsidenten nach einer gemeinsamen Veranstaltung abends im Zug
nach Bern fuhr. Das Gespräch kam auf die Drogenpolitik, und die Frage
an mich lautete, was ich denn als Moraltheologe und Kirchenvertreter zu
diesem Thema zu sagen habe. Meine Antwort war sinngemäss, dass wir
offensichtlich mit der bisherigen polizeilichen Repressionspolitik in eine
Sackgasse geraten seien und es wohl ethisch, mit Rücksicht auf die
Opfer, nicht zu verantworten wäre, so fortzufahren. Ich wüsste
auch keine Antwort auf die Drogenfrage, aber die polizeiliche Verfolgung
von Drogenabhängigen sei keine Lösung, sondern selbst Teil des
Problems.
Mein Gegenüber wollte das nicht hören. Für ihn gab es nur
eines: Repression, und wenn das nicht reicht, halt noch mehr Repression.
Die jungen Menschen müssen zu ihrem Glück gezwungen werden. Nur
wer drogenfrei lebt, verhält sich ethisch richtig
Ich hätte nicht nur in dieser Situation viel dafür gegeben, das
Buch von Thomas Wallimann bereits zur Hand zu haben. Es informiert kompetent
über drogenpolitische Positionen, über die Dimensionen und Aspekte
des Drogenproblems und über Möglichkeiten einer ethischen Beurteilung.
Dass es dabei nicht zu bündigen Lösungen kommt, überrascht
nicht: Die Frage nach dem «richtigen» Umgang mit Betäubungsmitteln
ist eben auch eine Frage individualethischer Werthaltungen und gleichzeitig,
auf sozialethisch-politischer Ebene, eine Frage des richtigen Verhältnisses
von Selbstverantwortung und Selbstbestimmung.
Wallimann hätte sein Buch aber in den frühen neunziger Jahren
noch gar nicht schreiben können. Es brauchte zuerst einen jahrelangen
Lernprozess, der die Öffentlichkeit von einfachen Lösungen (Repression
auf der einen Seite, Freigabe auf der anderen) wegführte und mit der
ganzen Komplexität der Problematik vertraut machte. Und dieser Lernprozess
musste auch in der Kirche durchgemacht werden. Wer sich daran erinnert,
dass prominente Schweizer Bischöfe ursprünglich ihre Unterstützung
für eine Volksinitiative dokumentierten, welche eine markante Verschärfung
der polizeilichen Repression von Drogenabhängigen forderte, die Bischofskonferenz
selbst aber Jahre später sich hinter eine pragmatische Drogenpolitik
stellte, deren Ziel nicht die Bestrafung des Konsums, sondern die Hilfe
für den Konsumierenden sein sollte,<2>
kann ermessen, wie weit dieser Weg war. Es ist den Bischöfen hoch anzurechnen,
dass sie ihn gegangen sind.
Um so verständnisloser nimmt man heute zur Kenntnis, wie ein vatikanisches
Gremium nach wie vor die einfache Repression als alleinseligmachendes Allheilmittel
für das Drogenproblem zu propagieren scheint.<3>
Bei der Lektüre der Pressemeldungen über dieses Dokument erinnert
man sich mit Erleichterung an die Konzilslehre von der «Hierarchie
der Wahrheiten» (UR 11), die ja immerhin nicht ausschliesst, dass
eine vatikanische Aussage so tief in dieser Hierarchie zu liegen kommt,
dass sie unten rausfällt...
Die Schweizer Kirche hat den Weg zu einem realitätsnaheren und deshalb
menschenfreundlicheren Umgang mit der Drogenproblematik gefunden. Dies ist
im Rückblick nicht zuletzt einer Arbeitsgruppe der Pastoralplanungskommission
zu verdanken, die einen kirchlichen Positionsbezug in der Drogenpolitik
zu ermöglichen hatte und deren Mitglied auch Thomas Wallimann war.
Eine kleine Szene mag den Realitätsbezug, der diese Arbeitsgruppe leitete,
illustrieren: Als ich ebenfalls 1994 versuchte, eine ethisch
reflektierte und deshalb pragmatische Alternative zu den ideologischen Maximalpositionen
von Repression und Liberalisierung zu entwickeln, richtete sich das auf
Grund der Tagesaktualität zuerst gegen die erwähnte Volksinitiative,
die allein auf Repression setzen wollte. Prälat Peter Späni selig,
Vertreter des Katholischen Abstinenten-Vereins, zuckte bei meinem vorsichtig
vorgetragenen Vorschlag nur mit den Schultern und meinte: «Ach, wissen
Sie, dass Prohibition und Repression allein nicht funktionieren, haben wir
beim Beispiel Alkohol schon im Chicago der dreissiger Jahre gemerkt.»
Auch Prälat Späni hätte das Buch von Wallimann mit Interesse
gelesen.
Christian Kissling, Theologe und Sozialethiker, ist Sekretär der Kommission Justitia et Pax.
1 Thomas Wallimann, Drogenpolitik kontrovers. Versuch einer ethischen Orientierung, Lausanne (SFA-ISPA Press) 2001.
2 Vgl. zuletzt die Stellungnahme der SBK zur Revision des Betäubungsmittelgesetzes vom 16.12.1999 (im Internet unter http://www.kath.ch/sbk-ces-cvs/d/presse/meldungen/276.htm abrufbar).
3 Vgl. das vom Pontificio Consiglio per la pastorale della salute am 4.12.2001 im Vatikan vorgestellte Manuale di pastorale: «Chiesa, droga e tossicomania».