36/2002 | |
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Berichte |
Wir verlangen von der gegenwärtigen Generation ein altruistisches
Verhalten, weil wir behaupten, dass sie eine moralische Verpflichtung gegenüber
den nachfolgenden Generationen hat.» Und: «Die Marktordnungen
erreichen das Notwendige und Menschenwirksame nicht oder nicht schnell genug.
Der Staat ist bedrückend langsam oder blockiert. Es bedarf einer neuen
sozialen Ökonomie, ja einer neuen Gesellschaft als reale Utopie und
Chance. Ist die Kirche bereit, dabei mitzuwirken?»
Dies sind zwei Zitate aus Vorträgen, die während der vierten Konsultation
der Umweltbeauftragten der europäischen Bischofskonferenzen gehalten
wurden (Venedig, 23.26. Mai 2002). Die erste Aussage stammt vom venezianischen
Ökonomen Ignazio Musu, die zweite von Philippe Schmitz, Moraltheologe
an der Gregoriana, Rom.
Das Treffen wurde vom Rat der europäischen Bischofskonferenzen (CCEE)
durchgeführt. Die rund 60 Teilnehmenden kamen aus 24 Ländern (einschliesslich
der Gäste aus Australien und den USA). «Arbeit und Schöpfungsverantwortung»
hiess das Thema.
Es besteht in unserer Gesellschaft ein offensichtliches Dilemma: Die
Wirtschaft kann ohne ständiges Wachstum nicht florieren. Unendliches
Wachstum in einer endlichen Welt ist hingegen schlicht und einfach unmöglich.
Mehrere Referenten versuchten Auswege aus dieser verfahrenen Situation zu
finden. Eindeutig am meisten Echo fand dabei der Zürcher Weihbischof
Peter Henrici mit seiner Relativierung der «materiell-produktiven
Arbeit». Anstelle der Energie und Ressourcen verbrauchenden Produktion
sollen Dienstleistungen und die geistige Kreativität Priorität
erhalten. Henricis Thesen fanden Eingang in die Schlusserklärung von
Venedig, wo es heisst: «Die Überbewertung der materialintensiven
Produktion gegenüber geistigen und sozialen Tätigkeiten ist eine
der wesentlichen Ursachen der Umweltkrise. Arbeit im Sinne der massenhaften
Herstellung von Produkten darf nicht mehr Leitgrösse für die Entwicklung
sein. Vielmehr ist Produktion als Voraussetzung für geistige und kulturelle
Tätigkeiten, soziale Dienstleistungen sowie für kreative Musse
zu verstehen» (www.kath.ch/ccee/deutsch/arbeitsfelder/veneziaconclusioni.htm).
Wie bereits im zweiten unserer einleitenden Zitate angetönt, betont
die Erklärung, dass die «notwendige Synergie zwischen Arbeit
und Umweltschutz sich nicht automatisch aus den Marktprozessen ergibt. Sie
muss gezielt durch politisch gestaltende Massnahmen und einen entsprechenden
gesellschaftlichen Konsens herbeigeführt werden.» Konkret vorgeschlagen
werden hier eine Änderung der steuerlichen Rahmenbedingungen, die den
Rationalisierungsdruck vom Faktor Arbeit auf den Faktor des Ressourcen-
und Energieverbrauchs sowie der Kapitalgewinne verlagert. Gefordert werden
auch Förderprogramme für erneuerbare Energie, ökologisches
Bauen, nachhaltige Mobilität sowie für naturverträgliche
Landwirtschaft. All dies könne Millionen von Arbeitsplätzen schaffen.
In vielen Ländern, die in Venedig vertreten waren, plant die Wirtschaft
Angriffe auf den Sonntag als Ruhetag (z.B. durch liberalere Regelungen der
Ladenöffnungszeiten). Auch in diesem Zusammenhang gab Weihbischof Henrici
wertvolle Anregungen durch sein Referat «Perspektiven für eine
neue Zuordnung von Arbeit und Ruhe in einer nachhaltigen Gesellschaft».
Er postulierte die «Wiederherstellung einer zyklischen Sozialzeit
mit ausgedehnten regelmässigen gemeinsamen Ruhezeiten». Am Rande
gab er zu bedenken, ob im Hinblick auf die vielen unter uns lebenden Muslime
nicht auch der Freitag einzubeziehen sei...
Wie die Schweizer Kirchen vor einigen Jahren in ihrem Kampf für den
Schutz des arbeitsfreien Sonntags unterstreicht auch die vorliegende Schlusserklärung
den Wert eines gemeinsamen arbeitsfreien Tages «für die soziale
Synchronisation und damit die Ermöglichung von Gemeinschaft.»
Und weiter: «Von der Tradition des Sabbat her ist der Sonntag Ðübernützlichð,
mehr als notwendig: Er schafft einen zweckfreien Raum, der wesentlich ist
für die Entfaltung des Menschen, was sich dann indirekt auch wieder
positiv auf die Schaffenskraft auswirkt.»
«Nur in Verbindung mit beispielhaftem Handeln kann die Kirche wirksam
zu einem Wertewandel beitragen und ihrem Auftrag der Schöpfungsverantwortung
gerecht werden.» Gemäss diesem Grundsatz der Schlusserklärung
von Venedig hat der Austausch über die Tätigkeit der Umweltbeauftragten
während ihren CCEE-Konsultationen einen hohen Stellenwert. Dabei zeigt
sich, wie unterschiedlich das kirchliche Engagement in diesem Bereich in
den einzelnen Ländern ist. So musste beispielsweise der ukrainische
Delegierte gestehen, dass die Kirche in vielen postkommunistischen Staaten
vor allem mit der Sicherung ihres eigenen Überlebens beschäftigt
ist.
In Deutschland dagegen hat jede der 22 Diözesen ihren eigenen Umweltbeauftragten.
Dazu kommen rund 30 Umweltberater/Umweltberaterinnen, die eine zweijährige
Ausbildung hinter sich haben. Eine Erfolgs-Story bildet zurzeit das von
der Deutschen Bundesstiftung Umwelt durchgeführte «Kirchendächer-Programm»,
mit dem solarthermische und photovoltaische Anlagen gefördert werden.
Es wurde bereits in rund 200 katholischen Kirchen realisiert. Die deutschen
Diözesen unterstützen sodann umweltgerechte und naturschonende
Bewirtschaftung der landwirtschaftlichen Flächen, die im Kirchenbesitz
sind. In den Bistümern Würzburg, Osnabrück, Passau und Eichstädt
wurde die Bewahrung der Schöpfung zum Schwerpunkt des pastoralen Handelns
erklärt.
Die im Bericht des Schweizer Delegierten erwähnten Energie-Sparkurse
für Sakristane werden in der Schlusserklärung von Venedig als
gelungenes Beispiel praktischen Handels dargestellt. Ein Teilnehmer nannte
die ökumenisch organisierte Umweltarbeit der Schweizer Kirchen<1> als Modell für Europa.
Walter Ludin ist Vorstandsmitglied der Oekumenischen Arbeitsgemeinschaft Kirche und Umwelt (OeKu); er vertrat in Venedig anstelle des verhinderten OeKU-Stellenleiters Kurt Zaugg die Schweiz.
1 In Form der 1986 gegründeten Oekumenischen Arbeitsgemeinschaft Kirche und Umwelt (OeKU).