19/2002

INHALT

Berichte

Schweizer Katholizismusgeschichte

von Franziska Metzger

 

In den letzten Jahren hat die öffentliche Aufmerksamkeit gegenüber Themen im Bereich von Religion und Gesellschaft weltweit zugenommen. Gleichzeitig stieg auch das Forschungsinteresse für religionsgeschichtliche und soziologische Themen an. In der Schweiz sind in den letzten Jahrzehnten von der Universität Freiburg aus wichtige Impulse im Bereich der zeitgeschichtlichen Erforschung des Schweizer Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert ausgegangen, welche nationale und internationale Anerkennung erhielten. Am 15. und 16. März 2002 fand unter der Leitung von Professor Urs Altermatt ein Forschungskolloquium zu «Schweizer Katholizismus im 20. Jahrhundert. Identitäten, Lebenswelten und Diskurse ­ kulturgeschichtliche Perspektiven» statt, an welchem an die vierzig seiner Lizentiandinnen und Lizentianden, Doktorandinnen und Doktoranden sowie ehemalige Absolventen zu kulturgeschichtlichen Themen des Schweizer Katholizismus im 20. Jahrhundert referierten.
Betrachtet man die Entwicklung der Freiburger Katholizismusforschung ­ mittlerweile wird im In- und Ausland immer wieder von der so genannten «Freiburger Schule» gesprochen ­, zeigt sich, dass seit den 1980er Jahren sozial-, ideen- und mentalitätsgeschichtliche Themen und Fragestellungen zur katholischen Religiosität, Identität und Weltanschauung ins Zentrum rückten. Urs Altermatts eigene Studien zur katholischen Sondergesellschaft, zum Verhältnis von Katholizismus und Moderne, zu Alltagswelt und Mentalitäten ­ zu nennen sind insbesondere seine beiden Bücher «Katholizismus und Moderne» (1989) und «Katholizismus und Antisemitismus» (1999) ­ haben in den letzten zwanzig Jahren gut einen Drittel seiner Lizentiandinnen und Lizentianden und gut die Hälfte der Doktorandinnen und Doktoranden zu ideen-, mentalitäts- und alltagsgeschichtlichen Arbeiten zum Katholizismus im 19. und 20. Jahrhundert angeregt. Die 1987 gegründete Freiburger Publikationsreihe «Religion, Politik, Gesellschaft», die mittlerweile 29 Bände umfasst, bündelt fortlaufend Forschungsergebnisse.<1>
Nach einem ersten Kolloquium in Freiburg im Jahre 1990 präsentierte nun gut zehn Jahre später eine weitere Tagung den Stand der Forschung. Das Kolloquium vom 15. und 16. März widerspiegelt die breite kulturgeschichtliche Ausrichtung der Freiburger Katholizismusforschung. Die zwei alltags- und frömmigkeitsgeschichtlichen Workshops «Katholische Lebenswelten: Alltag, Riten, Mentalitäten» und «Geschlechteridentitäten» befassten sich mit Themen wie der Erosion der traditionellen religiösen Lebensstile in der Nachkriegszeit, der weiblichen Religiosität bis hin zur katholischen Sexualmoral im Spannungsfeld von «Sittlichkeit und Sinnlichkeit». Ein Workshop zum Katholizismus in der multikulturellen Schweiz brachte vor allem das interessante Verhältnis von Sprache und Religion zur Diskussion, wobei ja gerade Freiburg und seine Universität ein interessantes Untersuchungsfeld darstellen. Ein ideengeschichtlicher Workshop befasste sich mit dem katholischen Milieu, mit wichtigen Exponenten des Milieus wie Vereinsprälat Joseph Meier bis hin zu Aussenseitern wie Johann Baptist Rusch. Ein weiterer ideengeschichtlicher Workshop thematisierte gesellschaftspolitische Diskurse der Zwischen- und Nachkriegszeit, beispielsweise das Verhältnis von Katholizismus und Geistiger Landesverteidigung oder jenes der Katholiken zum Kommunismus. In einer weiteren Gruppe stand die katholisch-konservative Organisationstätigkeit und die Politik der CVP von der «Apertura a sinistra» in den 1950er Jahren bis zum «Wanken der Bastionen» am Beginn des 21. Jahrhundert im Zentrum. Die Schlussdiskussion des zweitägigen Kolloquiums zeigte, dass innerhalb wie ausserhalb des Arbeitskreises ein grosses Interesse für eine Weiterführung desselben besteht.<2>


Anmerkungen

1 Auch die «Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte» hat zur Etablierung der Freiburger Katholizismusforschung beigetragen.

2 Man beschloss, dass auch in Zukunft regelmässig Tagungen zu Themen der aktuellen Katholizismusforschung veranstaltet werden sollen, womöglich verbunden mit einer internationalen Öffnung.


© Schweizerische Kirchenzeitung - 2002