22-23/2001 | |
INHALT |
Lesejahr C |
Als Jugendliche habe ich bei so vielen grossen Wörtern Rechtfertigung,
Hoffnung, Gnade, Herrlichkeit jeweils voll Ehrerbietung und Langeweile
abgeschaltet.
Heute erlebe ich, wie sich gutwillige Menschen solche biblischen Texte höflich
anhören. Sie nehmen darin irgendwie das zentrale Geheimnis des Glaubens
wahr, doch bringen sie es mit sich und ihrer Welt kaum in Verbindung.
Angesichts dieser Erfahrungen muss das Plädoyer für diese grossen
Wörter zum Trinitätssonntag vorsichtig ausfallen.
Das theologische Konzentrat unserer Lesung steht nicht für sich
allein. Es gehört in den grösseren Rahmen von Argumentation und
Meditation über den Zugang zum Heil (3,215,21). Unser Text ist
als Fazit aus dem anschaulichen 4. Kapitel zu verstehen, in dem Paulus mit
Hilfe der Identifikationsfigur Abraham seine Theologie der Rechtfertigung
aus dem Glauben entwickelt.
Schon Abraham rang damit: Gottes überraschende Heilszusage steht gegen
die offensichtlichen, sogar als selbstverständlich akzeptierten Todeszeichen
(Röm 4,1822). Glauben bedeutet, die Hoffnung auf Leben nicht aufzugeben
und dem Tod und seinen Verbündeten das letzte Wort zu bestreiten.
In unseren Versen zieht Paulus seine Folgerungen aus der Geschichte für
die gegenwärtige Situation. Er bekennt Gottes Heil und Leben, die im
Frieden mit Gott heute schon zur Vollendung kommen, aber gleichzeitig auch
nach der Heilsvermittlung durch Christus dem Widerspruch durch die Wirklichkeit
ausgesetzt sind und bleiben.
«Gerecht gemacht aus Glauben haben wir Frieden mit Gott» klingt
nach zweitausend Jahren antijüdischer Auslegung in erster Linie nach
einer unüberbrückbaren Opposition zwischen der «christlichen»
Rechtfertigung aus dem Glauben und einer jüdischen Werkgerechtigkeit.
Diese Assoziation ist nur zum Teil berechtigt. Paulus bekämpft eine
Haltung der Gesetzlichkeit, doch ist er mit seiner Kritik in guter jüdischer
Gesellschaft (Sir 7,5; Spr 16,2).
Die Vermittlung durch Christus schafft Zugänge und gibt Boden. Paulus
verwendet zuerst eine liturgische Formel (2), dann ein Bild aus der zeitgenössischen
Politik und dem Kult: Zugang erhalten Untertanen zu den Herrschern, der
Hohepriester zum Allerheiligsten. Einerseits ist es wohltuend, dass an die
Stelle der Herrschenden hier die Gnade tritt, andererseits übernimmt
Paulus auch einen Vergleich, der vom Verhältnis von Mensch und Gott
in der Herrschaftssprache spricht. Die Missbrauchsgefahr ist damit gegeben.
Durch diesen Zugang können Menschen in der Gnade stehen. Die hellenistisch-jüdische
Theologie bezeichnet mit dem Stand den Halt und die Kraft, die weise Menschen
gewinnen, wenn sie sich mit ihrem Leben und Hoffen in der Wirklichkeit Gottes
verwurzeln. Dieser Stand entlastet: Nicht die eigene widersprüchliche
Biographie gibt Halt, sondern Gottes Gnade. Ebenso verhält es sich
mit der ganzen Person. Wir müssen uns selber nicht die Ehre geben.
Unser Ruhm gebührt unserer Hoffnung.
Der folgende Kettenschluss (35), der die grössere Ehre der Bedrängnis
zukommen lässt, verlangt eine vorsichtige Annäherung:
Einerseits: Empfehlen Menschen, die Bedrängnis verursachen oder davon
profitieren, ihren Opfern Freude in der (rassistischen, sexistischen, ökonomischen...)
Not, dann schreiben sie die schlimme Missbrauchsgeschichte grosser theologischer
Wörter weiter.
Andererseits: Die jüdische Apokalyptik erkannte gerade im Gotteslob
aus der Bedrängnis überlebensnotwendige Hoffnungszeichen einer
Wende zur neuen Welt. Die Befreiungstheologie hat diese Wahrnehmung von
Bedrängnis und Gotteslob als Widerstand übernommen. Die selbstverständliche
Not, die Sachzwänge von Wirtschaft und Religionspolitik müssen
als solche erkannt und benannt werden. Die grossen Wörter können
dabei helfen, das Geheimnis des Lebens vor der Trivialität zu schützen
und zu hüten.
Paulus ist kein Romantiker, obwohl er von der Hoffnung und vom Herzen spricht.
Aber er weiss etwas von der Liebe. Das Herz meint die liebesfähige
Person, die empfänglich ist für die Ströme des Heiligen Geistes,
überströmendes Leben für alle.
Dem Bekenntnis des Paulus gehen Erfahrungen voraus; es ist die Frucht
dieser Erfahrungen.
Grosse Wörter sind gefährlich, weil sie ohne Anbindung an Erfahrungen
hohl und langweilig werden. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn zu
diesen grossen Wörtern noch die nicht weniger hohe Trinität gefeiert
wird. Da hilft es, sich an Ursprünge und Entstehungsgeschichten zu
erinnern: Im Zweiten Testament finden wir «Zweierformeln», in
denen die enge Gemeinschaft von Gott und Jesus Christus, dem Vater und dem
Sohn ausgesprochen wird. Gerade im Römerbrief finden sich auch «Dreierformeln»,
die darauf hindeuten, dass die Beziehungsqualität in Gott in
der Tradition der jüdischen Weisheitstheologie schon früh
meditiert wurde. Sie bilden Grundmuster späterer dogmatischer Entscheidungen.
Grosse Wörter können aber auch in einem anderen Sinn gefährlich
sein. Wer den Mut und die Phantasie hat, dem Gottesfrieden jetzt zu trauen
und die Hoffnung auf den Lichtglanz zu Gottes pflegen, lebt mit dem Fuss
in der Tür: Es darf, es muss für alle noch mehr als alles geben.
Literatur: Michael Theobald, Römerbrief, Kapitel 111, Stuttgarter Kleiner Kommentar 6/1, Stuttgart 1992; Elsa Tamez, Gegen die Verurteilung zum Tod. Paulus oder die Rechtfertigung durch den Glauben aus der Perspektive der Unterdrückten und Ausgeschlossenen, Luzern 1998.
Verse im Chor lesen (Paulus formuliert im Plural: Wir!). Die grossen Wörter sammeln. Je eines auf ein Plakat schreiben und an die Wand hängen. Alle Teilnehmenden erhalten einen dicken Stift und notieren ihre Kommentare/Fragen im Schweigen auf die Plakate (Wandzeitung). Austausch.
Aufbau des Textes darstellen und Kontext einführen. Evtl. Hintergrundinformationen zum Römerbrief, den Paulus an die ihm unbekannte Gemeinde in Rom geschrieben hat und in dem er sich und seine Theologie vorstellt. Begriffe klären (zur Rechtfertigung vgl. Text zum 11. Sonntag im Jahreskreis). Evtl. Hilfen, um die Verse nicht vom Trinitätsdogma her zu lesen, sondern umgekehrt, das Dogma als Interpretation dieses Bekenntnisses betrachten.
Selbstbesinnung auf den Satz: «Wir rühmen uns unserer Hoffnung
auf die Herrlichkeit (den Lichtglanz) Gottes.» Mich meiner Hoffnung
rühmen? Erinnere ich mich an eine persönliche Erfahrung, in der
ich auf Gott, das Geheimnis des Lebens, gehofft habe? Geschichte notieren.
Wie vervollständige ich den Satz für mich? «Ich rühme
mich meiner Hoffnung (auf, weil)...»
Ritual: Alle stehen im Kreis. Hoffnungslied singen. Eine Person nach der
anderen sagt ihren Satz (wem dies zu persönlich ist, formuliert nur
die Vorgabe: «Ich rühme mich meiner Hoffnung»). Die anderen
antworten: Wir rühmen dich deiner Hoffnung, NN. Je nach Dialekt wird
die Übersetzung ins Schweizerdeutsche anders ausfallen. Der vorgegebene
Satz muss auf jeden Fall zu den Menschen passen.
Die 1999 feierlich unterzeichnete «Gemeinsame Erklärung»
des lutherischen Weltbundes und der katholischen Kirche zur Rechtfertigungslehre
hält fest: «Die Rechtfertigungslehre ist Massstab oder Prüfstein
des christlichen Glaubens. Keine Lehre darf diesem Kriterium widersprechen».
Dass «der Mensch aus dem Glauben an Jesus Christus und nicht aus Werken
des Gesetzes gerecht wird» (Gal 2,16; vgl. Röm 3,28 u.ö.),
ist also nicht nur ein Basissatz der paulinischen Verkündigung, sondern
ein Herzstück jeder christlichen Theologie. Und dies nicht nur nach
Auffassung der Kirchen der Reformation, sondern auch aus der Sicht des Lehramtes
der Römisch-Katholischen Kirche. Das allerdings ändert nichts
daran, dass die meisten Bibelleserinnen und -leser, aber auch viele Predigerinnen
und Theologen grösste Schwierigkeiten mit dem Verständnis der
verwendeten theologischen Sprache haben und sich schwer damit tun, die Bedeutung
dieser Lehre für den Alltag christlichen Lebens und Glaubens zu erfassen.
Zusätzlich ist die «Rechtfertigungslehre» durch schwerwiegende
Missverständnisse belastet, insbesondere weil sie oft als antijüdische
Kampflehre missbraucht wurde.
Die Ausgangslage für eine Predigt zu Gal 2,1621 ist also widersprüchlich:
Der Text ist theologisch sehr wichtig, aber zugleich sehr schwierig.
Gal 2,16ff. steht im Zusammenhang mit dem so genannten «antiochenischen
Zwischenfall», von dem Paulus den Galaterinnen und Galatern erzählt.
Petrus habe in Antiochia die Tischgemeinschaft mit Gemeindegliedern nichtjüdischer
Herkunft gehalten, diese dann aber unter dem Druck von Missionaren aufgekündigt,
die auch von diesen die Beschneidung und die Einhaltung der Speisegebote
verlangten. Darauf ist Paulus dem Petrus offen entgegengetreten und hat
ihn der Unaufrichtigkeit bezichtigt: Er habe die Trennung zwischen Judenchristen
und Heidenchristen wieder aufgerichtet, die er zuvor niedergerissen hatte
und sich damit selbst ins Unrecht gesetzt. Dies erzählt Paulus
aus aktuellem Anlass: Er fürchtet, dass nun auch in Galatien unter
dem Einfluss von Missionaren, die nach ihm in die Gemeinden gekommen sind,
die Tischgemeinschaft zwischen Juden- und Heidenchristen aufgekündigt
wird.
In seiner Rede, die Paulus an Petrus und indirekt an die Gemeinden
in Galatien richtet, beruft er sich auf einen Lehrsatz, der vermutlich
in Antiochien geprägt wurde und den beide, Petrus und Paulus, als Basissatz
akzeptieren (vgl. auch Apg 15,11). Der Lehrsatz lautet in einer wörtlicheren
Übersetzung von Gal 2,16 so: Nicht wird gerechtfertigt der Mensch aus
den Werken des Gesetzes wenn nicht durch den Glauben an Jesus Christus.
Sein Stil wie auch umfassende Ausdrücke wie «der Mensch»
oder «Werke des Gesetzes» zeigen, dass es sich um eine «grundsätzliche»
Aussage handelt. Die Frage «Wie wird der Mensch gerecht vor Gott?»
ist im Verständnis dieses Satzes nicht irgendeine Frage, sondern die
Frage schlechthin: «Gerechtigkeit» ist für ihn nämlich
viel mehr als eine soziale Tugend: Der gerechte Mensch ist der, welcher
überhaupt «in Ordnung» ist, der im rechten Verhältnis
zu Gott, zu den Menschen und zur Welt lebt. Die Hoffnung auf «Gerechtheit»
bzw. «Anteil an der Gerechtigkeit Gottes» ist demzufolge umfassend.
Heute spräche man vielleicht von gelingendem Leben, das sowohl Freiheit
als auch Gemeinschaft ermöglicht, in dem echte Selbstverwirklichung
und Solidarität sich miteinander verbinden. Andere ähnlich umfassende
Verheissungen der Bibel sind Friede (Schalom), Reich Gottes, Leben in Fülle,
Heil, Erlösung, Versöhnung mit Gott und den Menschen, der neue
Himmel und die neue Erde...
Dass das Vertrauen auf Jesus Christus Menschen unterschiedlichster Herkunft
Befreiungs- und Auferstehungserfahrungen machen lässt und neue Voraussetzungen
zu gottgewolltem Leben schafft, ist die Grunderfahrung der ersten christlichen
Gemeinden. Das Vertrauen auf den gekreuzigten und auferstandenen Messias
zerstört die Ideologie, dass alles Gute (Gott, Friede, Heil, Gerechtigkeit...)
vom römischen Imperium und seinem Herrschaftssystem kommt. Die Taufe
und die offene Tischgemeinschaft «im Namen Jesu Christi» ermöglichen
Erfahrungen grenzüberschreitender Zusammengehörigkeit. Unabhängig
von sozialem Stand, religiöser Herkunft und Geschlecht (vgl. Gal 3,2628)
sind alle «eins in Christus Jesus» und erhalten Anteil an seiner
göttlichen Würde. Diese neue, alles bisherige umstürzende
Erfahrung schafft auch neue Voraussetzungen für ein Leben nach dem
Willen Gottes.
Weil Paulus in seiner Berufung ausserordentlich intensiv von dieser Neuheitserfahrung
betroffen war, hat er sie umfassend reflektiert und konsequent für
die Praxis der Gemeinden ausgelegt: Nichts, was bisher galt, darf dem Neuen,
der offenen und geschwisterlichen Gemeinschaft der Töchter und Söhne
Gottes im Wege stehen. Das hält er im Galaterbrief gegenüber Kreisen
fest, die dieses Neue im Namen der «Werke des Gesetzes» beschränken
oder bekämpfen wollen. Er hält es aber auch gegenüber Kreisen
fest, die dies im Namen der herrschenden Machtverhältnisse tun und
fordert sie auf: «Gleicht euch nicht dieser Welt an» (Röm
12,2). Und er hält an dieser neuen Gemeinschaft von Gleichgestellten
fest gegenüber Auffassungen, religiös besonders Begabte mit «höheren
Charismen» (1 Kor 1214) könnten mehr zum Gottesdienst der
Gemeinde beitragen als andere, «einfache» Gemeindeglieder.
Der Basissatz «gerechtfertigt durch Glauben allein» macht Paulus
sensibel für die Gefahr des Rückfalls hinter die Erfahrung der
voraussetzungslosen und an keinerlei Vorleistungen gebundenen Güte
Gottes. Geradezu «übersensibel» ist der ehemalige Pharisäer,
wo es um die «Werke des Gesetzes geht» auch das ist die
Folge der dramatischen Lebenswende bei seiner Berufung. In anderen Bereichen
ist diese Sensibilität zu wenig entwickelt. Wo es um die Umsetzung
des Prinzips «weder männlich noch weiblich» geht (Gal 3,28),
ist Paulus weit weniger konsequent (1 Kor 11).
Die Gefahr des Rückfalls hinter die (für uns nicht mehr «neue») Erfahrung einer offenen Gemeinschaft der von Gott zusammengerufenen Menschen, die auf sein befreiendes Handeln vertrauen, besteht nach wie vor. Und so behält auch die «Rechtfertigungslehre» eine kritische Aktualität. Die trennenden Mauern werden aber längst nicht mehr von judenchristlichen Kreisen aufgerichtet, die «Werke des Gesetzes» für heilsnotwendig erklären. Vielmehr ist die weltweite wie die lokale Gemeinschaft der Söhne und Töchter Gottes von wirtschaftlicher Ungleichheit, von Diskriminierungen und Vorurteilen aller Art und nicht zuletzt von innerkirchlichen Polarisierungen bedroht. Überall, wo Menschen ausgeschlossen werden, die nicht leistungsfähig sind, sich nicht anpassen oder religiös-moralischen Ansprüchen nicht genügen, behält die Rechtfertigungslehre ihre Brisanz als «Massstab und Prüfstein» des christlichen Glaubens und der solidarischen Praxis.
Text in den Zusammenhang des Galaterbriefes und besonders in Gal 2,1121 einbetten.
Gal 2,16 in wörtlicher Übersetzung auf grosses Plakat schreiben. Die einzelnen Wörter möglichst mit konkretem Inhalt füllen (z.B.: Mensch Mann, Frau, Kind, Sklavin, Behinderter...; Glauben Vertrauen, Hoffen, sich orientieren an...).
Einzeln oder in Kleingruppen den biblischen «Grundsatz» in Form von konkreten und aktuellen Einzelsätzen neu formulieren und kommentieren. Diese einander vortragen, evtl. als Elemente einer Besinnung für den Gottesdienst ausarbeiten.