38/2001 | |
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Leitartikel |
Heiliges Land terra sancta ist seit dem 4. Jahrhundert die
Bezeichnung für das Gebiet im Nahen Osten, in dem die Frühgeschichte
Israels und des Christentums lokalisiert wird. Auf das 4. Jahrhundert geht
auch die Tradition der christlichen Pilgerreisen zurück, und in dieser
Zeit begann auch die Auffindung und Einrichtung der Heiligen Stätten.
Die arabische bzw. muslimische Eroberung des Heiligen Landes im 7. Jahrhundert
erschwerte die internationale christliche Wallfahrt allmählich. Als
Sultan Al-Hakim 1009 die Wallfahrt zu den Heiligen Stätten ganz verbot,
löste dies den 1. Kreuzzug aus. 1333 gelang es den Franziskanern, zum
Schutz der Heiligen Stätten die «Custodia Terrae Sanctae»
zu gründen. Einen neuen Aufschwung nahm die internationale Wallfahrt
in das Heilige Land indes erst im 19. Jahrhundert.
Zur Förderung dieser Wallfahrt wurde in Deutschland 1855 der Verein
vom Heiligen Grabe und 1879 der Palästinaverein deutscher Katholiken
gegründet, die sich 1895 zum Deutschen Verein vom Heiligen Lande zusammenschlossen.
1885 gründete Niklaus Bättig, Pfarrer von Vitznau, der mehrmals
mit ausländischen Pilgergruppen ins Heilige Land gereist war, in Luzern
eine Sektion des deutschen Palästinavereins. 1899 unternahm der Stadtpfarrer
von Baden, Albert Karli, mit einer Pilgergruppe von München eine Wallfahrt
ins Heilige Land, worüber er den Bericht «Aus Heiligen Landen.
Reise-Erinnerungen eines Jerusalem-Pilgers» verfasste und 1900 veröffentlichte.
Niklaus Bättig las diesen Reisebericht, setzte sich mit Albert Karli
in Verbindung und fragte ihn an, ob er sich bei der Gründung eines
schweizerischen Heilig-Land-Vereins beteiligen würde. Albert Karli
erklärte sich einverstanden, worauf Niklaus Bättig die ersten
Schritte unternahm. So versammelten sich am 28. Oktober 1901 elf Jerusalempilger
in Zürich zur Vereinsgründung, so dass der Schweizerische Heiligland-Verein
dieses Jahr sein 100-Jahr-Jubiläum begehen konnte.<1>
Für den Festvortrag an der Jubiläums-Generalversammlung und die
Liturgie, worüber nachstehend berichtet wird, hatte der Verein schon
früh Patriarchalvikar Dr. Lutfi Laham verpflichten können, der
diese Einladung als Patriarch Gregor III. wahrnahm, nachdem er am 29. November
2000 von der Synode der mit Rom verbundenen griechisch-katholischen Kirche
der Melkiten zum Patriarchen gewählt worden war.
Dem Verein Schweizerischer Jerusalempilger Schweizerischer Heiligland-Verein
(SHLV) heisst er erst seit 1919 konnte als Aktivmitglied anfänglich
nur beitreten, wer eine Pilgerreise ins Heilige Land bereits unternommen
hatte, wie der Verein anderseits seine Kräfte darauf konzentrierte,
Pilgerreisen durchzuführen und mit der ab 1905 erscheinenden Vereinszeitschrift
«Pilgerbrief» über das Heilige Land zu informieren und
für die Heiligland-Wallfahrt zu werben. Nachdem in den Jahren 1903
und 1908 Schweizerische Volkswallfahrten mit jeweils über 500 Teilnehmenden
durchgeführt werden konnten, unterbrach die Kriegszeit diese Tradition,
die dann mit der anlässlich des 25-Jahr-Jubiläums durchgeführten
dritten Volkswallfahrt 1925 abbrach. Die Nothilfe während des Zweiten
wie schon während des Ersten Weltkrieges und dann vor allem
die Hilfe für die nach der Staatsgründung Israels in Not geratenen
palästinensischen Christen und Christinnen trugen zu einer Verlagerung
des Schwerpunktes der Tätigkeit des Schweizerischen Heiligland-Vereins
«von einem Pilgerverein zu einem karitativen Hilfswerk»<2> bei.
Wurde das Heilige Land zunächst als das Land der Heiligen Stätten
wahrgenommen, so weitete sich der Blick im Verlauf des 20. Jahrhunderts
aus. Heute ist das Heilige Land für manche zunächst und vor allem
das Land der Bibel und die Heiligen Stätten «Kraftorte»
des Glaubens; archäologische Stätten finden das Interesse indes
nicht nur der Bibelwissenschaft, sondern auch der Altorientalistik und Byzantinistik.
Das Heilige Land wird sodann mehr und mehr als eine Landschaft der Ostkirchen
wahrgenommen, haben sie ihre Herkunft doch im (Ost-)Römischen Reich
und an seinem Rand. Dass diese Kirchen im Heiligen Land so zahlreich sind,
erinnert zum einen an Verfolgungs- und andere Notzeiten, anderseits an die
Unionsversuche von Seiten der (West-)Römischen Kirche. Die Tatsache
dieser unierten Kirchen ist für die Orthodoxie heute noch eine ökumenische
Schwierigkeit sondergleichen. So traf sich Patriarch Gregor III. während
seines Schweizer Aufenthalts auch mit der Arbeitsgemeinschaft christlicher
Kirchen in der Schweiz, und zwar im Zeichen der «Solidarität
mit den Christen und Christinnen im Nahen Osten», wie Pfarrer Thomas
Wipf in der Begrüssung herausstrich; dennoch hatte der Vertreter der
Orthodoxie in der Arbeitsgemeinschaft einen wichtigeren Termin.
Im Heiligen Land kommen die drei monotheistischen Religionen das Judentum,
das Christentum und der Islam auf einem allen dreien heiligen Boden
zusammen, der so ein bevorzugter Ort des Trialogs sein könnte und werden
müsste.
Und schliesslich und heute in besonderem Mass ist das Heilige Land eine
Herausforderung für die Solidarität mit Menschen in einer äusserst
schwierigen Situation. Für Patriarch Gregor III. ist diese Solidarität
deshalb gefragt, weil ein «Christ» immer ein «Christ mit»
sein muss. So hat er sich als Patriarchalvikar in Jerusalem um ein Miteinander
der Kirchen und um den christlich-muslimischen wie den christlich-muslimisch-jüdischen
Dialog bemüht. Die Kirche setze sich für Gerechtigkeit und damit
Frieden im Nahen Osten ein, weil die Gewalt nur zu überwinden sei,
wenn die Gründe der Gewalt beseitigt würden. Auch der Fundamentalismus
sei immer als ein Produkt einer Krise aufgetreten. Und schliesslich werde
erst der Friede eine Demokratisierung ermöglichen, zumal auch die heutigen
arabischen (National-)Staaten junge Staaten seien.
Der Friede sei für die christliche Präsenz im Nahen Osten, die
auch von manchen Muslimen gewünscht werde, deshalb von besonderer Bedeutung,
weil der israelisch-palästinensische Konflikt die christliche Auswanderung
fördere. Diese Auswanderung habe 1860 begonnen, und seither habe sich
jede Kriegswelle als Auswanderungswelle ausgewirkt. Kritische Situationen
in der Geschichte des jungen Staates Israel haben anderseits auch zu einer
jüdischen (Wieder-)Auswanderung im Ausmass von einer Million Menschen
geführt.
Von den Grössenverhältnissen her ist die christliche Präsenz
im Nahen Osten prekär: von den 250 Millionen Einwohnern und Einwohnerinnen
der arabischen Länder sind 15 Millionen christlich; von den 6 Millionen
Einwohnern und Einwohnerinnen Israels und der Autonomiegebiete sind 150000
christlich; in Jerusalem leben 50000 muslimische und 10000 christliche Gläubige.
Diese zahlenmässig kleine Präsenz ist für Patriarch Gregor
III. von der Bedeutung her eine grosse Präsenz. In der arabischen Welt
haben die Christen einen Einfluss, und als Araber könnten sie eine
Brückenfunktion zu Europa hin wahrnehmen, in kultureller Hinsicht selbst
zu einem säkularisierten Europa. Ohne Frieden sei diese Präsenz
aber gefährdet. Patriarch Gregor III. erwartet deshalb einerseits,
dass Europa im Nah-Ost-Konflik seine eigene politische Rolle noch spielen
lernt. Anderseits hofft er, dass sich die Christen und Christinnen in Europa
ihren Glaubensgeschwistern gegenüber solidarisch verhalten.
Als eine Möglichkeit tätiger Solidarität nannte Patriarch
Gregor III. die finanzielle Unterstützung der christlichen Schulen.
Diese stehen aber nicht nur christlichen, sondern auch muslimischen Schülern
und Schülerinnen offen und sind so nach schweizerischem Begriff gemeinnützig.
Diese Gemeinnützigkeit beim Fundraising in der Schweiz zu kommunizieren,
ist eine nicht geringe Schwierigkeit, weil sich ein säkularisiertes
Denken eine gemeinnützige Einrichtung im Bereich Bildung<3>
Gesundheit<4> und Sozialhilfe<5>
in kirchlicher oder religiöser Trägerschaft kaum vorstellen kann.
1 Dank glücklichen Umständen verfügen wir über eine aussergewöhnliche Vereinsgeschichte: Judith von Ah, Kirchengeschichtlicher Rückblick auf die 100-jährige Tätigkeit des Schweizerischen Heiligland-Vereins, Theologische Diplomarbeit im Schwerpunktfach Kirchengeschichte, Luzern 2000. Eine bebilderte Kurzfassung bietet Heft 3/2001 der Vereinszeitschrift Heiliges Land.
2 Judith von Ah.
3 In diesem Bereich haben die Schweizer Katholiken und Katholikinnen eine besondere Beziehung zur Bethlehem University.
4 In diesem Bereich haben die Schweizer Katholiken und Katholikinnen eine besondere Beziehung zum Caritas Baby Hospital in Bethlehem.
5 In diesen drei Bereichen unterstützt der Schweizerische Heiligland-Verein Projekte und Einrichtungen in einheimischer Trägerschaft; als Treuhänder des von der Schweizer Bischofskonferenz verordneten Karwochenopfers schlägt er zudem pastorale Projekte zur Unterstützung durch diese Kollekte vor.