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INHALT |
Neue Bücher |
Alberto Bondolfi, Ethisch denken und moralisch handeln in der Medizin, Pano Verlag, Zürich 2000, 236 Seiten.
Die Entwicklungen der modernen Medizin stellen die Gesellschaft und das
Individuum vor komplexe und komplizierte Probleme, die nicht mehr einfach
mit dem «gesunden Menschenverstand» und aufgrund unseres traditionellen
Normen- und Wertesystems bewältigt werden können. Der Bedarf an
systematischer ethischer Reflexion, an kritischer Begleitung eines oftmals
fragwürdig erscheinenden Fortschritts, an der verantwortlichen Mitarbeit
an der Errichtung sinnvoller Leitplanken und Orientierungen sind bleibende
Herausforderungen für jeden Ethiker und jede Ethikerin; Herausforderungen,
denen sich Alberto Bondolfi als theologischer Ethiker in seiner intensiven
Forschungs- und Beratertätigkeit gerade auch in der Öffentlichkeit
über Jahre hinweg angenommen hat. Der Anspruch des Autors, der bereits
mit dem Titel seines Buches ausgedrückt ist, bezieht sich auf die Verquickung
von ethischer Reflexion und daraus folgender Orientierung zu verantwortlichem
Handeln, das heisst die moralische Kompetenz im Handeln und Entscheiden
muss notwendig mit der ethischen Kompetenz zur argumentativen Begründung
eben dieses Handelns verbunden sein.
Der Band enthält eine Aufsatzsammlung mehrheitlich überarbeitete
Vortragsmanuskripte zu verschiedensten Themen der Medizinethik. Die
einzelnen Beiträge sind als Übersichtsartikel zu lesen, als Einführungen
in unterschiedliche Problembereiche. Der Autor hat sich allerdings nie mit
einer einfache Analyse begnügt, sondern immer auch Versuche einer Bewertung
und Ansätze konkreter Problemlösungen formuliert. Es kann aufgrund
des «Sammelcharakters» des Bandes in Bezug auf die einzelnen
Beiträge kein Anspruch auf eine erschöpfende Darstellung und Bewertung
der zahlreichen angesprochenen Problembereiche bestehen. Der Band eignet
sich in erster Linie im Hinblick auf ein Einlesen in die Grundfragen der
einzelnen medizinethischen Problemfelder und richtet sich aufgrund seiner
guten Lesbarkeit und verständlichen Sprache auch an ein Publikum von
Nicht-Ethikexperten und -expertinnen.
Worum geht es im Einzelnen? Die ersten drei Beiträge enthalten grundsätzliche
Überlegungen zum Verhältnis von Medizin und Ethik. Die Institutionalisierung
von medizinischer Ethik, kulturelle Bezüge und gesellschaftliche Hintergründe
sind Themen, die angesprochen werden. Die Darlegung der leitenden Prinzipien
ärztlichen Handelns wird ergänzt durch eine kritische Auseinandersetzung
mit der Prinzipienethik und der Frage nach einer sinnvollen Ergänzung
der bestehenden Ansätze durch «Alternativmodelle» zur Prinzipienethik,
zum Beispiel Kasuistik, narrativen Ethik und Tugendethik. Ein weiterer Beitrag
zu Grundfragen fragt nach den Vorstellungen und der Bedeutung von Gesundsein
und Kranksein und setzt an bei der Kritik eines medizinisch-deskriptiven
Verständnisses; leitend sei vielmehr der gesellschaftlich-normative
Aspekt bzw. die Erfahrung von und Betroffenheit durch Krankheit. Von speziellem
Interesse in diesem Beitrag ist der Abschnitt, der sich wenn auch
sehr knapp mit dem komplexen Verhältnis von Krankheit und Schuld
aus historischer und theologischer Perspektive auseinandersetzt.
Die nachfolgenden Beiträge befassen sich mit den verschiedenen Problemfeldern,
in denen ethische Reflexion und verantwortliches Handeln von besonderer
Bedeutung sind, angefangen mit dem Bereich der klinischen Forschung, über
die Gen- und Reproduktionstechnologien bis hin zur Gendiagnostik. Dem Autor
geht es nicht nur darum, kurz in die grundlegenden Fragen dieser umstrittenen
Gebiete einzuführen, sondern auch Wege aufzuzeigen, wie ein gesellschaftlicher
Diskurs geführt oder ein Konsens gefunden werden könnte.
Zwei weitere Beiträge fragen nach den ethischen Fundamenten einer effizienten
AIDS-Politik in pluralistischer Gesellschaft. Ein knapper Verweis auf Fragen
der Gerechtigkeit, des weltweiten Zugangs zu präventiven, insbesondere
aber zu therapeutischen Mitteln, knüpft direkt an die äusserst
aktuelle Debatte um die Herstellung von Generika in den Ländern Afrikas,
Lateinamerikas und Asiens an.
Von grosser Aktualität sind auch die Überlegungen des Autors in
den zwei Artikeln, die sich mit Fragen der Transplantationsmedizin im Allgemeinen,
der Xenotransplantation im Besonderen auseinandersetzen. Ein Problemabriss,
der in die wichtigsten Fragestellungen einführt, ohne einzelne Aspekte
vertiefen zu können, bleibt notwendig an der Oberfläche, trägt
aber zur Kenntnisnahme der Problemlage bei.
Die Aufsätze zur Pflegeethik und zur Verteilungsgerechtigkeit nehmen
Bezug auf die Rationalisierungs- bzw. Rationierungsdebatte, die uns auch
in Zukunft immer stärker beschäftigen wird. Der Autor weiss selbstverständlich,
dass er als Ethikexperte zur Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit im
Gesundheitswesen keine Lösungen aus der Perspektive eines Gesundheitsökonomen
anbieten kann, aber der Beitrag der Ethik zur Behandlung dieser Fragen betrifft
die Formulierung von Leitplanken und grundsätzlichen Orientierungen.
Der Band schliesst mit einigen Beiträgen zur Problematik der Sterbehilfe
und der Begleitung von Sterbenden. Auch hier wird die Position des Autors
hinter der Darstellung der Problemlage deutlich, ebenso wie sein Anliegen,
nicht nur zur Fülle der bereits zum Thema vorliegenden Publikationen
beizutragen, sondern auch die öffentliche Diskussion anzuregen und
zur konkreten politischen Entscheidfindung beizutragen.
Georg Baudler, Die Befreiung von einem Gott der Gewalt. Erlösung in der Religionsgeschichte von Judentum, Christentum und Islam, Patmos Verlag, Düsseldorf 1999, 396 Seiten.
Die Lebensräume der Menschen (Politik, Verkehr, Umwelt, Kultur) wachsen auf unserem Planeten immer enger zusammen. Wer am Abend den Fernseher einschaltet, erfährt in seinen vier Wänden dieses phänomenale Zusammenwachsen aller Lebensbereiche mit einer Ausnahme: die Religion. Hier setzt der Autor an, indem er betont, dass die Religion in die Globalisierung aller Lebensbereiche eingeschlossen sein muss. Anzustreben ist eine kompaktere Einheit der Religionen. Die Suche nach Erlösung ist der Nenner, der alle eint. Religionsgeschichte ist doch die Geschichte der menschlichen Suche nach Erlösung. Dies aufzuzeigen ist die Zielsetzung des vorliegenden Buches. Es geht zuerst um die innere Zusammengehörigkeit der drei Abrahamsreligionen: Judentum, Christentum, Islam. Hier plädiert der Autor besonders für eine verstärkte Rückbindung des Christentums an das Judentum. Was heute unerfüllbar scheint, muss angepeilt werden. Das weiss der Autor auch, wenn er zugesteht, dass die Last des angestauten Leids, das man sich gegenseitig zugefügt hat, wohl zu gross sei, um über den eigenen Schatten zu springen. Doch was heute als Utopie erscheint, ist erstrebenswert. Das Interesse dafür zu wecken, ist das Verdienst dieses ungewöhnlichen Buches.
Joseph Kardinal Ratzinger, Berührt vom Unsichtbaren. Jahreslesebuch. Ausgewählt und herausgegeben von Ludger Hohn-Morisch, Verlag Herder, Freiburg i.Br. 2000, 397 S.
Das Jahrbuch für das Jubeljahr 2000 war eine gediegene Gabe. Die Meditation für jeden Tag geht auf den Menschen zu, behutsam und nicht von oben herab. Der Kardinal bleibt da auf der Verstehensebene des Angesprochenen. Es sind anregende meditative Texte. Vom römischen Glaubenshüter spürt man da nichts. Alles ist einfach, aber keineswegs herablassend und banal. Es lohnt sich, auf diese Tagesportionen einzugehen. Der Herausgeber Ludger Hohn hat die Texte so zusammengestellt, dass ein Block meistens als ein Monatsthema sich von Tag zu Tag weiterentwickelt.