22-23/2001

INHALT

Neue Bücher

Erosion oder Transformation?

Knut Walf (Hrsg.), Erosion. Zur Veränderung des religiösen Bewusstseins, Edition Exodus, Luzern 2000, 144 Seiten.

In den letzten Jahrzehnten haben wir gelernt: Jede Theologie ist «kontextuell» und geprägt von der eigenen Umwelt. Schon aus diesem Grund ist es wichtig, sich mit dem aktuellen religiösen Bewusstsein zu befassen. Das religiöse Empfinden und die Situation der Kirchen sind der Resonanzraum, in dem die Verkündigung heute erklingt ­ oder eben unhörbar bleibt.
Zur religiösen Gegenwartsdiagnostik sind in den letzten Jahren viele Publikationen erschienen: Reisserische Bankrotterklärungen für die Kirchen, religionssoziologische Umfragen und Analysen sowie Erklärungsversuche für den Relevanzverlust der Institution Kirche aufgrund der Glaubwürdigkeitskrise, der verpassten Modernisierung, der ökonomischen und elektronischen Globalisierung, der postmodernen Beliebigkeit usw. All diese Diagnosen sehen Richtiges, aber viele sind eindimensional, und oft ist es auf dem unübersichtlichen Büchermarkt schwierig, die Spreu vom Weizen zu trennen.
Der anzuzeigende Sammelband gehört für mich zum Besten, was ich in den letzten Jahren zum Thema gelesen habe. Renommierte Autoren und eine Autorin beleuchten die «Veränderung des religiösen Bewusstseins» aus der Perspektive ihrer unterschiedlichen Fachbereiche: Karl Gabriel (Soziologie), Werner Post (philosophische Religionskritik), Karl-Heinz Ohlig und Heinz Robert Schlette (Fundamentaltheologie), Willy Obrist (Tiefenpsychologie), Ursula King (Feministische Theologie), Knut Walf (Religionswissenschaft). Die Aufsätze sind materialreich, aber gut lesbar. Und sie vermitteln ein differenziertes Bild. Es handelt sich also um einen wirklichen «Sammel-band» und nicht um ein «Sammelsurium», wie das leider oft der Fall ist.
Die meisten Autoren haben schon vor bald zwanzig Jahren für ein Buch zum gleichen Thema zusammengearbeitet, das damals unter dem Titel «Stille Fluchten» (Kösel 1983) erschien. Für die Verschärfung der Titelformulierung mit dem Bild der «Erosion» beruft sich der Herausgeber auf den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, der von der «Erosion der religiösen Überzeugungen» spricht (7). Ohne die Entwicklung zu verharmlosen und ohne zu verschweigen, dass sie sich tief auf die traditionellen Religionen auswirken wird, werden auch Chancen erkennbar. Die Titelfrage des Beitrags von Ursula King «Erosion oder Transformation?» (103) trifft den Geist des Buches deshalb insgesamt besser als der Buchtitel selbst.
Bei aller Vielfalt lassen die Aufsätze auch Gemeinsamkeiten erkennen.

Zu diesem öffentlichen Diskurs über das aktuelle religiöse Bewusstsein ist das Buch ein hilfreicher Beitrag.

Daniel Kosch


Ein freies Leben

Anthony de Mello, Der springende Punkt. Wach werden und glücklich sein. Aus dem Englischen übersetzt von Irene Lucia Johna. Illustrationen von Jules Stauber, Verlag Herder, Freiburg i.Br. 2000, 220 Seiten.

Der Jesuit Anthony de Mello ist ein amerikanischer Erfolgsautor. Sein Buch ist eigentlich die zehnte Auflage eines Bestsellers, die nun wesentlich erweitert worden ist. Die Bücher Anthony de Mellos sprechen ein multireligiöses Publikum an. Man muss aber wissen, dass man in ihnen vergeblich nach Darstellungen des christlichen Glaubens sucht oder Interpretationen katholischer Dogmen. Diese Vorbemerkung scheint mir wichtig, um das Buch nicht mit falschen Erwartungshaltungen zu befrachten. Wer das kapiert hat, findet hier unkonventionelle Anleitungen zu einem Leben frei von Zwängen, Enttäuschungen und Ängsten.
Es braucht etwas Mut, sich darauf einzulassen, aber das Risiko lohnt sich. Schliesslich bereitet es Spass, wie der seelenkundige Autor die Tiefen des Lebens auslotet und persönliche Dinge zu sagen wagt, die man sonst gerne tabuisiert. Der kecke Autor arbeitet mit weisheitlichen Anekdoten aus der östlichen und westlichen Welt.

Leo Ettlin


© Schweizerische Kirchenzeitung - 2001