49/2000 | |
INHALT |
Lesejahr C |
Beim ersten Lesen des Aufrufs «Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch!» fallen mir allerlei Zitate ein, von «Freude herrscht» (Adolf Ogi) über die abschätzige Redensart «Friede, Freude, Eierkuchen» bis hin zu «Freude, schöner Götterfunken» (F. Schiller/Ludwig v. Beethoven). Der Imperativ «Gaudete» («Freut euch») hat dem 3. Adventssonntag den Namen gegeben. Verordnete Freude und erst recht zwanghafte Fröhlichkeit («Gaudi») sind mir suspekt: Kann man, darf man Freude befehlen? Zugleich macht mir die vielfach freudlose Stimmung in der Kirche zu schaffen. Um so mehr interessiert mich die Frage, wie Paulus seinen Aufruf zur Freude meint.
Für ein sachgemässes Verstehen der Einladungen zur Freude (4,4)
und zur Sorglosigkeit (4,6) ist in Erinnerung zu rufen, dass Paulus seinen
Brief aus der Gefangenschaft in Ephesus schreibt. Auch die Gemeinde in Philippi
lebt keineswegs in einer unbeschwerten Situation. Wie andere frühchristliche
Gemeinden ist sie immer wieder mit dem Verdacht konfrontiert, Ruhe und Ordnung
zu stören und die herrschenden Verhältnisse in Frage zu stellen.
Das heisst, dass Christinnen und Christen von der Gesellschaft diskriminiert
und bei den Behörden denunziert werden, was immer wieder Folter, Auspeitschung
und Haft zur Folge hat (vgl. Apg 16,1140).
In der Aufforderung, sich «zu jeder Zeit» zu freuen und Anliegen
«in jeder Lage» vor Gott bringen, wird spürbar, dass Paulus
gegen Angst und Angstmacherei anschreibt: Vergesst die Freude nicht, auch
und gerade in diesen schwierigen Zeiten. Dass es ihm mit den Stichworten
«Freude» und «Sorglosigkeit» nicht darum geht, die
harten Realitäten zu verdrängen oder zu überspielen, belegt
die Einladung, die eigenen Forderungen im Gebet vor Gott zu bringen. «Freude
in allem Leide», die ein Kirchenlied (KG 200) ganz im Sinn des Paulus
besingt, ist dort möglich, wo Menschen ihre Not zwar benennen und formulieren
und sich nicht von ihren Sorgen beherrschen und von ihren Ängsten besetzen
lassen.
Freude ist für Paulus eine endzeitliche Stimmung, motiviert durch die
Nähe des Herrn (Phil 4,5). In Röm 14,17 wird das Reich Gottes
mit «Friede und Freude im Heiligen Geist» gleichgesetzt. Sie
nimmt den «Tag des Herrn» vorweg und zeigt, dass die Zukunft
schon begonnen hat. Verortet wird diese Freude «im Herrn» (Phil
4,4), das heisst in der Gemeinschaft jener Frauen und Männer, die sich
zu Jesus bekennen. Die endzeitliche Festfreude, von der ein späterer
rabbinischer Text sagen wird, es gäbe sie nicht ohne Essen und Trinken,
nimmt Gestalt an im Leben der christlichen Gemeinde und in der guten Art,
wie ihre Mitglieder mit «allen Menschen» umgehen (4,5). Was
Paulus mit der Kurzformel «Freude im Herrn» meint, entfaltet
und konkretisiert die Apostelgeschichte im Sammelbericht über das Leben
der jungen Gemeinde mit den Stichworten Gütergemeinschaft, Praxis des
Teilens, Brotbrechen und Mahlgemeinschaft «in Freude und Einfalt des
Herzens» (Apg 2,4247). Prägnant formuliert Hans Conzelmann:
«Freude ist Aktualisierung der Freiheit, welche in der Gemeinschaft
konkret wird.»<1>
Die Freude, die Paulus meint
Während ich die Aufforderung «Noch einmal sage ich euch: Freut
euch!» mit mir herumtrage, treffe ich an einer Vorstandssitzung eines
Vereins eine gute Bekannte, Mutter von drei Schulkindern, deren Mann schwer
krebskrank ist. Bei einem Glas Wein kommen wir über die Traktandenliste
hinaus ins Gespräch. Ihr Leben zwischen Hoffen und Bangen kommt ebenso
zur Sprache wie die Auswirkungen der Krankheit auf den Familienalltag. Trotz
des ernsten Themas ist die Stimmung nicht trostlos, sondern zuversichtlich.
Die Sorgen werden nicht verdrängt, sondern geteilt und die verlässliche
Freundschaft unter manchen Vorstandsfrauen wird deutlich spürbar. Auch
wenn das Wort «Gott» nicht fällt, geht mir auf, dass etwas
von diesem «Frieden, der alles Verstehen übersteigt» erfahrbar
wurde. Zwar bereitet mir der Imperativ «Freut euch!» nach wie
vor Schwierigkeiten, denn was Erich Fried von der Freiheit sagt, gilt auch
von der Freude: «Freude herrscht nicht». Aber wo Gemeinschaft
konkret wird, kann Freude selbst in Zeiten grosser Sorgen aufkeimen.
Eine andere, politische Erfahrung von «Freude in der Bedrängnis»
erzählt Allen Boesak aus der Zeit der Apartheid<2>:
«Die Schwarzen in Südafrika haben das Singen von Freiheitsliedern
zu einem Teil ihres Kampfes gemacht, ja man kann sich den Kampf ohne sie
gar nicht vorstellen. Wenn sie auf die Strasse gehen und der Polizei und
Armee gegenüberstehen, dann singen sie. Im Gefängnis singen sie
Lieder vom Widerstand, vom Glauben und von der Freiheit. Das macht
die Wärter nervös. Im Gefängnis ist Singen nicht erlaubt,
aber politische Gefangene tun es trotzdem, ihre Stimmen vereinen sich, wenn
das Lied in einer Zelle nach der anderen aufgenommen wird, bis das Gefängnis
von Musik, die den kommenden Sieg feiert, widerhallt. Gefängniswärter,
Polizisten und schwer bewaffnete Soldaten können nicht verstehen, wie
Menschen unter solchen Umständen singen können. ... Die Freude
der Unterdrückten ist für die Unterdrücker eine Quelle der
Furcht. Aber wir singen, weil wir glauben; wir singen, weil wir hoffen.
Wir singen, weil wir wissen, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis der
Tyrann nicht mehr da ist. ...»
1 Hans Conzelmann, THWNT IX, 359f.
2 Allen Boesak, Schreibe dem Engel Südafrikas, Stuttgart 1988, 65f.
Der kurze Text wird in den Gesamtzusammenhang und in die Situation des Philipperbriefes eingebettet. Dabei wird auf die Situation des Absenders (Gefangeschaftsbrief) ebenso aufmerksam gemacht wie auf die Situation der Gemeinde. Die Wendung: «Noch einmal sage ich: Freut euch!» erweist «Freude in der Bedrängnis» als ein Leitmotiv des Briefes. Um den Text nicht nur zu hören, sondern ihn sich «einzuverleiben», kann er in Sinnzeilen abgeschrieben oder schreibend meditiert werden (s.u.). Anschliessend Austausch über Textbeobachtungen.
Das Stichwort «Freude»/«sich freuen» hat im Philipperbrief und in den Paulusbriefen überhaupt einen hohen Stellenwert. Einschlägige Bibelstellen werden nachgeschlagen und vorgelesen: zum Beispiel Phil 1,4; 1,18; 2,2.1718; 2,2829; 3,1; 4,4.10; Gal 5,22; 2 Kor 1,24; 7,4; Röm 12,15; 14,17; 15,13. Auf einem Plakat werden wichtige Stichworte zu diesem Motiv festgehalten.
«Freude herrscht nicht» und lässt sich weder befehlen noch erzwingen. Ebenso wenig lässt sie sich machen oder kaufen. Trotzdem ist der Wunsch berechtigt, Weihnachten als «Fest der Freude» zu gestalten und zu erleben. Gespräch und Erfahrungsaustausch können klären helfen, was der Freude dient und was ihr im Wege steht.
Literaturhinweis: Helga Kohler-Spiegel/Herta Spiegel, Meditieren mit Schriften und Formen. Ein Übungsbuch für Erwachsene und Kinder, München 2000.