45/2000 | |
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Lesejahr B |
Die Herrschaft der makedonischen Könige im Orient, die die persische
ablöste, hat den jüdischen Theologen mehr noch als frühere
Fremdherrschaften zu denken gegeben. Sie wurde als unerbittlich und unmenschlich
erfahren (vgl. SKZ 2930/2000). Die ganze Welt schien aus den Fugen
geraten, ein Leben nach herkömmlichen Sitten, Gebräuchen und Werten
kaum noch führbar, es sei denn in völliger weltabgewandter Introversion.
Eindringlicher denn je stellte sich die Frage, wie die Frevler zur Rechenschaft
gezogen werden und den Gerechten Genugtuung widerfahren könne. Die
apokalyptischen Autoren/Autorinnen der letzten Kapitel des Buches Daniel
antworten darauf mit der erstmaligen Formulierung der Möglichkeit einer
individuellen Auferstehung der Toten. Diese Vorstellung äussern sie
am Ende eines ausführlichen und unverhüllten Geschichtsberichtes
(11,2b45), der in Gestalt einer Engelsrede und nach Darstellung
der Schrift bereits in den Tagen des gottbestallten Perserkönigs
Kyros (vgl. SKZ 40/1999) an Daniel ergeht. Mit dem darin an letzter Stelle
genannten «König des Nordens» (11,40) ist Antiochos IV.
gemeint, der dem erstgenannten Kyros wie ein dunkler Schatten am Ende der
Dekadenz gegenübergestellt und dessen Ende prophezeit wird. In den
Makkabäerbüchern werden nicht weniger als drei verschiedene Fassungen
vom Tod dieses den Juden verhassten Herrschers überliefert (1 Makk
6,117; 2 Makk 1,1416; 9,129), der nach Darstellung des griechischen
Historikers Polybios im Dezember 164 v. Chr. in Persien dem Wahnsinn verfiel
und starb, nachdem er zuvor in Syrien einen Tempel der Göttin auszurauben
versucht hatte, jedoch am Widerstand der Einheimischen gescheitert war.
Im Lesungstext, der sich vom Vorangehenden schon rein formal durch seine
gebundene Rede abhebt, verheisst der Engel den hilfreichen Beistand des
Erzfürsten (sar hagadol; EÜ: «Engelsfürst») Michael
(«Wer-ist-wie-Gott?») für sein Volk und die Errettung aller
in einem Buch Verzeichneten während einer noch nie dagewesenen Zeit
der Not. Von Michael ist innerhalb des Ersten Testaments nur in diesen letzten
Kapiteln des Danielbuches die Rede. In der damaligen Henochliteratur war
die Figur populär und wohl bekannt. Michael ist Leiter, Beschützer
und Fürsprecher Israels. Er führt die Heere der Engel gegen Satan
und dessen Engel, führt die himmlischen Bücher und bläst
am letzten Tag zum Gericht (1Thess 4,16). Nicht nur die Lebenden werden
gerettet werden, heisst es weiter, sondern auch eine Menge (rabim) Tote,
die als Schläfer im Staubland charakterisiert werden. Die einen unter
ihnen erwachen zum ewigen Leben, die anderen zu ewiger Abscheu (der'aon;
vgl. die Sünder in Jes 66,24). Damit ist nicht an eine zeitlich zu
denkende Fortsetzung des Lebens in einem Jenseits gedacht, sondern an eine
Würdigung ihrer unvollendet gebliebenen irdischen Existenz. Daher gibt
es noch eine dritte Gruppe, nämlich jene, die nicht auferweckt werden,
weil ihnen bereits im Leben Gerechtigkeit widerfahren ist. Die zu ewigem
Leben Erweckten werden wohl in Anspielung an den Gottesknecht (Jes 42,3)
als Verständige (maskilim) charakterisiert und mit dem leuchtenden
Himmel bzw. den Sternen verglichen (in Mt 13,42 ist es die Sonne). Die Verbindung
ist im Christentum sehr volkstümlich geworden, besonders durch die
Weihnachtsgeschichte, wonach die orientalischen Sterndeuter einem neuen
Stern am Himmel folgten.
Während somit die Auferstehungvorstellung, wie übrigens auch die fernöstliche Reinkarnationsidee, ursprünglich Gerechtigkeit auch über den Tod hinaus einforderte, so wird heute mit diesen beiden Lehren in den Wohlstandsländern mehr und mehr die Idee von einem oder gar mehreren weiteren Leben verbunden, die den Menschen vergönnt seien. An die Stelle der Sehnsucht der Armen nach letztendlicher Genugtuung trat die Lebenssucht der Reichen, geboren aus der Unerfülltheit ihres Lebens und genährt durch ihre Angst vor dem Tod.
Für eine Kirche, die sich in der Nachfolge des armen Mannes von Nazareth und der Gottesknechte und -mägde vom Zion sieht, bedeutet das, dass sie heutige Rede von Auferstehung vom Kopf auf die Füsse zu stellen hat: gegenüber der Spekulation über das Jenseits ist zu beharren auf der Debatte über ein Leben vor dem Tod, das menschliche Würde bis zur Grenze des Lebens garantiert.
Literaturhinweis: Sabine Bieberstein/Daniel Kosch (Hrsg.), Auferstehung hat einen Namen. Biblische Anstösse zum Christsein heute, Luzern 1998.
Die Vorstellung einer individuellen Auferstehung ist eine späte Blüte judäischer Theologie. Die ältere Prophetie dachte in kollektiven Kategorien. Das kommende Gericht Gottes, der «Tag JHWHs» konnte sich in unterschiedlichen Katastrophenszenarien konkretisieren: als Heuschreckenplage (Am 7,13), Feuer (Am 7,46), Dürre (Hos 13,15; Jer 4,11f.), Erdbeben (Am 9,1), Verschwinden von Vögeln und Fischen (Hos 4,3), Sonnen- und Mondfinsternisse (Hab 3,10f.; Zef 1,15), Hunger und Seuchen (Jer 27,8), Deportation (Mi 2,10; Jer 6,11f.; Ez 6,89 u.ö.), Verödung der Städte (Hos 10,8; Jer 10,22). Solche Katastrophen trafen die gesamte Bevölkerung und wurden von den Propheten als Folgen eines gottwidrigen, gesetzlosen Tuns interpretiert, in das die ganze betroffene Gemeinschaft verstrickt war. Vor allem die einschneidende Exilserfahrung der judäischen Oberschicht veränderte in diesem Teil der Bevölkerung die Endzeitvorstellungen. Einmal im Elend, konnte es nicht mehr schlimmer werden, und so stellten sich mehr und mehr Hoffnungen auf ein heilvolles Ende ein, allen voran die Hoffnung auf Heimkehr (Jer 3,18; 31,712; Ez 37,1522), aber auch auf gerechte Herrschaft eines davidischen Statthalters (Hos 3,5; Jes 9,56; Jer 23,5f.; Ez 34,23f.), auf die Ausgiessung des Geistes (Ez 36,26; Joël 3,1f.), einen ewigen Bund JHWHs mit seinem Volk (Jes 55,3; Je 32,40; Ez 16,60.62) und den Tieren (Hos 2,20), ja auf eine paradiesische Zeit, die gerne in bukolischen Bildern (Hos 2,23f.; Jes 30,23f.; Ez 34,26f.; Joël 2,2226) geschildert wurde und Abrüstung (Jes 2,4), ein Ende des Völkerspottes (Ez 34,29), ein Aufblühen der Wüste (Jes 43,19f.) und einen auch das Reich der wilden Tiere umfassenden Frieden (Jes 11,69) beinhalten konnte. Dabei ist eine mit der Monotheisierung JHWHs einhergehende Tendenz zur Universalisierung der Endzeitvorstellungen unübersehbar. Der Regent über die «Könige der Erde» (Pss 82; 96; 98), ja das «Heer der Höhe» (Jes 24,21) vereitelt den Aufmarsch der Völker (Ez 39; Sach 12,29). Im Tal Joschafat hält er Gericht über die Völker. Parallel zu dieser Universalisierung ist eine Individualisierung der Endzeitvorstellungen auszumachen. Gott straft nicht mehr eine ganze Generation, ja über sie hinaus ihre Nachfahren, sondern den Einzelnen nach seinen Verdiensten und Vergehen (vgl. SKZ 37/1999). Wie bei der Läuterung des Metalls von der Schlacke (Mal 3,3) oder bei der Auslese der Schafe (Sach 13,79) findet eine Scheidung statt. Die Gerechten werden markiert (Ez 9) bzw. in einem Buch aufgelistet (Jes 4,3; Ez 13,9; Dan 7,10; 12,1; Mal 3,16). Gerade diese aus der Welt der Bürokratie stammenden Bilder erinnern stark an Ägypten, wo eine administrative Erfassung der Bevölkerung zwecks gerechter Besteuerung früh entwickelt und in Bezug auf die moralische Schuldigkeit eines Menschen auf die Beurteilung der Verstorbenen im so genannten Totengericht übertragen wurde, worin der Schreibergott und himmlische Listenführer Thot eine wichtige Funktion ausübt.