4/2000

INHALT

Lesejahr B

Hoffen auf den Tod

Thomas Staubli zu Ijob 7,1-10

 

Kirche: Hoffen als Pflicht

Hoffnung ist für viele Christinnen und Christen so etwas wie eine verordnete Pflicht. «Glaube, Liebe, Hoffnung», «ich glaube an die Auferstehung von den Toten», «ist die Not am grössten, ist Gott uns am nächsten». Christentum und Zuversicht scheinen eins zu sein, der christliche Gott unangreifbar, denn dann, wenn alles verloren scheint, kommt ja noch die Auferstehung und alles wird wieder gut. Vielleicht ist Gott gerade deshalb vielen gleichgültig geworden. Eine Beschäftigung mit Ijobs Ringen mit seinen Freunden und mit Gott kann helfen, um von solchen Klischeevorstellungen Abschied zu nehmen.

Bibel: Hoffnung aus der Hoffnungslosigkeit

Als der Ijob-Stoff im 4. Jh. v. Chr. in die uns heute vorliegende literarische Gestalt gebracht wurde, war er schon uralt. Die Gestalt des leidenden Gerechten beschäftigte die Weisen des Vorderen Orients schon immer. An ihr versuchten sie sich den Sinn des Leidens und Sterbens und damit der menschlichen Existenz klar zu machen, erörterten sie die Frage, ob es so etwas wie Gerechtigkeit geben könne, und diskutierten sie das Verhältnis des Menschen zur übrigen Schöpfung. Ihre unterschiedlichen Positionen brachten sie, darin den platonischen Dialogen nicht unähnlich, in die Form eines Streitgespräches zwischen Ijob und seinen Freunden. Ganz anders als bei Platon wandelt sich das Gespräch unter Freunden fast unmerklich in eine Auseinandersetzung zwischen Ijob und Gott. So bereits in der ersten Ijob-Rede, der die Lesung entnommen ist. Geht es im ersten Teil (Kap. 6) um das Verhalten der Freunde, so im zweiten (Kap. 7) um das Verhalten Gottes Ijob gegenüber. Zwar ist Gott zu Beginn dieses Abschnittes noch nicht der unmittelbare Adressat der Klagen Ijobs, aber doch deren Hauptgegenstand. Im letzten Teil des Kapitels mündet die Ijob-Rede aber bereits in eindringliche Fragen an die Adresse Gottes. Gleichzeitig wandelt sich die Rede von einer allgemeinen Reflexion zur konkreten Klage. Gerade darin erweist sich ihre therapeutische Qualität.
Zunächst vergleicht Ijob das menschliche Leben mit dem der Söldner und Tagelöhner, also einem Leben, das ganz in der Verfügungsgewalt eines Mächtigeren steht. So etwas wie Erfüllung oder Sinn ist dieser Existenz völlig fremd. Einzig gelegentliche Erholung im Schatten eines Baumes oder die Auszahlung des Lohnes lindern vorübergehend das Elend. Ijob nennt das ein «Erbe» (nahalah) der «Schadensmonate» (jarchei-schaw'; EÜ: «Monde voll Enttäuschung»). In den Zehn Geboten heisst es: «Du sollst den Namen JHWHs, deines Gottes, nicht zu jemandes Schaden (schaw'), nicht in betrügerischer Absicht aussprechen» (Ex 20,7; Dtn 5,11). Ijob fühlt sich demnach um ein Erbe ­ Land und Haus/Familie ­ betrogen, das ihm eine menschenwürdige Existenz garantieren würde. Eng verbunden mit dem Erbe, das eigentlich jedem Menschen zusteht, ist die Vorstellung der Ruhe, in der der Mensch, alle Entfremdungsprozesse hinter sich lassend, zu sich selbst kommt. Sie wurde im Schabbat feierlich und demokratisch institutionalisiert, ist aber Ijob ebenfalls nicht gegönnt. Auf dem Hintergrund solcher Themen wird deutlich, dass es nicht bloss um den kranken Ijob geht, der in 7,5 über seinen entstellten Leib klagt, sondern um alle Menschen, die ein menschenunwürdiges Leben führen. Im trefflichen Bild vom Weberschiffchen (7,6) fasst Ijob seine hoffnungslose Existenz zusammen. Die Pointe liegt darin, dass das letzte Wort des Verses, tiqwah, sowohl Faden als auch Hoffnung bedeuten kann (vgl. Kasten). Ijobs einzige Hoffnung ist demnach der zu Ende gehende Lebensfaden. Diese Nicht-Hoffnung setzt er entschieden seinem Freund Elifas entgegen, der in der Rechtschaffenheit und Zuversicht des Frommen begründete Hoffnung auf Erlösung zu sehen vermeint (Ijob 4,6; 5,16). In den folgenden Versen führt Ijob den Gedanken gnadenlos zu Ende: Sein Leben ist nur ein Windhauch (ruach), unsichtbar für andere, bestimmt für die Unterwelt (schö'ol), aus der es keine Wiederkehr gibt. Ijobs Argument ist subversiv. Der Tod, Ijobs letzte Hoffnung auf eine Lösung seiner Probleme bzw. Erlösung aus seinem Leid, kann nämlich für Gott keine Lösung sein, denn Tote preisen Gott nicht, setzen ihn gegenüber den Gottesleugnern nicht ins Recht. Der Tod wird so unerwartet zum Anwalt an Ijobs Seite, zur Hoffnung darauf, dass Gott doch noch von seinem harten Kurs abweicht, da er ja ein Gott der Lebenden, nicht der Toten ist.

Welt: Leben im Angesicht der Katastrophe

Günther Anders hat das «Prinzip Hoffnung» von Ernst Bloch in Frage gestellt. Angesichts der realen Apokalypse sei Hoffnung bloss ein anderes Wort für Feigheit und Blindheit. Wer sich den Katastrophen verschliesst in der Hoffnung, es komme doch nicht so schlimm, trägt nichts zur Rettung bei, vielleicht aber, wer sie kommen sieht und doch heute noch ein Apfelbäumchen pflanzt.

 

Literaturhinweis: Jürgen Ebach, Streiten mit Gott. Hiob. Teil 1: Hiob 1­20, Neukirchen 1995.


Spinnen, weben, hoffen

Kleider wurden im Alten Orient aus pflanzlichen Fasern (Flachs, Leinen) oder tierischer Wolle (Schaf, Ziege, Kamel) gewoben. Während das Spinnen ausschliesslich Frauenarbeit war, wurde die gewerbliche Weberei auch von Männern ausgeführt (Ex 28,3­43; 1 Sam 17,7). Unter den von Frauen ausgeübten Handwerken ist das Weben das angesehenste, weil einträglichste. Gearbeitet wurde an horizontalen Webstühlen, die über den nackten Boden gespannt wurden oder an vertikalen Hängewebstühlen, deren Kettfäden durch Gewichtssteine gespannt wurden. Solche Gewichtssteine und Spinnwirteln aus Ton, Stein oder Elfenbein sind meistens die einzigen archäologisch auffindbaren Zeugen des für den Alltag so wichtigen textilen Handwerks. Die Arbeit am Webrahmen konnte von einer oder zwei Personen ausgeübt werden. Sie bestand im Spannen der Kettfäden, von denen jeder zweite ans Weberjoch hochgebunden werden musste. Den mit dem Weberschiffchen ('äräg) durchgezogenen Schuss musste man mit einem Ziegenhorn und dem Webschwert an den bereits gewobenen Stoff zurren.
Das hebräische Wort für Hoffnung, Faden, Schnur (tiqwah) ist von Schnur, Seil (qaw) abgeleitet. Wahrscheinlich gehen beide Worte auf ein Verb qawah, das «gespannt sein» bedeutet, zurück. Im Faden des Weberschiffchens, der plötzlich zu Ende ist, tritt der materiell-geistige Zusammenhang besonders eindringlich hervor. Ganz ähnlich ist in der griechischen Mythologie vom Lebensfaden die Rede, der von den Parzen, den Schicksalsgöttinnen, gesponnen wird bis sie ihn abschneiden und das Leben eines Menschen zu Ende geht.


© Schweizerische Kirchenzeitung - 2000