4/2000 | |
INHALT |
Lesejahr B |
Hoffnung ist für viele Christinnen und Christen so etwas wie eine verordnete Pflicht. «Glaube, Liebe, Hoffnung», «ich glaube an die Auferstehung von den Toten», «ist die Not am grössten, ist Gott uns am nächsten». Christentum und Zuversicht scheinen eins zu sein, der christliche Gott unangreifbar, denn dann, wenn alles verloren scheint, kommt ja noch die Auferstehung und alles wird wieder gut. Vielleicht ist Gott gerade deshalb vielen gleichgültig geworden. Eine Beschäftigung mit Ijobs Ringen mit seinen Freunden und mit Gott kann helfen, um von solchen Klischeevorstellungen Abschied zu nehmen.
Als der Ijob-Stoff im 4. Jh. v. Chr. in die uns heute vorliegende literarische
Gestalt gebracht wurde, war er schon uralt. Die Gestalt des leidenden Gerechten
beschäftigte die Weisen des Vorderen Orients schon immer. An ihr versuchten
sie sich den Sinn des Leidens und Sterbens und damit der menschlichen Existenz
klar zu machen, erörterten sie die Frage, ob es so etwas wie Gerechtigkeit
geben könne, und diskutierten sie das Verhältnis des Menschen
zur übrigen Schöpfung. Ihre unterschiedlichen Positionen brachten
sie, darin den platonischen Dialogen nicht unähnlich, in die Form eines
Streitgespräches zwischen Ijob und seinen Freunden. Ganz anders als
bei Platon wandelt sich das Gespräch unter Freunden fast unmerklich
in eine Auseinandersetzung zwischen Ijob und Gott. So bereits in der ersten
Ijob-Rede, der die Lesung entnommen ist. Geht es im ersten Teil (Kap. 6)
um das Verhalten der Freunde, so im zweiten (Kap. 7) um das Verhalten Gottes
Ijob gegenüber. Zwar ist Gott zu Beginn dieses Abschnittes noch nicht
der unmittelbare Adressat der Klagen Ijobs, aber doch deren Hauptgegenstand.
Im letzten Teil des Kapitels mündet die Ijob-Rede aber bereits in eindringliche
Fragen an die Adresse Gottes. Gleichzeitig wandelt sich die Rede von einer
allgemeinen Reflexion zur konkreten Klage. Gerade darin erweist sich ihre
therapeutische Qualität.
Zunächst vergleicht Ijob das menschliche Leben mit dem der Söldner
und Tagelöhner, also einem Leben, das ganz in der Verfügungsgewalt
eines Mächtigeren steht. So etwas wie Erfüllung oder Sinn ist
dieser Existenz völlig fremd. Einzig gelegentliche Erholung im Schatten
eines Baumes oder die Auszahlung des Lohnes lindern vorübergehend das
Elend. Ijob nennt das ein «Erbe» (nahalah) der «Schadensmonate»
(jarchei-schaw'; EÜ: «Monde voll Enttäuschung»). In
den Zehn Geboten heisst es: «Du sollst den Namen JHWHs, deines Gottes,
nicht zu jemandes Schaden (schaw'), nicht in betrügerischer Absicht
aussprechen» (Ex 20,7; Dtn 5,11). Ijob fühlt sich demnach um
ein Erbe Land und Haus/Familie betrogen, das ihm eine menschenwürdige
Existenz garantieren würde. Eng verbunden mit dem Erbe, das eigentlich
jedem Menschen zusteht, ist die Vorstellung der Ruhe, in der der Mensch,
alle Entfremdungsprozesse hinter sich lassend, zu sich selbst kommt. Sie
wurde im Schabbat feierlich und demokratisch institutionalisiert, ist aber
Ijob ebenfalls nicht gegönnt. Auf dem Hintergrund solcher Themen wird
deutlich, dass es nicht bloss um den kranken Ijob geht, der in 7,5 über
seinen entstellten Leib klagt, sondern um alle Menschen, die ein menschenunwürdiges
Leben führen. Im trefflichen Bild vom Weberschiffchen (7,6) fasst Ijob
seine hoffnungslose Existenz zusammen. Die Pointe liegt darin, dass das
letzte Wort des Verses, tiqwah, sowohl Faden als auch Hoffnung bedeuten
kann (vgl. Kasten). Ijobs einzige Hoffnung ist demnach der zu Ende gehende
Lebensfaden. Diese Nicht-Hoffnung setzt er entschieden seinem Freund Elifas
entgegen, der in der Rechtschaffenheit und Zuversicht des Frommen begründete
Hoffnung auf Erlösung zu sehen vermeint (Ijob 4,6; 5,16). In den folgenden
Versen führt Ijob den Gedanken gnadenlos zu Ende: Sein Leben ist nur
ein Windhauch (ruach), unsichtbar für andere, bestimmt für die
Unterwelt (schö'ol), aus der es keine Wiederkehr gibt. Ijobs Argument
ist subversiv. Der Tod, Ijobs letzte Hoffnung auf eine Lösung seiner
Probleme bzw. Erlösung aus seinem Leid, kann nämlich für
Gott keine Lösung sein, denn Tote preisen Gott nicht, setzen ihn gegenüber
den Gottesleugnern nicht ins Recht. Der Tod wird so unerwartet zum Anwalt
an Ijobs Seite, zur Hoffnung darauf, dass Gott doch noch von seinem harten
Kurs abweicht, da er ja ein Gott der Lebenden, nicht der Toten ist.
Günther Anders hat das «Prinzip Hoffnung» von Ernst Bloch in Frage gestellt. Angesichts der realen Apokalypse sei Hoffnung bloss ein anderes Wort für Feigheit und Blindheit. Wer sich den Katastrophen verschliesst in der Hoffnung, es komme doch nicht so schlimm, trägt nichts zur Rettung bei, vielleicht aber, wer sie kommen sieht und doch heute noch ein Apfelbäumchen pflanzt.
Literaturhinweis: Jürgen Ebach, Streiten mit Gott. Hiob. Teil 1: Hiob 120, Neukirchen 1995.
Kleider wurden im Alten Orient aus pflanzlichen Fasern (Flachs, Leinen)
oder tierischer Wolle (Schaf, Ziege, Kamel) gewoben. Während das Spinnen
ausschliesslich Frauenarbeit war, wurde die gewerbliche Weberei auch von
Männern ausgeführt (Ex 28,343; 1 Sam 17,7). Unter den von
Frauen ausgeübten Handwerken ist das Weben das angesehenste, weil einträglichste.
Gearbeitet wurde an horizontalen Webstühlen, die über den nackten
Boden gespannt wurden oder an vertikalen Hängewebstühlen, deren
Kettfäden durch Gewichtssteine gespannt wurden. Solche Gewichtssteine
und Spinnwirteln aus Ton, Stein oder Elfenbein sind meistens die einzigen
archäologisch auffindbaren Zeugen des für den Alltag so wichtigen
textilen Handwerks. Die Arbeit am Webrahmen konnte von einer oder zwei Personen
ausgeübt werden. Sie bestand im Spannen der Kettfäden, von denen
jeder zweite ans Weberjoch hochgebunden werden musste. Den mit dem Weberschiffchen
('äräg) durchgezogenen Schuss musste man mit einem Ziegenhorn
und dem Webschwert an den bereits gewobenen Stoff zurren.
Das hebräische Wort für Hoffnung, Faden, Schnur (tiqwah) ist von
Schnur, Seil (qaw) abgeleitet. Wahrscheinlich gehen beide Worte auf ein
Verb qawah, das «gespannt sein» bedeutet, zurück. Im Faden
des Weberschiffchens, der plötzlich zu Ende ist, tritt der materiell-geistige
Zusammenhang besonders eindringlich hervor. Ganz ähnlich ist in der
griechischen Mythologie vom Lebensfaden die Rede, der von den Parzen, den
Schicksalsgöttinnen, gesponnen wird bis sie ihn abschneiden und das
Leben eines Menschen zu Ende geht.