45/2000 | |
INHALT |
Leitartikel |
Vor Jahresfrist trafen sich auf schweizerischer Ebene angeregt
vom Kongress der kirchlichen Bewegungen und geistlichen Gemeinschaften und
ihrer gross angelegten Begegnung mit Papst Johannes Paul II. zu Pfingsten
1998 in Rom zum ersten Mal Verantwortliche von kirchlichen Bewegungen
und neuen Gemeinschaften sowie drei Mitglieder der Bischofskonferenz mit
einem zweifachen Ziel: sich einerseits zu begegnen und besser kennen zu
lernen und anderseits in der gesamten Kirche der Schweiz besser bekannt
und geschätzt zu werden. Am Ende dieses Treffens wurde die Notwendigkeit
erkannt, gemeinsam das Gespräch mit Vertretern und Vertreterinnen von
Bistümern und Pfarreien aufzunehmen. So wurde das zweite Treffen der
Verantwortlichen von kirchlichen Bewegungen und neuen Gemeinschaften der
Schweiz «mit Vertretern und Vertreterinnen der Pfarreien und Diözesen»
durchgeführt.
In einem ersten Podium berichteten Vertreter und Vertreterinnen von Bewegungen
und Pfarreien über ihre persönlichen Erfahrungen in der Beziehung
zwischen Pfarreien und Bewegungen. In den drei Sprachregionen von Vertretern
und Vertreterinnen der Bewegungen vorbereitet, zeigte sich bereits an diesem
Podium, dass auch dieses zweite Treffen ein Treffen von Bewegungen war und
«Vertreter und Vertreterinnen der Pfarreien und Diözesen»
dazu nur eingeladen waren. Verschiedenen Bewegungen angehörende Laien
erzählten von Ablehnung, die sie in der Pfarrei erfahren hatten, sobald
ihre Zugehörigkeit zu einer Bewegung bekannt wurde; mit Geduld und
Liebe sei diese Ablehnung aber zu überwinden gewesen. Ein einer Bewegung
angehörender Pfarrer berichtete von Vorbehalten, denen er begegnet
ist, denen er aber mit Dialogbereitschaft zu begegnen wusste. Ein Tessiner
Pfarrer hat gute Erfahrungen gemacht, als er Vertreterinnen und Vertreter
von verschiedenen Bewegungen eingeladen hatte, um mit ihnen zu besprechen,
was gemeinsam für die Pfarrei getan werden könne.
In einem theoretischen Block fragten Diakon Urban Camenzind und Schönstattpater
Edwin Germann nach dem theologischen Ort der kirchlichen Bewegungen. Dabei
bezogen sie sich im Wesentlichen auf das Referat, das Kardinal Joseph Ratzinger
am Kongress der kirchlichen Bewegungen und geistlichen Gemeinschaften 1998
gehalten hatte. Der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre
hatte den Aufbruch der kirchlichen Bewegungen als eine Wortmeldung des Heiligen
Geistes «in der winterlichen Periode der Kirche» (Karl Rahner)
bezeichnet. Weil dieser Geist durch begrenzte Menschen wirke, zeigten sich
in diesen Bewegungen aber auch «Kinderkrankheiten» wie Tendenzen
zur Ausschliesslichkeit, zu einseitigen Akzentsetzungen und damit zur Unfähigkeit,
sich ins Leben der Ortskirche einzufügen. So sei es notwendig geworden,
nachzudenken «wie die beiden Realitäten, der neue situationsbedingte
Aufbruch einerseits und die Pfarrei und das Bistum andererseits, ins richtige
Verhältnis gesetzt werden könnten». Eine eindimensionale
Verhältnisbestimmung, nämlich das Bistum und die Pfarrei als institutionelle
Realität und die Bewegungen als charismatische Realität zu verstehen,
greift zu kurz; denn «die beständigen Gestalten der Grundversorgung»
und «die situationsbestimmten Aufbrüche des Geistes», «die
Kontinuität der geschichtlichen Ordnung» und «die immer
neuen Verlebendigungen des Evangeliums» dürfen nicht gegeneinander
ausgespielt werden.
Als Hilfe zu einer solchen Verhältnisbestimmung legt sich eine mehrdimensionale
Dialektik nahe, nämlich jene von Institution und Charisma, Christologie
und Pneumatologie, Hierarchie und Prophetie. Eine nähere Betrachtung
zeigt indes, dass es auch bei dieser komplexeren Gegenüberstellung
keine einfachen Zuordnungen gibt, was seinen Grund darin hat, dass die Kirche
«nicht dialektisch, sondern organisch gebaut» ist. Diese Dialektik
lässt wohl besser verstehen, dass es in der Kirche verschiedene Funktionen
gibt, zur Bestimmung des theologischen Ortes der Bewegungen ist eine Dialektik
von Prinzipien indes wenig hilfreich. Mehr versprechen sich die Referenten
mit Kardinal Joseph Ratzinger von einem geschichtlichen Ansatz, wie es dem
geschichtlichen Wesen des Glaubens und der Kirche entspricht. Dieser Ansatz
nimmt wahr, wie die apostolische Nachfolge in apostolischen Bewegungen konkretisiert
wird, wie im Verlauf der Kirchengeschichte auf grosse Fragen grosse Antworten
gefunden wurden: von der monastischen Bewegung der frühen Kirche über
den franziskanischen Aufbruch im Mittelalter bis zu den Bewegungen, die
eine Antwort auf die Nöte unserer Zeit sein könnten. Bei den Bewegungen
in der jüngsten Geschichte der Kirche sei eine Typologie der Bewegungen
hilfreich: so habe eine allgemeine Strömung wie die Marianische Bewegung
zu einer zeitlich befristeten Aktion (der Unterschriftensammlung für
eine Dogmatisierung) oder zu einer strukturierten Bewegung (den Marianischen
Kongregationen) führen können.
Die Gruppengespräche und vor allem das abschliessende vom evangelisch-reformierten
Pfarrer Peter Dettwiler moderierte Podium zeigten dann sehr deutlich,
dass die Probleme, die die kirchlichen Bewegungen mit den Pfarreien bzw.
die die Pfarreien mit den kirchlichen Bewegungen haben, weniger theologischer
als vielmehr psychologischer Art sind. Weihbischof Peter Henrici kennt
als Ordensmann lebend und zugleich als Generalvikar in der Territorialseelsorge
stehend beide Seiten aus eigener Erfahrung, er kennt auch die Vorbehalte,
Befürchtungen und Abwehrhaltungen gegenüber den neuen kirchlichen
Bewegungen; er ortet sie jedoch auf der emotionalen Ebene: als spontane
Reaktion gegenüber dem Fremden. Als besondere Qualitäten der kirchlichen
Bewegungen stellte er den Platz heraus, den sie dem Wort Gottes einräumen,
sodann der von ihnen gelebten (auch innerkirchlichen) Ökumene sowie
den Umstand, dass Jugendliche leichter zu Bewegungen als zu Pfarreien Zugang
finden.
Rückfragen an die Bewegungen formulierte Reto Müller, der als
Pfarrer mit ihnen nicht nur harmonische Erfahrungen macht. Sind die kirchlichen
Bewegungen wirklich Kräfte der Bewegung oder nicht doch eher Kräfte
des Bewahrens und Beharrens? So treten in der Zürcher Liebfrauenpfarrei
nicht einfach traditionelle, sondern traditionalistische Gruppen in Erscheinung,
die durch eine überhitzte Marienverehrung und einen überzogenen
Papstkult auffallen und dies mit der Rückkehr zur Mundkommunion noch
betonen. Von den Bewegungen angezogen werden nicht selten psychisch labile
Menschen; sie finden dort Halt, können die Gemeinschaft aber auch prägen.
Besorgt fragte deshalb Reto Müller die Bewegungen, wie sie mit dieser
Problematik umgehen. Wohl bringen kirchliche Bewegungen eine Vielfalt in
die Kirche ein die Aufgabe des Zusammenhalts, der Einheit scheinen
sie indes gerne den Pfarreien überlassen zu wollen, klagte er als Pfarrer.
Von der Beratungspraxis her berichtete Joachim Müller, Leiter der Katholischen
Arbeitsstelle «Neue Religiöse Bewegungen», von Konflikten
im Zusammenhang mit neuen nicht nur ausserkirchlichen, sondern auch innerkirchlichen
Bewegungen. Da kann es um Angehörige gehen, die sich mit dem Engagement
in einer Bewegung verändern, was zu Sorge Anlass gibt, wenn «die
Verliebtheitsphase eines Neumitglieds» anhält oder wenn die Veränderung
bis ins Fanatische geht; oder da gibt es wegen der Zugehörigkeit eines
Mitglieds zu einer Bewegung Konflikte in einem Seelsorgeteam. Joachim Müller
empfahl deshalb den Pfarreien, sich gut zu informieren, und den Bewegungen,
transparent zu sein bzw. zu werden.
Weitere kritische Wortmeldungen von Vertretern und Vertreterinnen von Bistümern
und Pfarreien dürften die Absicht der Vorbereitungsgruppe, mit Weihbischof
Martin Gächter und Territorialabt Joseph Roduit an der Spitze, das
nächste Treffen gemeinsam mit den diesmal bloss Eingeladenen vorzubereiten,
gefördert haben.