6/2000 | |
INHALT |
Leitartikel |
Der Alltag macht es uns nicht immer leicht. Schnell kann uns etwas aus
dem Gleichgewicht schleudern, ein unfreundlicher Telefonanruf, ein Rohrbruch
am Samstagabend, und schon geraten wir ins Schimpfen. Joop Roeland weiss
darum in seinen Prosatexten, reiht sich ehrlich selbst unter die Betroffenen.
Auch der Alltag Jesu sei nicht ohne Konflikte gewesen, gibt er indessen
weiter zu bedenken. Aber er sei wohl anders damit umgegangen. Er habe nicht
geschrien, nicht zu sarkastischen Antworten gegriffen, sondern er habe in
solchen Momenten ein Gleichnis erzählt und damit die Situation entkrampft.
Joop Roeland geht vom «Tatort Alltag» aus: aus seiner Banalität
und Lächerlichkeit manchmal, «aber auch aus seiner Zerbrechlichkeit
und seiner Sehnsucht, über sich selbst hinauszuschauen», wie
er im Vorwort schreibt. Nah bleibt er bei den Sorgen, die alle kennen, aber
er wagt auch Prophetisches und spricht es aus, dass der Himmel für
alle da ist. Der 1931 in Haarlem geborene Niederländer, Mitglied des
Augustinerordens, lebt seit 1970 in Wien, hat dort als Hochschulseelsorger
gearbeitet, als Rektor der ältesten Stadtkirche, St. Ruprecht, und
als Assistent des Literarischen Forums der Katholischen Aktion. Seit 1998
wirkt er auch als Seelsorger für gleichgeschlechtlich empfindende Menschen.
Schon in seinen früheren Publikationen, etwa in «Die Stimme eines
dünnen Schweigens» (1992), hat er sich als sensibler Sprachschöpfer
gerade auch im lyrischen Bereich erwiesen. All seinen Texten
ist eine unprätentiöse, aber sehr konzentrierte Haltung eigen.
Vielleicht hat gerade der Einstieg in die deutsche Sprache, eine Zweitsprache,
das Sensorium des Schreibenden für die Nuancen und Klänge geschärft.
In «Die Stimme eines dünnen Schweigens» hat er unter anderem
die deutsche Syntax befragt und dabei Zeitwörter, Eigenschaftswörter,
Fürwörter usw. bis zu ihren Hintergründen ausgeleuchtet.
Wie der Philosoph und Theologe Roeland über Wesentliches spricht, wie
er den göttlichen Bereich umkreist, ist beispielhaft für ein modernes
Reden in einer Zeit, welche den verschwundenen und verlorenen Gott konstatiert.
Es sind leise Töne, welche dieser Autor hinsetzt, aber sie öffnen
das «Ohr des Herzens», das schon der Mönchsvater Benedikt
in seiner Regel erwähnt.
Zu Orten werden wir hingeführt, Stationen eines Lebens. Doch nicht
der touristische Reiz von Städten und Landschaften soll uns betören.
Vielmehr ist es der Anruf einer bestimmten Erfahrung, welche diese Schauplätze
dem Autor geschenkt haben. Dabei werden etwa Orte lebendig, die ein Heimweh
vermitteln, ein Geheimnis hüten oder ein Versäumnis bergen. Es
gibt «heilige» Orte, aber uns alle trägt vorläufig
der Wohnort Erde. Der Titel «an orten gewesen sein»<1> geht auf einen Text von Joseph Bruchae zurück,
einen amerikanischen Dichter halbindianischer Abstammung. Er klammert das
Subjekt völlig aus und zeigt unmissverständlich, dass nicht die
individuelle Erfahrung des Schreibers zählt. Der Impuls zielt auf unsere
eigenen «Orte», auf unsere Erfahrungen, die wir den je eigenen
Tatorten entnehmen können. Das Besondere verweist auf ein Allgemeineres.
So dürfen Leserinnen und Leser weiterdenken, ihre eigene Landkarte
nach sinn- und ereignisträchtigen Orten absuchen. Lesend begeben sie
sich auf Entdeckungsfahrten ins Reich ihrer Person.
Das heisst mit anderen Worten: Joop Roeland schreibt das, was man mit einem
inflationsverdächtigen Begriff «meditative Texte» nennt.
Aber er raunt nicht, sondern hält sich an klare, luzide Formulierungen.
Er möchte die Lesenden zum Innehalten einladen, zum Verweilen im Augenblick.
Dieser sekundenlange Ausschnitt einer Biografie ist kostbar und des Nachdenkens
wert. Roeland setzt seinen Ausgangspunkt bei den sinnlichen Wahrnehmungen
an, dem Sehen und vornehmlich auch dem Hören, dem Riechen und Schmecken.
Der Augenschein der Gegenwart leitet ihn dann fast unmerklich über
zum «schweigenden Hören», zum «hörenden Warten».
Noch ist die Zeit nicht erfüllt, und die Engel sind etwas vergesslich
geworden, ihre Flügel stottern wie es in einem eingestreuten
Gedicht des israelitischen Lyrikers Tuvia Rübner zu einem Bild Paul
Klees heisst. In allen philosophischen Ahnungen Roelands mischt sich immer
auch eine Prise feinen Humors ein, eine Nüchternheit, die erfrischend
wirkt wie eine atlantische Brise. Aber man kann dann schliesslich auf Sätze
wie diese stossen:
«Heute ist Anwesenheit, lauter Gegenwart, Gott mit uns. Noch ist die
Zeit nicht erfüllt. Das Heute ist noch Zukunft, nicht Gegenwart. Wir
sind die Wartenden, Hoffenden. Uns ist die Aufgabe aller Hoffenden gegeben:
Wachsame Wächter unserer Seelen zu sein, dass der Keim der Hoffnung
nicht erstickt. Behutsame Gärtner, die schauen, dass auch anderswo
Hoffnung wachsen kann. Noch ist die Zeit nicht erfüllt. Aber es ist
Zeit, dass wir die Zeit werden lassen.»
Die beiden Grafiker Peter Felder und René Dalpra (Rankweil und Götzis)
haben diese Texte in einem vorzüglich gestalteten Buch vereinigt. Immer
wieder öffnen sich gleichsam Fenster, die Ein- und Ausblicke gestatten.
Nein, Durchblicke für jene, die wie Elias am Berg Horeb (1 Kön
19,12) die leisen Zeichen verstehen lernen wollen.
Beatrice Eichmann-Leutenegger ist Literaturkritikerin und Publizistin.
1 Joop Roeland, an orten gewesen sein, Otto Müller Verlag, Salzburg/Verlag Die Quelle, Feldkirch, 1999, 241 S.