26-27/1999 | |
INHALT |
Leitartikel |
O Seele, suche dich in Mir,
und, Seele, suche Mich in dir...Du bist mein Haus und meine Bleibe,
bist meine Heimat für und für;
Ich klopfe stets an deine Tür,
dass dich kein Trachten von Mir treibe.
Und meinst du, Ich sei fern von hier,
dann ruf Mich, und du wirst erfassen,
dass ich dich keinen Schritt verlassen:
und Seele, such Mich in dir.<1>Teresa von Avila
Dieser Ausschnitt aus einem der zentralen Gebete von Teresa von Avila
ist für mich eine der tiefsinnigsten Ermutigungen, mir und anderen
Ferienzeit zu gönnen. Denn mein Wert entspringt aus meinem Sein. Darum
lässt Teresa Gott selber jedem Menschen zusprechen: «Du bist
mein Haus und meine Bleibe, bist meine Heimat für und für.»
Vor allen Ansprüchen gilt mir und jedem Menschen dieser Zuspruch. Der
Sabbat, die Sonntagskultur, die Ferien- und Brachzeit feiern diese grundlegende
Sehnsucht jedes Menschen: angenommen zu sein vor aller Leistung.
Die Schöpfung ist der vordringliche Ort, wo dieser Geschenkcharakter
des Lebens tief eingeatmet werden kann. Dazu braucht es die Gabe des Schweigens,
den Widerstand, nicht auch noch meine Ferien verkonsumieren zu lassen und
mir Stunden des Innehaltens zu gönnen. Nicht aus Weltverneinung, sondern
durch intensives Geniessen des «Gut-Seins aller Dinge», wie
dies der Mystiker und Dichtermönch Thomas Merton beschreibt:
«Ich will mich also aufmachen und die Gabe des Schweigens, der Armut
und der Einsamkeit suchen, damit sich alles, was ich berühre, in Gebet
verwandelt, damit der Himmel mein Gebet ist, damit die Vögel mein Gebet
sind, damit der Wind in den Bäumen mein Gebet ist. Gott ist alles in
allem... Je mehr ich in die Einsamkeit eindringe, desto klarer gewahre ich
das Gut-Sein aller Dinge. Um glücklich in der Einsamkeit leben zu können,
benötige ich das barmherzige Erkennen des Gut-Seins der ganzen Schöpfung
und ein demütiges Erkennen des Gut-Seins meines Leibes und meiner Seele.
Wie vermöchte ich wohl in der Einsamkeit zu leben, wenn ich nicht überall
das Gut-Sein Gottes, meines Schöpfers und Erlösers und des Vaters
alles Guten erblickte?»<2>
Uns tut eine Kultur des Daseins Not, wo wir das Leben mehr geniessen können. Vertrauend, dass durch mein achtsames Dasein sich alles in Gebet verwandelt. Dies wird möglich, wenn ich während meiner Ferienzeit im Zusammensein mit der Familie, dem Freundeskreis mir täglich mindestens eine Stunde gönne, wo ich allein dasitze oder -liege, um all das Erlebte der letzten Wochen verinnerlichen zu können. Meine Seele braucht Entfaltungsräume, wo ich all die vielen Erfahrungen, die mich beleben und behindern, vertiefen kann. Vertrauend, dass ich Gottes Haus und Bleibe bin, kann ich einüben, mich im «eigenen Haus zurechtzufinden» (Teresa von Avila). Dabei braucht es keine neuen Bilder und Worte, sondern ich kann in ganz alltäglichen Erlebnissen, die mir in dieser Brachzeit in den Sinn kommen, das Wesentliche, das Wunderbare, den Geschenkcharakter des Lebens erahnen.
Zu Recht beschreibt Dorothee Sölle das Staunen als erste mystische
Grundhaltung. Im Nichts-Tun ereignet sich höchste Aktivität, wenn
ich im Ausruhen, Erholen, Geniessen das Staunen über das «Gut-Sein
aller Dinge» bis in meine Zehenspitzen fliessen lasse.
Ein spiritueller Mensch staunt jeden Tag neu, als wäre es der erste
Lebenstag. Kinder können uns dabei kraftvolle Lehrmeister/Lehrmeisterinnen
sein. Staunen in der Erinnerung, wie trotz aller Widerwärtigkeiten,
die Menschen einander und der Schöpfung antun können, Christus
als innere Quelle spürbar ist in der Zärtlichkeit, der wohlwollenden
Konfliktfähigkeit, im Geniessen vom Essen und Trinken, im kämpferischen
Engagement, im Verweilen in der ganzen Schöpfung. In der Ferienzeit
das Dasein und das Staunen neu als Lebenskraft kultivieren, um die Kraft
der Brachzeit zu erfahren. Staunende Menschen sind verwurzelt in der Schöpfung.
Sie wissen, dass die Schöpfung Brachzeit braucht, ihre Kräfte
zurücknimmt, um sie danach mit geballter Energie zum Wohle der ganzen
Gemeinschaft hervorspriessen lässt.
Im Staunen sich neu verlieben in das Leben, die Schöpfung und den Kosmos
wird auch zu einem entsetzten Staunen<3>
führen. Je mehr ich die Kostbarkeit des Lebens neu entdecke, umso mehr
wird mein Hunger und Durst nach Gerechtigkeit für alle Kreaturen wachsen.
Im echten Geniessen der Gaben der Schöpfung wächst die Kraft zu
ökologischer Achtsamkeit und zur Förderung multikultureller Begegnungen.
Diese verbindende Widerstandskraft lässt mitgestalten an menschlicheren
Arbeitsbedingungen, die die Spirale der unendlichen Machbarkeit durchbrechen.
Schritte der Solidarität werden möglich, wenn die Ferienzeit zur
Zeit des Geniessens wird, weil Gottes Heimat in mir ist.
Pierre Stutz, Priester, Autor, spiritueller Begleiter, lebt im «offenen Kloster» Abbaye de Fontaine-André, Neuchâtel.
1 Zit. nach Erika Lorenz, Praxis der Kontemplation. Die Weisung der klassischen Mystik, Kösel, München 1994, 65. Eine neue hervorragende Zusammenstellung der Texte von Teresa findet sich in: Erika Lorenz (Hrsg.), Lockruf des Hirten. Teresa von Avila erzählt ihr Leben, Kösel, München 1999.
2 Thomas Merton, Meditationen eines Einsiedlers. Über den Sinn von Meditation und Einsamkeit, München (Goldmann Tb 12032) 1989, 197.122.
3 Vgl. Pierre Stutz, Staunen. Spiritualität im Alltag, Kanisius Kleinschriften, Freiburg 1999. Weiterführende Gedanken zum Geniessen, in: Pierre Stutz, Alltagsrituale. Wege zur inneren Quelle, mit einem Vorwort von Anselm Grün, München Kösel 41999, 6677.