26-27/1999 | |
INHALT |
Neue Bücher |
Christoph Recker, Der Weg ist das Ziel. Gottesdienste unterwegs. Anregungen für Prozessionen und Wallfahrten, Verlag Herder, Freiburg, Basel, Wien 1999, 196 Seiten.
Zwar sind die meisten Bittgänge der Landpfarreien Reminiszenzen
aus der Vergangenheit. Der Arbeitsalltag, das mit Sportveranstaltungen und
Ausflügen verplante Wochenende und ein fussgängerunfreundlicher
Strassenverkehr haben Fusswallfahrten alter Zeit mit Kreuz und Fahnen verdrängt.
Trotzdem hat das Unterwegssein auf Pilgerwegen immer noch Aktualität.
Man denke nur an die Wallfahrtsbewegung des Jakobsweges. Aber auch das «Gehend-Beten»,
die sogenannten «Geh-Gebete» bekommen neuen Auftrieb. Die Wallfahrt
einer Gemeinde oder einer Gruppe ist eine wieder neu entdeckte Möglichkeit,
Glauben als Unterwegssein zu erfahren. Die daraus entstehenden gemeinsamen
Wegerfahrungen bringen nicht nur wichtige Lebensthemen zur Sprache, sie
binden auch Menschen aneinander.
Christoph Recker legt in diesem Buch sieben Gestaltungsvorschläge für
Gruppen- und Gemeindewallfahrten vor. Alle Vorschläge enthalten die
Thematik: «Auf dem Weg sein, führt zum Ziel.» Der Herausgeber
bietet sorgfältig gewählte, gut formulierte Texte. Der Band ist
grafisch anregend gestaltet mit Skizzen und Zeichnungen, die das Nachdenken
und Verweilen fördern. Der Jugendgruppenleiter findet auch gutes zeitgemässes,
aber nicht provokatives Liedgut. Aufs ganze gesehen, ein ideales Werkbuch!
Wladyslaw Nowak, Matka Panaw Religijno´sci Ewangelików Prus Wschodnich (Die Mutter des Herrn in der Religiosität der Protestanten in Ostpreussen, (15251945), Olsztyn 1996/97, 327 S.
Der Autor dieses Buches es handelt sich um eine Habilitationsschrift
ist ein polnischer Pfarrer, Jahrgang 1940, promoviert 1974, Liturgiewissenschaftler.
Wenn man heute in Deutschland den «Mann auf der Strasse» nach
Unterschieden zwischen Protestantismus und Katholizismus fragt, wird man
unter anderem auch folgende Antwort bekommen: «Die Katholiken beten
Maria an, die Protestanten dagegen nicht». Bei der Formulierung «anbeten»
wird ersichtlich, dass der Gefragte kein Katholik, sondern ein Protestant
ist. Ein Katholik weiss im Allgemeinen, dass er nicht Maria «anbetet»,
sondern zu ihr betet. «Anbetung» gebührt allein Gott.
Für Protestanten gibt es in Bezug auf Maria manches (wieder)zuentdecken.
Und im Zuge der feministischen bzw. ganzheitlichen Neuorientierung geschieht
das auch allmählich.
Von den vielen Autorinnen und Autoren, die sich in der letzten Zeit mit
der Mariengestalt neu auseinander gesetzt haben, seien hier nur einige genannt:
Rosemary Radford Ruether (Maria Kirche in weiblicher Gestalt. München
1980), Renate Wind (Maria aus Nazareth, aus Bethanien, aus Magdala. Drei
Frauengeschichten. Gütersloh 1996), Elisabeth Moltmann-Wendel, Hans
Küng, Jürgen Moltmann (Was geht uns Maria an? Gütersloh 21991),
Wilfried Härle (Exkurs zur Mariologie, in: ders.: Dogmatik, Berlin/New
York (de Gruyter) 1995, S. 351354).
Das Buch von Wladyslaw Nowak fördert manches Unvermutete und Erstaunliche
aus der protestantischen Marienverehrung (denn auch das gab es!) selbst
zutage.
Was hat sich in den 1525 protestantisch gewordenen Teilen Ostpreussens an
Elementen der Marienverehrung erhalten? Der Autor geht dieser Frage mit
einer bisher wohl einmaligen Ausführlichkeit und Gründlichkeit
nach.
Im ersten Kapitel behandelt er «Die Mutter Gottes in der Religiosität
der ostpreussischen Protestanten»; im Einzelnen die Feste, Andachten
und Gesänge zu Ehren Marias. Einige Seiten widmet der Autor der auch
im Protestantismus beibehaltenen Sitte, den Namen «Maria» häufig
als Taufname zu verwenden.
Die Anhänglichkeit des Volkes an überkommene Bräuche, Zeremonien
und Sprichwörter mit Bezug auf Maria, der «Theotokos» (Gottesmutter),
blieb noch lange nach der Reformation erkennbar.
Das zweite Kapitel beginnt mit S. 109 und behandelt auf gut 70 Seiten die
«Titel der Mutter des Herrn in der evangelischen Religiosität».
Hier geht es um die Theologie, die der Marienverehrung zugrunde lag. Maria
wird ganz klar genannt die Theotokos und die «immerwährende Jungfrau»
(«semper virgo»), also Jungfrau vor, während und nach der
Geburt Christi. Auch die preussischen Protestanten nannten Maria die «Heilige»,
geheiligt durch den Heiligen Geist und vor der Sünde bewahrt. Sie gilt
als «Lehrerin des Volkes», nachahmenswert in ihren Tugenden,
besonders im Glauben, in der Demut und in der Liebe.
In der Religiosität der ostpreussischen Protestanten nimmt Maria eindeutig
eine Vorrangstellung unter den Heiligen ein: «dignissima amplissimis
honoribus» («würdigste der höchsten Ehren»).
Vieles aus der vorreformatorischen katholischen Tradition blieb nach 1525
im Kirchenvolk erhalten. Einschränkungen ergaben sich aus dem reformatorischen
Prinzip «sola scriptura» (allein die Bibel): Weil in der Bibel
nicht das Gebet zu Maria um ihre Fürbitte erwähnt wird, haben
auch die ostpreussischen Protestanten nicht mehr so gebetet, wie es die
Katholiken seit dem Mittelalter gewohnt waren: «Heilige Maria, Mutter
Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres
Todes!» Was die vielen Marienbilder und -statuen betrifft, die aus
dem Mittelalter in grosser Fülle entstanden waren, so gilt auch hier
das Prinzip grösserer Einschränkung, anfangs sogar sehr rigoros.
Ein rigoroser Bildersturm wie im Calvinismus ist dem Luthertum in Ostpreussen
wie überall fremd, zur Freude aller Kunstliebhaber.
Mit dem dritten Kapitel «Pastorale Bedeutung des Marientrends in den
evangelischen Gemeinden» (ab Seite 185) weitet sich der Blickwinkel
in mehrfacher Hinsicht. Im ersten Abschnitt werden die unterschiedlichen
Auffassungen in den verschiedenen Kirchen und christlichen Gemeinschaften,
die aus der Reformation direkt oder im Laufe der Jahrhunderte hervorgingen,
dargestellt, am ausführlichsten die Stellung der Mutter des Herrn in
der anglikanischen Kirche.
In den verschiedenen anderen christlichen Gemeinschaften wird Maria meist
als Vorbild für das christliche Leben verehrt, so etwa der Demut, des
Gehorsams, der Reinheit und der Liebe zu Gott und den Menschen.
Im zweiten Abschnitt (ab S. 205) werden «Katholischer Marienkult»
und «Evangelische Verehrung der Mutter des Herrn» in «Konvergenzen»
und «Diskrepanzen», miteinander verglichen. Zu den Diskrepanzen
werden die letzten Mariendogmen gezählt sowie vieles im Marienkult
der katholischen und der orthodoxen Kirche. Auf der anderen Seite sind die
Konvergenzen sehr beachtlich: Maria als die Theotokos, die immerwährende
Jungfrau, die Heilige, die der höchsten Verehrung Würdige und
das Vorbild für das christliche Leben.
Im kurzen dritten Abschnitt (ab S. 217) wird Maria im Einzelnen als «Beispiel»
vorgestellt: für eine christliche Existenz, für christliche Eheleute,
für das Familienleben, für die christliche Einstellung der Jugend.
Der vierte Abschnitt hat die Überschrift: Maria «Mutter
der Eintracht». (S. 223ff.). Der Autor sagt darin, dass Maria kein
Hindernis für die Einheit der Christen ist. Die biblische Maria ist
im Gegenteil eine wesentliche Hilfe zur Einheit.
Die «Abschlussworte» (S. 229232) ziehen die praktische
Konsequenz aus der Studie: Maria und Kirche gehören zusammen. Daher
besteht die Hoffnung, dass ihre Verehrung eine Hilfe zur Einheit der Christen
ist.
Das Buch wird abgeschlossen mit Liedern, Gebeten und Teilen von Predigten,
mit einer ausführlichen Bibliographie (S. 267298) und verschiedenen
Verzeichnissen und einer Zusammenfassung auf 5 S.
Das Buch liest sich sehr gut und hat hervorragende Rezensionen bekommen,
so auch von einem protestantischen Theologen, dem Prof. der Christlichen
Akademie in Warschau, Karol Karski. Er hat die Objektivität der Darstellung
des Buches besonders hervorgehoben. Obwohl das Buch bislang nur in polnischer
Sprache veröffentlicht wurde, ist es auch für den deutschen Leser
wertvoll. Dafür sprechen die Quellenangaben und die deutschsprachlichen
Publikationen in der Bibliographie, ferner längere deutschsprachliche
Zitate in den Fussnoten und vor allem die ausführliche deutsche Zusammenfassung.
Dass das Buch eine äusserst wertvolle Hilfe für das ökumenische
Gespräch ist, ergibt sich selbstverständlich aus dem gesamten
Inhalt.