38/1999

INHALT

Berichte

Friekirchenforschung

von Rolf Weibel

 

Dass der deutsche Verein für Freikirchenforschung<1>, wenn er sein jährliches Symposion schon in der Schweiz durchführt, es dann vor allem dem Täufertum widmet,<2> versteht sich beinahe von selbst. Sogar der Tagungsort, der Bienenberg ob Liestal (BL), ist ein täuferischer Ort, wird dieses Ausbildungs- und Tagungszentrum doch von europäischen mennonitischen und täuferischen Gemeindeverbänden getragen. Thematisch blickte diese Tagung unter dem Haupttitel «Freikirchliche Spuren- und Identitätssuche» einerseits nach «Basel als Ort der Täufer und der Erweckung» und anderseits, auf einer täuferhistorischen Exkursion, ins Emmental.

Das Basler Täufertum

Im ersten Vortrag führte der mennonitische Theologe und Historiker Hanspeter Jecker in die ersten zwei Jahrhunderte des Basler Täufertums ein. Der Titel seines Vortrags: «Von den Ðuffrüerischen Widerteüfferenð zu den ÐStillen im Landeð» war bereits ein Hinweis auf die wechselvolle, aber noch wenig erforschte täufergeschichtliche Epoche.<3> In der von ihm behandelten Zeit waren die Täufer in Basel immer eine verschwindende Minderheit, kaum mehr als ein Tausendstel der Bevölkerung, und dennoch wechselte Angst vor diesen Nonkonformisten mit Bewunderung für sie. Es wechselten aber auch die Vorgehensweisen der Obrigkeit gegen die Täufer, sie schwankten zwischen der Ausgrenzung durch Landesverweis und einer verhältnismässig offenen Haltung. Die Konfliktpunkte mit der Obrigkeit waren die Teilnahme an Gottesdienst und Abendmahl sowie die Verweigerung von Eid und Kriegsdienst.
In Zeiten der Repression standen die Täufer vor der Wahl zwischen nachgeben, standhalten und auswandern. Dabei konnte nachgeben bedeuten, dass täuferische Eltern zuliessen, dass ihre Kinder getauft wurden und die Unterweisung besuchten oder dass Täufer ihre Ehe in der Landeskirche schlossen ­ weil nur diese Form für den Staat legal war. Für die Täufer waren Zugeständnisse und Kompromisse möglich, wenn sie nur die Substanz ihres Glaubens nicht gefährdeten. In Basel fanden sie mit der Zeit so zu einer mittleren Position zwischen Absonderung und Anpassung. Bei der Mehrheit fanden die Täufer auch immer wieder Akzeptanz und Sympathien; sie waren als ethische Vorbilder geachtet, für ihre medizinisch-pflegerischen Dienste war die Landbevölkerung dankbar und ihre Tüchtigkeit wurde selbst von der Obrigkeit geschätzt.
Dass die Täufer im Verlauf der Zeit zu «Stillen im Lande» wurden, erklärt Hanspeter Jecker damit, dass sie mit der Kritik zurückzuhalten begannen und nicht mehr öffentlich für ihren Glauben warben. Im geschichtlichen Rückblick zeigen sich als Konstanten bestimmte täuferische Anliegen, die allerdings auch in ihr Gegenteil umschlagen und destruktiv werden konnten. Eine durchgängige täuferische Perspektive ist, Kirche als Minderheit zu sein.

Wozu Geschichte?

In einem systematischen Vortrag befasste sich Bernhard Ott, der Studienleiter des Theologischen Seminars Bienenberg, unter dem Titel «Auf der Suche nach Identität zwischen Tradition und Veränderungen» mit einer Möglichkeit und Chance, wenn nicht gar der Aufgabe der theologischen Kirchengeschichtsschreibung ­ insofern Geschichte identitätsstiftend ist. Ausgehend von Überlegungen des Wissenschaftstheoretikers Alasdair MacIntyre, der auf den Arbeiten von Thomas Kuhn aufbaut,<4> definierte Bernhard Ott Identitätskrisen als Paradigmenwechsel.
Ausgangspunkt für diese Definition ist die Einschätzung der konstitutiven Bedeutung der Geschichtsdarstellung («des Narrativs») für eine stabile Identität. In dieser Sicht ist eine Identitätskrise eine epistemologische Krise, das heisst, eine Identitätskrise kann durch eine Enttäuschung darüber ausgelöst werden, dass die Darstellung («das Narrativ») mit der Wirklichkeit nicht mehr übereinstimmt oder durch eine rivalisierende Tradition oder (im Falle einer kirchlichen Gemeinschaft) durch die Bibel herausgefordert wird. In diesen Fällen führt der Weg dann aus der Krise, wenn die Darstellung (die Erzählung, «das Narrativ») rekonstruiert wird.
Dabei machte Bernhard Ott auf entsprechende Gefahren auf dem Weg aus der Krise aufmerksam. Der Weg aus der Krise kann nämlich durch eine Geschichtsverweigerung oder durch die Verteidigung der alten Erzählung, des alten «Narrativs», oder durch eine pragmatische Rekonstruktion ohne historische Abstützung vertan werden.
Daraus leitete Bernhard Ott schliesslich als Aufgaben für die Historikerinnen und Historiker namentlich im Raum der Kirchen ab: Die krisenauslösenden Anfragen müssen beantwortet werden. Die Kontinuität der Tradition muss gewährleistet sein. Die alte Erzählung muss interpretiert und integriert sein. Dieses «Pflichtenheft» gab Anlass zu reger Diskussion, in der besonders auch der aufklärerische bzw. emanzipatorische Charakter der Geschichtswissenschaft herausgestellt wurde.

Obrigkeitliche oder radikale Erneuerung?

Mit seinen Ausführungen zu den Auseinandersetzungen zwischen Oekolampad (1481­1531) und den Täufern führte Olaf Kuhr auf die Zeit von Reformation und radikaler Reformation zurück. Wie schon in seiner Basler Dissertation<5> ging es Olaf Kuhr um die theologischen Anliegen der historisch aufgearbeiteten Auseinandersetzung, die er deshalb unter dem Gesichtspunkt «Konvergenzen und Divergenzen zweier ekklesiologischer Modelle in der Frühzeit der Reformation» betrachtete.
Ein erstes Gespräch mit den Täufern bzw. Taufgesinnten hatte Oekolampad als Pfarrer zu St. Martin und Theologieprofessor an der Universität 1525, also vier Jahre vor der offiziellen Einführung der Reformation in Basel. Hier zeigte es sich, dass es die Grenze zwischen Kirche und Welt neu zu definieren galt, stellten die Täufer doch letztlich das Corpus christianum, die Sozialgestalt der Kirche in Frage. Oekolampad vertrat einen doppelten Kirchenbegriff, indem er zwischen der unsichtbaren Kirche und ihrer sichtbaren Gestalt unterschied. Die Taufe war für ihn nicht Zeichen der Zugehörigkeit zur wahren Kirche, während sie die Täufer als freie Selbstverpflichtung und als Bündnis verstanden. Das Ideal der erneuerten Kirche wollte Oekolampad mit dem «Bann» (nach Mt 18), dem Ausschluss vom Abendmahl erreichen.
Zwei Jahre später scheiterte ein zweites Gespräch, weshalb ein «Carlin» genannter Täufer Thesen aufsetzte, gegen die Oekolampad ein Gutachten verfasste (gedruckt als «Antwort auff Balthasar Hubmeiers büchlein wider der Predicanten gespräch zu Basel»). In diesem Gutachten geht es um die Themen Taufe, Obrigkeit und Eid. Wahre Christen sollten der Obrigkeit (dem magistratus) nicht angehören, weil die Anwendung von Gewalt ­ ausser dem «Bann» ­ für die Täufer mit der christlichen Ethik unvereinbar war; Oekolampad indes hielt an der Möglichkeit einer christlichen Gesellschaft fest.
In der Tauffrage war für die Täufer nicht die formale Schriftgemässheit ausschlaggebend, sondern die Liebe, das regnum Christi. Den Täufern wie Oekolampad ging es um Reformation, um eine Erneuerung; Oekolampad verortete die sittliche Erneuerung von Kirche und Gesellschaft im «Bann», die Täufer strebten eine erneuerte Kirche an. Beiden schwebte als Ideal eine reine Kirche vor, hielt Olaf Kuhr fest, Oekolampad vertrat eine ethische Reinheit, die Täufer eine kultische ­ ethisch im Sinne der Disziplinierung des Lebenswandels durch den «Bann», kultisch im Sinne des den Glauben bejahen und bezeugen. Oekolampad vertrat eine inklusive Ekklesiologie, hielt an der konstantinischen Volkskirche fest und ist deshalb für eine obrigkeitliche Reformation. Die Täufer vertraten eine exklusive, separatistische Ekklesiologie, waren für eine nachkonstantinische Minderheitenkirche und in diesem Sinne für eine radikale Reformation. In der anschliessenden Diskussion wurde dann allerdings die Begrifflichkeit ethisch versus kultisch in Frage gestellt.

Basel ­ ein «Liebling Gottes»

Der letzte historische Vortrag ­ Thomas Kuhn sprach über Basel als Ort der Erweckungsbewegung ­ führte in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, als Politik, Gesellschaft und Religion in Basel eine grosse Transformation durchmachten. Basel galt zu jener Zeit als eine pietistische Stadt, und das fromme Basel erfuhr Anerkennung wie Missbilligung: als ein «Liebling Gottes» gepriesen, konnte es mit seinen pietistisch-erwecklichen Konventikeln aber auch das Missfallen der Staatskirche auf sich ziehen. Vorbereitet wurde die Erweckungsbewegung in Basel ­ und in Süddeutschland ­ durch die (Deutsche) Christentumsgesellschaft und ihre zahlreichen Reich-Gottes-Werke. Mit ihnen sollte dem Hereinbrechen des Reiches Gottes vorgearbeitet werden, so dass mit dieser eschatologischen Ausrichtung Basel als auch ein Ort des Chiliasmus und Millenarismus bezeichnet werden könnte. Entsprechend äusserte sich auch das religiöse Selbstbewusstsein: in Basel werde das Wort Gottes «besonders reichlich und besonders wahr» verkündet.
Aber auch die politische Krise, die 1833 zur Kantonsteilung geführt hatte, wie die ökonomische und religiöse Blüte wurden religiös interpretiert. Die Krise wurde als Gerichtshandeln Gottes verstanden und mit Busspredigten begleitet, und auch die Erfolge wurden vor dem Hintergrund der Vorsehungslehre gedeutet.
Dafür, dass Basel ein Ort der Erweckungsbewegung werden konnte, führte Thomas Kuhn verschiedene Gründe an: Die Verkehrslage spielte eine Rolle, aber auch die bestehenden Kontakte zu den deutschen Reichsstädten sowie die Vergangenheit mit Humanismus und Reformation. Schliesslich gab es unter der Pfarrerschaft und an der Universität Sympathien für ein erwecktes Christentum; auf der Landschaft waren zahlreiche Pfarrer Mitglieder der (pietistischen) Herrnhuter Brüdergemeine.
Nach der Reformation und vor dem Pietismus ging Erweckung von den Täufern aus. Samuel Grynäus, Pfarrer von Langenbruck, hielt Ende des 17. Jahrhunderts fest: «Diese Leute haben im Sinn, sich zu bekehren und im Wort Gottes sich zu üben. Die Werke stimmen mit den Worten überein, denn alle, welche diese Zusammenkünfte besuchen, werden ganz verändert.» Vor der Reformation hielten in Langenbruck die Benediktiner von Schöntal die Leute an, im Wort Gottes sich zu üben...


Anmerkungen

1 Verein zur Förderung der Erforschung freikirchlicher Geschichte und Theologie an der Universität Münster e.V. (VEfGT); Geschäftsführer ist Pastor Manfred Bärenfänger, Schelmenstiege 8, D-48161 Münster.
Der Verein gibt seit 1990 das Jahrbuch «FREIKIRCHEN FORSCHUNG» mit einer umfangreichen Bibliographie heraus.

2 Der mit Freikirchenforschung befasste Verein in der Schweiz ist denn auch der Schweizerische Verein für Täufergeschichte mit seinem Bulletin «Mennonitica Helvetica»; die Korrespondenzadresse ist: Jean Würgler, Sonnenweg 20, 3073 Gümligen.

3 Hanspeter Jecker, Ketzer ­ Rebellen ­ Heilige. Das Basler Täufertum von 1580­1700, Verlag des Kantons Basel-Landschaft, Liestal 1998.

4 Alasdair MacIntyre, Epistemological crises, dramatic narrative and the philosophy of science, in: The Monist 60 (1977) 453­472; Alasdair MacIntyre, Whose Justice? Which Rationality?, Notre Dame University Press, Washington 1988.

5 Olaf Kuhr, «Die Macht des Bannes und der Busse». Kirchenzucht und Erneuerung der Kirche bei Oekolampad (1482­1531), Basler und Berner Studien zur historischen und systematischen Theologie, Band 68, Verlag Peter Lang, Bern 1999.


Interfranziskanisches Mattli-Fest

von Walter Ludin

 

Erstmals trafen sich 170 Brüder und Schwestern der franziskanischen Basis auf dem Mattli zu einem Fest der Begegnung. Das zweitägige Mattenkapitel begann am 11. September, wenige Stunden nachdem das Antoniushaus Mattli, Morschach (SZ), nach einer zweimonatigen Umbauzeit offiziell wieder eröffnet wurde.
Christian Looser, Präsident der Mattli-Baukommission, vergleicht die Renovation des Hauses mit dem Umbruch, in dem sich die Franziskanische Gemeinschaft (FG) (früher: «Dritter Orden») befindet. In der zweiten Nummer der Zeitschrift «Tauzeit», die von der FG herausgegeben wird, schreibt er dazu: «Auch die FG befindet sich im Umbau, emsig, manchmal etwas verwirrend und doch auf das Ziel ausgerichtet: innert nützlicher Frist die Verjüngung und damit das Überleben zu sichern, damit in neuer Frische viele Menschen die wohltuende Botschaft von Franziskus und Klara erfahren dürfen.»
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des erstmals in dieser Form durchgeführten Mattenkapitels, Ordensfrauen und -männer sowie Mitglieder der FG und der JFG (Junge Franziskanische Gemeinschaft) bestärkten einander im Versuch, das Ideal des Franz und der Klara von Assisi mit neuem Schwung zu leben. In Ateliers und an Informationsständen lernten sie einander kennen. Der Kapuziner Josef Bründler, Präsident der INFAG-CH (Interfranziskanische Arbeitsgemeinschaft der Schweiz), betonte, das Fest der Begegnung stehe im Zeichen der Vernetzung. Unter dem Motto «Es ist besser, das Mögliche zu wagen als vom Unmöglichen zu träumen» wurde auf dem Mattenkapitel auch über Neuaufbrüche in den Gemeinschaften orientiert.
Vor zwei Jahren hat die Schweizer INFAG das Tau-Team eingesetzt, eine Gruppe, die der kontinuierlichen Vernetzung der franziskanischen Familie dient. Es besteht aus zwei Ehefrauen, vier Ordensschwestern und zwei Ordensbrüdern, die je zu 50% für Bildungs- und Impulsarbeit freigestellt sind. Das Tau-Team bietet überregionale Kurse, Weekends, Abendzyklen sowie Wander- und Reisewochen (unter anderem in Assisi) an. Eines seiner Mitglieder, der 37-jährige Kapuziner Niklaus Kuster, erklärt: «Es gibt unzählige Gruppen, Kreise, Pfarreien, Klöster, Kongregationen, die alle von Franziskus und Klara ermutigt Kirche leben. Unsere Aufgabe ist, diese örtlichen Gemeinschaften miteinander zu vernetzen und die Leute zusammenzuführen. Unsere Vision ist ein neues franziskanisches Zusammengehörigkeitsgefühl.»
Die INFAG-CH wurde 1993 offiziell gegründet. Ohne Statuten und Vorstand trafen sich die Verantwortlichen der franziskanischen Gemeinschaft jedoch bereits seit 1980 jedes Jahr zu einem Begegnungstag.


Jugendseminar Brasilien - Europa

von Ludwig Spirig-Huber

 

Im Rahmen des interkulturellen Jugendseminars Brasilien ­ Europa, durchgeführt in der Schweiz von der Bethlehem Mission Immensee, trafen sich mehrere brasilianische Jugendliche, aktiv in der Landjugendpastoral in ihrer Heimat, mit der Luzerner Synodalratspräsidentin Claudia Küttel-Fallegger und dem Luzerner Regionaldekan Max Hofer, um die Eigenheiten der Luzerner Kirche kennen zu lernen. Besonders die demokratische Spielart der Landeskirche hatte es den Brasilianerinnen und Brasilianern angetan. Claudia Küttel-Fallegger und Max Hofer zeigten die spannenden Seiten der Kirche auf; sie vergassen aber auch nicht, auf Probleme hinzuweisen: der Priestermangel mache ihm zu schaffen, sagte beispielsweise Max Hofer.
Schweizerische und brasilianische Kirchenerfahrungen im Gespräch ­ ein wertvoller Blick «über die eigene Suppentasse hinaus», ein ebenso wertvoller Blick in die eigene «Suppentasse»!


© Schweizerische Kirchenzeitung - 1999