26-27/1999

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Berichte

100 Jahre Ostkirchenkunde

von Walter Ludin

 

Der Universität Freiburg i.Ü. kommt ein kirchengeschichtliches Verdienst zu, das weithin unbekannt ist. Seit 100 Jahren wird dort Ostkirchenkunde doziert. Dies wurde am 16. April an der Jubiläumsfeier im Senatssaal als äusserst bemerkenswerte Pioniertat bezeichnet. Der Vatikan, der zur Feier den Sekretär des Päpstlichen Rates für die Förderung der Einheit der Christen delegiert hatte, war anfänglich mit dem in Freiburg Dozierten alles andere als glücklich. Er schickte den ersten Dozenten, Prinz Max von Sachsen, 1907, wegen eines Artikels für zwei Jahre nach Köln in die Verbannung. Die Abonnenten der Zeitschrift wurden aufgefordert, die betreffende Nummer nach Rom zu schicken, damit sie dort verbrannt wurde. Die Schrift wimmle von Irrtümern.
Iso Baumer, der an der Tagung seine Abschiedsvorlesung als Dozent für Ostkirchenkunde hielt und gleichzeitig seinen 70. Geburtstag feierte, meinte, inzwischen seien die vom Prinzen geäusserten und als Irrlehren gestempelten Meinungen Allgemeingut des Lehramtes geworden. So vertrat Prinz Max von Sachsen die These, die westliche Kirche sei historisch gewachsen. Sie könne darum nicht in jeder Beziehung die einzige Norm für das Kirche-Sein abgeben. Der ökumenische Pionier königlicher Abstammung, der bis 1951 in Freiburg lehrte, habe unterschieden zwischen dem dogmatischen Fundament des päpstlichen Primates und seiner kirchenrechtlichen Ausgestaltung.
Nach Prinz Max dozierte der Luzerner Theologe Raymund Erni, zuerst auf Lateinisch, dann auf Französisch. Er habe, so Baumer in seiner letzten Vorlesung, die pneumatische Dimension der orthodoxen Lehre und Praxis in den Vordergrund gestellt. Das sakramentale Geschehen (so die Vergegenwärtigung Christi in der Eucharistie und die Sündenvergebung) sei ein Werk des Heiligen Geistes. Nach Erni kam Christoph Schönborn, der sich vor allem mit den theologischen Aspekten der Ikonen befasste. Iso Baumer, der neben Maria Brun bereits Stellvertretungen übernommen hatte, löste ihn ab. Eines seiner Hauptanliegen war, wie er selber betonte, die Vertiefung der Spiritualität in der katholischen Kirche. Er habe auch den Grundsatz vertreten, es gelte nicht, die Lehren zu vermischen, sondern voneinander zu lernen.
Leo Karrer, der Vize-Dekan der Theologischen Fakultät, hob an der Tagung die Bedeutung der Ökumene für die politische Versöhnung hervor. Er erinnerte auch an die Zusammenarbeit, die Freiburg mit den orthodoxen Instituten von Chambésy, Minsk und Sofia hat. Mit der Eingliederung der Ostkirchenkunde in das «Interfakuläre Institut für Mittel- und Osteuropa» habe eine neue Epoche begonnen. Die Verantwortung für das Fach liegt nun bei der Dogmatik-Professorin Barbara Hallensleben.
Bischof Pierre Duprey vom päpstlichen Ökumenerat meinte in seinem Festvortrag, weder die katholische noch die orthodoxe Kirche sei der andern überlegen. Er sprach sich dafür aus, dass die gegenseitige theoretische Kenntnisnahme von der Praxis begleitet sei, die nach den Worten von Origenes in der Kontemplation verankert sein müsse. Während des anschliessenden Rundgesprächs mit rund einem Dutzend Mitwirkenden unterstrich ein rumänisch-orthodoxer Bischof, der Besuch von Papst Johannes Paul II. in seiner Heimat sei «ein wichtiger Meilenstein in der Beziehung der Kirchen». Ein Professor aus Bulgarien distanzierte sich von der «Isoliertheit» seiner Kirchenleitung. Mehrere Bischöfe seines Landes seien gegen die Ökumene. Ein junger Inder, der in Deutschland Ostkirchenkunde studiert, unterschied zwischen der «kleinen Ökumene» (zwischen den christlichen Konfessionen und der «grossen Ökumene» (zwischen den Religionen).
Am Rande der Tagung wies Damaskinos Papandreou in einem Gespräch mit dem SKZ-Korrespondenten darauf hin, dass die orthodoxe Kirche sowohl den Ethnozentrismus wie den Krieg eindeutig verurteile. Leider würden heute die Gläubigen der verschiedenen Konfessionen und Religionen von politischen Instanzen ausgenutzt, damit der Konflikt um den Kosovo «noch schmerzhafter und dauerhafter» werde. Der Metropolit stellte im Gespräch (das er mit dem Bruderkuss abschloss) den ökumenischen Grundsatz auf: «Das, was wir sind, wollen wir gegenseitig anerkennen ­ ohne aufzuhören zu sein, was wir sind.»

 

Walter Ludin ist Redaktor der Missionszeitschrift ite der Schweizer Kapuziner und regelmässiger Mitarbeiter unserer Zeitschrift.


© Schweizerische Kirchenzeitung - 1999