SKZ 41/1997

INHALT

Kirche in der Welt

Das Christentum und die Religionen

von Anand Nayak
Übersetzt von Sonja Geiser

Die internationale Theologenkommission hat kürzlich das Dokument «Das Christentum und die Religionen» <1> veröffentlicht. Der Grund dieser Publikation erklärt die Kommission folgendermassen: «Die Faktoren der Kommunikation und der Interdependenz zwischen den verschiedenen Völkern und Kulturen haben ein äusserst scharfes Bewusstsein der Pluralität der Religionen dieses Planeten hervorgerufen mit all den Gefahren und zugleich Chancen, die diese mit sich bringt» (2). Der Text jedoch dient eher als Vorsichtsmassnahme angesichts dieser Gefahren denn als Ermunterung, die Chancen zu packen.
Die Bedeutung eines solchen Dokuments kann in der heutigen Zeit von niemandem bestritten werden. Die postmoderne Gesellschaft des Westens offenbart in ihrer Suche nach einer neuen und personalisierten Religiosität ein besonderes Interesse für die Religionen. Neben der ehrlichen und tiefgründigen Suche gewisser neuen religiösen Bewegungen begegnen wir auch sonderbaren, von Sekten fabrizierten Amalgamen, präsentiert in einem religiösen Angebot à la carte. Der Gesellschaft und insbesondere der Kirche obliegt die schwierige Aufgabe der Unterscheidung.
Die neuen Entwicklungen im Inneren der postkonziliaren Kirche bedürfen ebenfalls einer Klarstellung. 1986 hat der Papst ein aussergewöhnliches Zeichen gesetzt, das viele Katholiken erfreut, das aber auch den Glauben von anderen erschüttert hat: Er hat für den Frieden mit Dalai Lama und anderen Religionsvertretern gebetet. Wenig später, im Jahre 1989, hat Kardinal Ratzinger öffentlich vor der Anwendung von Zen, Yoga und anderen aus fremden Religionen stammenden Praktiken im christlichen Gebet gewarnt. Gewisse Kirchenvertreter haben eine Bedrohung der christlichen Glaubensfundamente befürchtet, welche dieses übermässige Interesse an anderen Religionen sogar im Inneren der Kirche hervorrufen könnte. Die Enzyklika «Redemptoris Missio» von 1990 hat die Gefahr hervorgehoben, die diesmal nicht von den theologischen Zentren Europas ausgeht, sondern von den asiatischen Theologen. Diese neuen Theologen, auf die die schwierige Aufgabe zukommt, den christlichen Glauben nicht in einer vorwiegend christlichen Welt, sondern den hinduistischen und buddhistischen Volksmassen zu erklären, entwickeln ein theologisches Vokabular, das zwar für die Masse verständlich, jedoch in den Augen der Autoritäten Roms überhaupt nicht akzeptabel ist. Es wird tendenziell als Bedrohung der Einmaligkeit und Universalität des Heiles Jesu Christi betrachtet. An dieser Stelle sei betont, dass die Theologen der Länder wie Indien und Sri Lanka (die mehr als 2000 Studenten und mehr als 200 Lehrer und Professoren in den sieben Fakultäten der Theologie haben) nicht mehr dazu bereit sind, eine aus dem Westen stammende Religion weiterzuführen. Im letzten Sommer wurden um die 20 indische Bischöfe, die in ihrer Diözese eine theologische Institution haben, nach Rom geladen, wo sie wegen theologischen Abweichungen eine scharfe Warnung einstecken mussten. Die neuliche Exkommunikation des Theologen aus Sri Lanka, P. Tissa Balasuriya, weist auf eine solche Entwicklung hin.
Glücklicherweise erreicht uns diese römische Lehre in Form eines Dokumentes einer theologischen Kommission und nicht einer Enzyklika. Die Debatte wird dadurch erleichtert. Es handelt sich um eine ausgezeichnete Zusammenfassung fundamentaler Fragen, von denen besonders zwei hervorstechen: 1. Das Profil einer Theologie der Religionen und 2. der interreligiöse Dialog. Das Dokument stellt mit einer grossen Klarheit die Komplexität der implizierten Probleme dar, die Positionen der verschiedenen Theologen (die nicht immer erwähnt werden und daher nicht leicht identifizierbar sind), und es werden die Glaubensfundamente des christlichen Glaubens mit allem, was diese mit sich bringen, betont.

Die Theologie der Religionen

Obwohl das Fach Theologie der Religionen noch keinen fest definierten epistemologischen Status hat, räumt ihm das Dokument eine wichtige Stellung ein und präzisiert seine Lehrbereiche. Drei Kategorien werden unter den Religionstheologien unterschieden:
­ Der ausschliessende Ekklesiozentrismus wurde auf einem falschen Verständnis der Lehre «extra ecclesiam nulla salus» gegründet (10).
­ Der Christozentrismus akzeptiert, dass das Heil auch in den anderen Religionen vorkommt, aber er verbietet ihnen wegen der Einmaligkeit und der Universalität des Heiles Jesu Christi einen autonomen Heilsanspruch.
­ Der Theozentrismus gibt vor, den Christozentrismus überholt und einen Paradigmenwechsel, eine kopernikansche Revolution (12) ausgelöst zu haben. Jesus Christus wird für das Heil des Menschen weder als wesentlich noch als massgebend betrachtet.
Das Dokument verurteilt den ausschliessenden Ekklesiozentrismus: Die katholische Lehre habe immer das Heil auch den Menschen, die guten Willens sind und ihrer eigenen Religion nachgehen, zugesprochen. Der Theozentrismus wird auch abgetan als die Konsequenz eines schlechten Gewissens wegen den missionarischen Aktivitäten der Vergangenheit und der Kolonialpolitik. Der Text vertritt die unter den katholischen Theologen am geläufigsten Position, den Christozentrismus, und behandelt ihn lang und breit, indem er ihn in den heiligen Schriften und in der Tradition des Magisteriums begründet.
Der im Dokument aufgezeigte Theozentrismus entspricht nicht jenem, an den sich gewisse asiatische Theologen in ihrer theologischen und pastoralen Lehre halten. Er ist nicht das Produkt einer kolonialen Vergangenheit, sondern vielmehr die Zurückweisung eines neuen «theologischen Kolonialismus». Ein palästinensischer katholischer Theologe hat mir kürzlich gestanden, dass im neuen Palästina die Christen, Juden und die Muslims versuchen würden, wie eine einzige religiöse Familie zu leben, indem sie einander an ihren Gebeten und Festen teilhaben lassen. Er war der Ansicht, dass die Evangelien keineswegs verlangen, dass sich der Jünger Jesu Christi vom Juden oder von einem Andersgläubigen trennen müsse. Ähnlich sprechen in Indien gewisse Theologen, die sich an den Evangelien orientieren, von Gott als Vater aller Menschen, der uns alle liebt und für die er seinen eigenen Sohn als Zeichen seiner Liebe gesandt hat. Sie verspüren nicht die Notwendigkeit, in diese Predigt des Evangeliums von Jesus die Streitigkeiten, die durch die christologischen und historischen Debatten des Westens und die theologischen Definitionen des Heiles entstanden sind, zu mischen. Vom Neugetauften in Indien wird nicht verlangt, dass er mit seinem christlichen Glauben alle konfessionellen und theologischen Konflikte, die in der Geschichte Europas entstanden sind, in sein neues christliches Bewusstsein aufnimmt. Die abendländische christliche Tradition hätte einen normativen Wert. Aber das christliche Leben und die pastorale Arbeit der Kirche sollten den Glauben nicht mit einer geschichtlich gebundenen Konflikt-Terminologie darstellen. Die Taufe in Jesus Christus darf nicht das Bewusstsein der Konfessionen, der Schismen und Häresien in sich bergen. Auf jeden Fall dürfen sie nicht auf dem Boden eines anderen Kontinents fortbestehen. Der Glaube an Jesus Christus würde uns mehr vereinen als trennen. Ist ein solcher Theozentrismus für den christlichen Glauben eine Gefahr? Oder muss darin die Geburt einer neuen Ekklesiologie gesehen werden?
Über das Bild Jesu Christi, das das Dokument angesichts dieser verschiedenen Interpretationen der Theologen entwirft, gibt es viel zu sagen. Eine Interpretation deutet darauf hin, dass, «da das Logos grösser ist als Jesus, er sich auch in den Begründern der anderen Religionen inkarnieren kann» (21). Das Dokument akzeptiert keine Trennung zwischen Jesus und Christus. Oft wird dort, wo man den Ausdruck Jesus Christus erwartet, nur von Jesus gesprochen. Zum Beispiel: «Die universelle Anwesenheit von Jesus», «Jesus führt die gesamte Geschichte zu ihrer Erfüllung», «Nur in Jesus können die Menschen gerettet werden...» (50). Dieses Bild von Jesus ist gewiss jenes des historischen Jesus, aber es ist nicht vollständig. Die Evangelien beschreiben uns einen Jesus, dem mehrere «nicht-historische» Taten zugeschrieben werden: der vom Heiligen Geist inspiriert auf dem Wasser geht, verklärt wird, der in die Hölle hinabsteigt, aufersteht und schliesslich in den Himmel steigt vor den Augen der Galiläer! Das Dokument macht mit diesen Fährten kurzen Prozess und erklärt kategorisch: «Es gibt keinen Logos, der nicht Jesus ist, wie es keinen Geist gibt, der nicht der Geist Christi ist» (81).
Was mir aber inakzeptabel erscheint in der Darstellung dieser Theologie der Religionen, ist die Tatsache, dass man versucht, eine Theologie der Religionen ohne die Religionen zu errichten. Das Dokument gibt uns keine Übersicht über den Inhalt der Religionen und ruft kein wahrhaftiges Interesse für sie hervor. Das Konzil sprach in seinen Dekreten mit einem grossen Enthusiasmus und Respekt vom Hinduismus, Buddhismus und den anderen Religionen. Man hilft dem Leser nicht, die wahren Werte der grossen Weltreligionen kennenzulernen und zu schätzen. Dies ist nicht nur der Fehler des römischen Dokumentes. Verschiedene Theologen des Westens stürzen sich darauf, eine Theologie der Religionen zu machen, ohne eine Ahnung über deren Inhalt zu haben. Man spart nicht mit Urteilen und stützt sich auf Vorurteile über die Religionen wie «Werk des Menschen», «Heil als menschliche Bemühung», «ohne Idee der Liebe» usw. So machen wir nicht eine Theologie, sondern eine Apologie aus unserer eigenen Unkenntnis.

Interreligiöser Dialog

Das Dokument spricht stets vom Dialog als einer Notwendigkeit im interreligiösen und interkulturellen Kontext von heute: «Der interreligiöse Dialog ist nicht nur ein Wunsch, der aus dem 2. Vatikanischen Konzil stammt und vom gegenwärtigen Papst unterstützt wird, sondern er ist auch eine Notwendigkeit in der aktuellen Weltsituation» (94). Aber man kann sich fragen, wie und warum der Dialog so erwünscht ist, wenn man ein solch negatives Bild von den Religionen hat. Das Dokument lässt keine Gelegenheit aus, um von den Religionen zu sagen, dass sie «Elemente der Unwissenheit, der Sünde und der Perversion enthalten...» (4), dass sie «Faktoren der Trennung und Konflikte zwischen Völkern» (2) darstellen, angereichert mit «Lücken, Unzulänglichkeiten und Fehlern» (84). Das einzige Zugeständnis, das gemacht wird, ist folgendes: «Sie (die Religionen) können aber alle auch Ðberührt werdenð von Elementen der Gnade» (85), aber die folgende Nummer (86) schränkt sofort ein: «Obwohl man die Heilsbedeutung der Religionen nicht ausschliessen kann, heisst dies nicht, dass alles an ihnen Ðheilbringendð ist.» Die Religionen können ein Mittel des Heils für ihre Anhänger sein, «aber sie können nicht mit der Funktion, welche die Kirche für das Heil der Christen und jenen, die es nicht sind, verwirklicht, verglichen werden» (87). Kann man mit einer solchen Haltung des Misstrauens wirklich von einem interreligiösen Dialog sprechen? Das Dokument vermittelt uns keine wirkliche Idee des interreligiösen Dialogs. Nochmals wird Misstrauen hervorgerufen bei unseren Dialogpartnern, wenn man folgendes liest: «...Der interreligiöse Dialog hängt je nach den vom Vater bestimmten Augenblicken von der Ðevangelischen Vorbereitungð ab» (119).
Der wahre Dialog unterscheidet sich von der Evangelisierung. Vielleicht ist er selbst die Evangelisierung, aber nicht deren Vorbereitung. Das Dokument ruft nicht den Geist eines wahren Dialogs hervor. Im Dialog müssen wir die Wahrheit unseres Glaubens und unsere tiefsten Überzeugungen offenbaren.
Aber der Dialog bedeutet auch und besonders, dass man dem anderen zuhört. Das Dokument bietet keine Anleitung an für dieses Zuhören, sondern schlägt bloss eine Reihe von Vorbedingungen für einen Dialog vor (106­115). Die Kirche bleibt im interreligiösen Dialog nur glaubwürdig, wenn sie damit beginnt, die Füsse der anderen zu waschen und sich mit den Sündern auf eine Ebene setzt, um mit ihnen um die Vergebung Gottes und seiner Gnade zu bitten und um mit ihnen die Freude der Vergebung zu feiern, und allen (die ebenfalls Kinder Gottes sind) zu vergeben, aber nie zu verurteilen. Durch diese Demut zeigt sie ihre Stärke als Heilssakrament.

Anand Nayak ist Professor für Missions- und Religionswissenschaften an den Universitäten Freiburg und Neuenburg

Anmerkung

<1>
Wir haben nur den französischen Text erhalten: Documentation catholique, 6 avril 1997, No 2157, pp. 312­332. Das Original ist auf Spanisch.


© Schweizerische Kirchenzeitung - 1997