Was wollte Franz von Assisi?

Der heilige Franz von Assisi war mehr als nur ein harmloser Naturfreund, der Vögeln predigte. Wäre er bloss ein naiver Schwärmer gewesen, zählte er sicher nicht nach 800 Jahren noch zu den bedeutendsten Gestalten der ganzen Kirchengeschichte.
Franz, als Bettler auf den Strassen Umbriens umherziehend, war ein Christ, dessen Tiefe nie ganz ausgelotet werden kann. Gewiss, sein freundschaftlicher Umgang mit der Natur liess ihn zu Recht Patron des Tierschutzes werden. Sein Bemühen, in der Heimat wie auch zwischen den damaligen weltgeschichtlichen Mächten Christentum und Islam Versöhnung zu stiften, gibt heute noch der Friedensbewegung Impulse. Weil für ihn Päpste und Könige, Räuber und Vagabunden gleicherweise Brüder und Kinder Gottes waren, weckt er immer noch die Sehnsucht nach einer solidarischeren Gesellschaft.
Trotzdem, so wichtig diese aktuellen Bezüge sind, damit ist das Wesen des Heiligen aus Assisi nicht erfasst. Wir müssen tiefer ansetzen, um ihn zu verstehen. Dabei entdecken wir, dass sein Ziel keineswegs kompliziert oder ausgefallen war. Er wollte nur das Evangelium Jesu Christi leben, einfach und radikal.
Leben nach dem Evangelium: etwas Unvernünftiges?

Als die ersten Männer sich Franz anschlossen, war er zunächst ratlos. «Niemand zeigte mir, was ich zu tun hatte», erinnerte er sich kurz vor dem Tod in seinem Testament. Er fügte sogleich hinzu: «Der Allerhöchste selbst hat mir geoffenbart, dass ich nach der Form des heiligen Evangeliums leben solle.» Seine erste Ordensregel bestand denn auch fast nur aus Zitaten aus der Heiligen Schrift. Diese war für ihn zeit seines Lebens neben dem Lehramt die einzige Autorität, auf die er sich berief. Obwohl er ohne Bildung war, verstand er intuitiv den Sinn der Schriftworte. Das gleiche können wir heute bei vielen ungebildeten Christen Lateinamerikas antreffen, die in ihren Basisgemeinden die Bibel lesen und dabei spontan Anstösse für ihr alltägliches Leben bekommen.
Für Franz von Assisi waren die Worte Jesu nicht toter Buchstabe. Ebensowenig sind sie eine Theorie, die man studiert, um intelligenter zu werden und gescheite Predigten halten zu können. Im Wort der Bibel sprach ihn Gott durch Jesus Christus persönlich an. Er verlangte von ihm eine konkrete Antwort. Franz schrieb das Gehörte und Gelesene nach dem Zeugnis seines ersten Biographen «unauslöschlich in sein Herz». Er erwartete auch von seinen Gefährten, dass sie es «mit heiliger Wirkung befolgten».
Die Lebensform, die Franz im Evangelium fand, war der Lebensstil Jesu. Wie der Herr mit seinen Aposteln durch die Welt zog, wollte er wandernd das Reich Gottes verkünden; wie Jesus sich zum Gebet zurückzog, suchte auch Franz einsame Orte auf. Er wollte umsonst arbeiten, weil der Mensch letztlich von Gott alles umsonst erhält. In der Nachfolge Jesu, der nichts besass, worauf er sein Haupt zum Schlafen legen konnte, verzichtete er auf jegliches Eigentum. Er und seine Brüder vertrauten darauf, als Menschen, die sich der Sorge des himmlischen Vaters anheim gegeben hatten, bettelnd «Zuflucht zum Tisch des Herrn» nehmen zu dürfen.
Selbst für das Mittelalter, in dem man sich noch nicht dutzendfach für die Zukunft absicherte, war eine solche frei gewählte Lebensweise etwas Ausgefallenes. Zwar gab es damals Scharen vagabundierender Mönche, die aber alles andere als ein evangeliumgemässes Leben führten. Franz jedoch wollte nicht durch die Lande ziehen, um die Freiheit zu geniessen. Seine Absicht war, in gelassener Fröhlichkeit in die Spuren des armen und demütigen Jesus zu treten.
War die Absicht des Armen aus Assisi und seiner Brüder trotz bestem Willen nicht zum Scheitern verurteilt? So fragten sich besorgt der Papst und seine Berater, als die Bettlerschar in Rom um die rechtliche Anerkennung bat. Papst Innozenz III. hatte in der folgenden Nacht einen Traum. Er sah, wie ein unscheinbarer Mann im geflickten Gewand die vom Einsturz bedrohte Hauptkirche der Christenheit stützte.
Aus den Verhandlungen mit der römischen Kurie ist uns ein Wort von Kardinal Colonna überliefert. Auf den Einwand, das Projekt von Franz widerspreche der menschlichen Vernunft und werde böse enden, meinte er: «Die Bitte dieses Mannes ist es, ein Leben nach dem Evangelium führen zu dürfen. Weisen wir sie zurück als ein allzu mühseliges und gänzlich unerprobtes Unterfangen, dann nehmen wir Anstoss am heiligen Evangelium. Sagt nämlich einer, dass die Befolgung des Evangeliums der Erfahrung und dem gesunden Verstand der Menschen entgegenlaufe, dann lästert er Christus den Herrn als den Urheber des Evangeliums.» So erhielt Franz schliesslich vom Papst den Auftrag, in der vorgesehenen Form durch Busspredigten die Menschen zu Gott zu führen.
Gott: unnahbar und doch gegenwärtig

Wer aber von Gott reden will, muss ihn zuerst erfahren haben. Bei Franz von Assisi nun ist die Gotteserfahrung der Schlüssel für das Verständnis seines ganzen Lebens. In ihr wurzelt seine Armut, die Güte zu allen Menschen bis hin zu den leblosen Wesen, die Form seiner Brüderschaft wie auch seine fast sprichwörtlich gewordene Fröhlichkeit.
Der Heilige erreichte die höchsten Stufen der Mystik. «Alle seine Sinne sind voll von der Gegenwart Gottes» (A. Rotzetter). Er «spürte die ständige Gegenwart des Erlösers an seiner Seite» (Bonaventura). Für ihn ist Gott die Güte. Er ist der sorgende Vater. Darum kann Franz nach seiner Bekehrung sich von seinem leiblichen Vater und seinem Reichtum abwenden und seine Zukunft dem Vater im Himmel anvertrauen.
Es erstaunt, dass Franz Gott gleichzeitig als den Unnahbaren erlebte, der «in unzugänglichem Lichte wohnt». Doch sein Sohn Jesus Christus war die Brücke zu ihm. So wurde Gottesbegegnung möglich durch die Christusbegegnung. Im armen Jesus von Nazareth sah er Gott als den Demütigen. Durch das unerhörte Wort von der «Demut Gottes» drückte er das Geheimnis der Menschwerdung aus. Demütig Jesus gehorchend, ihm nachfolgend und ihn nachahmend, fand er Zugang zum fernen Gott, der sein Leben in väterlicher Sorge trug.
Immer wieder zog er sich mit seinen Brüdern zurück, um im Gebet allein Gott vor Augen zu halten. Sie meditierten in verlassenen Kirchen, in den Höhlen von Carceri und auf dem Berg Alverna. Franz war nach seinem Biographen «mehr Gebet als bloss Beter». So sehr war das Bewusstsein von der Gegenwart Gottes in seinem Herzen verankert. Wenn er sich nicht an die vorgeformten Worte der Psalmen hielt, waren seine Gebete fast stammelnd. Er setzte immer wieder neu an, um sich in das Geheimnis des liebenden Gottes zu vertiefen. Ein Beispiel dafür ist der Abschluss eines seiner Lobgebete: «Allmächtiger, heiligster, höchster und erhabenster Gott, Du alles Gut, höchstes Gut, ganzes Gut, der Du allein der Gute bist, Dir wollen wir erweisen alles Lob, alle Herrlichkeit, allen Dank, alle Ehre, allen Preis und alles Gute.»
«Schwester Sonne», «Bruder Mond»

Auch die Liebe zur Natur war bei Franz die Konsequenz seines Gottesbezuges und nicht einfach Ausdruck einer romantischen Schwärmerei. Denn in allen Geschöpfen begegnete er der Güte und Weisheit des Schöpfers. Es gab für ihn nichts, das Gott nicht geschaffen hätte: «Alles Geistige, alles Leibliche, den ganzen Leib, die ganze Seele, das ganze Leben hat Er uns allen gegeben und gibt es noch.»
Weil alles auf den gleichen Ursprung zurückgeht und Gott zum Vater hat, ist alles auf der Welt in einem Geflecht brüderlicher und schwesterlicher Verbundenheit. Das bekannteste Zeugnis dafür ist der «Sonnengesang». Hier begegnen wir der «Schwester Sonne» und dem «Bruder Mond», dem «Bruder Wind» und der «Schwester Wasser».
Mit allen lebendigen und leblosen Geschöpfen steht Franz auf Du und Du. Weil sie seine Geschwister sind, muss er mit ihnen sorgsam und zärtlich umgehen. Eine egoistische Ausbeutung der Erde ist ihm völlig fremd. Dafür gibt es in seinem Leben unzählige Geschichten. So befahl er den Brüdern, beim Beschaffen des Brennholzes die Bäume etwa einen Meter über dem Boden abzusägen. Er hoffte, sie könnten dann vielleicht wieder nachwachsen.
Wenn wir sehen, wie Franz mit der Natur umging, erscheint es uns selbstverständlich, dass er auch jedem Menschen seine besondere Zuneigung schenkte. Sogar die Räuber, die ihn am Wege ausplünderten, nannte er «Brüder». Weil er wusste, dass Gott der unendlich Gute ist, wagte er es nicht, unter den Menschen eine Trennungslinie zwischen Guten und Bösen einzuführen. Alle waren von Gott geliebt und darum auch liebenswürdig. Seinen Gefährten trug er auf, einander mit mütterlicher Liebe zu begegnen: «Einer soll dem andern zuversichtlich seine Not offenbaren. Denn wenn schon eine Mutter ihren leiblichen Sohn umhegt und liebt, mit wie viel grösserer Sorgfalt soll einer seinen geistlichen Bruder lieben und umhegen. Und sollte jemand von ihnen krank werden, dann sollen die andern Brüder ihm so dienen, wie sie selbst bedient sein möchten.» (Ordensregel)
Weil Gott in Jesus als der Ohnmächtige, Demütige und als der Diener aller auf die Welt kam, durfte es unter den Mitgliedern der Franz-Brüderschaft keine Höhergestellten geben. Die Träger der Ämter, die es auch in einer solchen Gemeinschaft brauchte, nannte er «Diener». Dadurch sollte der franziskanische Orden «ein macht- und herrschaftsfreier Raum sein, indem es nur Zuhörer und Diener gab, nicht aber Machthaber und Herren» (A. Rotzetter). Die «Diener» der Gemeinschaft müssen allen Brüdern mit mütterlicher Sorge begegnen. Wie sie mit den grössten Sündern unter ihnen umgehen, wird zum Massstab ihrer Gottesliebe. Einem von ihnen schrieb Franz: «Darin will ich erkennen, ob du den Herrn und mich, seinen und deinen (!) Knecht, liebst, wenn du folgendes tust: Es darf keinen Bruder auf der Welt geben, mag er auch gesündigt haben, so viel er nur sündigen konnte, der deine Augen gesehen hat und dann von dir fortgehen müsste ohne dein Erbarmen . . . Und wenn er danach auch noch tausendmal vor deinen Augen sündigte, liebe ihn mehr als mich, damit du ihn zum Herrn ziehst.»
Beim «Abschaum der Menschheit»

Auch die Armut, ein zentraler Wert im Leben des Heiligen aus Assisi und ein Kennzeichen der wahren franziskanischen Brüdergemeinschaft, ist ohne Rückgriff auf das Gottesbild von Franz nicht recht zu verstehen. Denn sie bedeutet die absolute Abhängigkeit vom Schöpfer. Ebenso verwirklicht sich in ihr die Gleichförmigkeit mit dem armen und gekreuzigten Sohn Gottes.
Wie ernst Franz die Armut nahm, ersehen wir aus der Bezeichnung, die er seiner Gemeinschaft gab: Orden der Mindern Brüder (auf lateinisch: Ordo Fratrum Minorum: OFM). In der gesellschaftlichen Struktur einer mittelalterlichen Stadt wie Assisi gehörten zum Stand der «Mindern» jene Leute, die für gesittete Bürger «Abschaum der Menschheit» waren. Zu ihnen zählten Menschen, die verachtete Arbeiten verrichteten wie Lumpensammler und Schweinehirten. Unter den «Mindern» waren Aussenseiter wie Aussätzige, Narren, Gaukler und Landstreicher. Auf dieser untersten Ebene siedelte sich Franz mit seinen Gefährten an, während die mittelalterlichen Klöster an der Spitze des kulturellen Fortschrittes standen. Die «Karriere nach unten» war das Ergebnis der Begegnung des einstmals reichen Bürgersohnes mit dem «höchsten und erhabensten Herrn». Es war nicht eine bloss theoretische Solidarität mit den am Rande Lebenden. Franz wollte bei ihnen sein und sie die Liebe Gottes spüren lassen. «Die Brüder sollen sich freuen, wenn sie unter unbedeutenden und verachteten Leuten, unter Armen, Geisteskranken, Kranken, Aussätzigen und am Wegrand Bettelnden weilen.» Dieses Mitsein sollte die Abgeschriebenen spüren lassen, dass sie die gleiche Menschenwürde hatten wie die Wohlsituierten.
Bezüglich der materiellen Güter hatte Franz eine Haltung, die einem radikal vorkommt. Er verzichtete auf allen Besitz, um nicht auf ihn, sondern auf den sorgenden Gott zu vertrauen. In den Gütern sah er nicht bloss eine Absicherung. Er betrachtete sie ebenso als Absonderung. Sie würden eine Schranke zwischen ihm und den Mitmenschen aufrichten und zu Streit führen. Zum Bischof von Assisi, der wie anfänglich die römische Kurie die ungewohnte evangelische Radikalität als menschenunmöglich ansah, meinte er: «Herr, wenn wir irgendwelches Eigentum besitzen würden, so müssten wir unbedingt zu unserem Schutz auch Waffen haben. Daraus entstehen aber Streitigkeiten und Zank. Dadurch wird die Liebe zu Gott und zum Nächsten gewöhnlich stark gehemmt. Und deshalb wollen wir in der Welt nichts Irdisches besitzen.» Franz übersah nicht, dass es auch einen geistigen und geistlichen Kapitalismus gibt. Immer wieder rief er die Brüder auf, das, was Gott durch sie gewirkt hatte, nicht auf ihr eigenes Konto zu buchen. Sie sollen sich darüber nicht mehr freuen als über das Gute, das jemand anders sagt oder tut. In den «Worten heiliger Mahnung an alle Brüder» gibt es nicht weniger als sieben Abschnitte, in denen Franz davor warnt, stolz auf eigene Leistungen zu sein. So heisst es hier: «Selig der Knecht, der sich, wenn er von den Menschen laut gepriesen und erhoben wird, nicht besser dünkt, als wenn er für unbedeutend und einfältig und verächtlich gehalten wird.»
Ein sonniges Gemüt?

Wo der Mensch sich nicht auf materielle oder geistige Güter abstützt und darum offen ist für Gott, den Spender alles Guten, hat «Armut mit Fröhlichkeit» ihren Platz. So war es nicht etwa sein sonniges Gemüt oder gar der äussere Reiz seiner umbrischen Heimat, die Franz so prägten, dass er in einer leicht kitschigen Bezeichnung als der «Bruder Immerfroh» in die Geschichte einging.
Der Grund seiner Freude liegt wiederum tiefer. In den sogenannten «Fioretti» oder der «Blütenlegende» gibt es eine Erzählung, welche dies klar veranschaulicht. Auf die Frage, was denn die «vollkommene Freude» sei, antwortete Franz seinem Begleiter, auf einer Fussreise bitter frierend: «Wenn wir, ganz durchnässt vom Regen und von Kälte durchschauert, von Strassenkot schmutzig und von Hunger gepeinigt, zu unsern Brüdern kommen, und wenn wir dann an der Pforte läuten und der Pförtner käme und spräche: ´Wer seid ihr?´, und wenn er auf unser Wort ´Wir sind zwei deiner Brüder´, uns anführe und spräche: ´Was? Zwei Landstreicher seid ihr und streift in der Welt umher und nehmt den Armen ihre Almosen weg!´ – und er würde uns nicht aufmachen, sondern liesse uns stehen in Schnee, Wasser, Frost und Hunger bis in die Nacht hinein – wir aber würden all die Unbilden und Beleidigungen ruhig und ohne Murren geduldig tragen und würden in Demut und Liebe denken, der Pförtner kenne uns wirklich gut und Gott habe ihm solche Worte auf die Zunge gelegt, da, Bruder Leo, schreibe es, liegt die vollkommene Freude.»
Die seltsame Geschichte geht noch weiter. Franz malt sich aus, der Pförtner würde die Brüder nach nochmaligem Klopfen ohrfeigen und als unverschämte Burschen beschimpfen. In diesem Stile würde es dann weitergehen: «… Und nun käme er mit dem Knüppel und packte uns an der Kapuze und schlüge uns, dass wir nur so in Dreck und Schnee herumtaumelten, und versetzte uns Streich über Streich – dann, wenn wir all die Unbill und Kränkung und Schläge mit Freude trügen, im Gedanken, dass wir die Peinen Christi, des Hochgebenedeiten, mit aller Geduld ertragen und auf uns nehmen sollen: Bruder Leo, dann wäre dies die vollkommene Freude.»
Der berühmte «Sonnengesang», den Franz von Assisi gegen Ende seines Lebens dichtete, ist ein Beweis dafür, dass der Heilige auch in Wirklichkeit die echte Freude dann erleben konnte, wenn alle äussern Umstände nicht danach waren. Denn als er dieses Preislied auf den Schöpfer und die Schöpfung schuf, lag er von Schmerzen gepeinigt und verlassen im Garten von San Damiano, geplagt von Mäusen und Ungeziefer. Seine fast erblindeten Augen konnten die Schönheit der Schöpfung, die er besang, kaum mehr wahrnehmen. Seine Erfahrung von der Güte des Schöpfers war stärker als das Leiden, das ihn umgab.
Franz heute

Wir konnten hier die Jahrhunderte überragende Gestalt des Armen aus Assisi nur in wenigen Zügen skizzieren. Vielleicht kam doch etwas von dieser einzigartigen Persönlichkeit zum Vorschein. Und vielleicht reicht diese dürftige Skizze aus, um Bewunderung für Franz zu wecken. Sich bewundern zu lassen widerspräche aber gerade seinem Wesen. Er wollte keine Verehrer. Doch möchte er heute noch Menschen, die mit ihm zusammen den Spuren Christi folgen.
Die Zahl jener, die heute sich auf die Lebensform von Franz verpflichtet haben, ist tatsächlich immer noch gross. Es sind fast 38 000 in den franziskanischen Männerorden. Dazu kommt eine noch grössere Zahl von Schwestern in einer schier unübersehbaren Anzahl grösserer und kleinerer Gemeinschaften auf der ganzen Welt.
Franz von Assisi gründete nicht nur Gemeinschaften für Männer und Frauen, die alles verlassen und in die engere Nachfolge Jesu treten wollten. Auf ihn geht auch der «Dritte Orden» (DO) zurück, in dem Christen ihre persönlichen Bindungen aufrechterhalten und in ihrer gewohnten Umgebung das Evangelium auf besonders ernsthafte Weise leben können. Er nennt sich heute «Franziskanische (Laien)Gemeinschaft» (FLG). Jüngeren Christen steht
die «Junge Franziskanische Gemeinschaft» (JFG) offen, die frühere Gemeinschaft «Jungterziaren».
Die vielen tausend Männer und Frauen in den franziskanischen Orden und Laiengemeinschaften sind ein Beweis dafür, dass der Geist des Franz von Assisi auch im 20. Jahrhundert lebendig ist. Gerade in der Gegenwart gibt es eine unüberschaubare Zahl von Sympathisanten des Heiligen, die in ihm eine grosse prophetische Gestalt sehen. Sie lassen sich von ihm besonders durch seine Solidarität mit den Armen und mit der gesamten Natur inspirieren. Der Mann, der vor 800 Jahren in Assisi gelebt hat, wurde in den letzten Jahren sozusagen zum Patron eines alternativen Lebensstils.
Das Leben des Franz von Assisi

1181 oder 1182. Franz wird in Assisi (Umbrien) als Sohn eines reichen Tuchhändlers geboren.

1202: Er wird Anführer der Jugend. «Franz ist reich, schön, heiter, angesehen, verehrt, aufgelegt zu allen fröhlichen Eskapaden, Schlemmermahlzeiten, Ritterzügen: verliebt in Träume, Illusionen, Mädchen, in die französische Sprache, in phantasievolle, supermoderne Kleidung …» (C. Pohlmann).

1202: Er gerät in Kriegsgefangenschaft. Hier und während er anschliessend krank zu Hause liegt, zweifelt er am Sinn des Lebens.

1205: Er schliesst sich den Truppen des Walter von Brienne an. Auf dem Weg fragt ihn eine Stimme: «Was ist ehrenvoller: dem Knecht zu dienen oder dem Herrn?»

1206: In der kleinen Kirche von San Damiano, am Rande der Stadt Assisi, spricht der Gekreuzigte zu ihm: «Stelle meine Kirche wieder her!» Franz versteht den Auftrag wörtlich und renoviert zerfallene Kapellen. Bald darauf enteignet sein Vater ihn. Franz, nun völlig arm, vertraut nur noch auf die Vorsorge des himmlischen Vaters.

1209: Einige Männer schliessen sich Franz an. Er findet im Evangelium die Form seines Lebens: den Fussspuren des armen und gekreuzigten Jesus nachfolgen. Der Papst bestätigt die erste Ordensregel.

1210-1220: Franz wandert mit seinen Gefährten durch Italien. Schliesslich
reist er nach Palästina, um ein Kreuzfahrerheer von der Schlacht abzuhalten. Vor dem Sultan versucht er, zwischen den Muslimen und den Christen Frieden zu stiften.

1221: Franz legt die Leitung seines Ordens nieder, der bereits einige tausend Brüder zählt und über halb Europa verbreitet ist.

1223: Der Papst bestätigt die endgültige Regel des «Ordens der Mindern Brüder».

1224-1225: Franz wird von Krankheiten und: Schmerzen geplagt. Auf dem Berg Alverna erhält er die Wundmale.

1226: Schwer krank und fast blind dichtet er den «Sonnengesang». Am 3. Oktober stirbt er.

1228: Der Papst spricht Franz von Assisi heilig.

Dieser Text erschien als inzwischen vergriffene Kleinschrift: Walter Ludin, Was wollte Franz von Assisi? Kanisius-Verlag Freiburg i .Ue., 1986. 30 S.

Link:

Die Artikel des Medienspiegels werden nach den urheberrechtlichen Richtlinien der Medienhäuser publiziert.

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/medienspiegel/was-wollte-franz-von-assisi/