Regula Grünenfelder: Spirituelle Räume dürfen nicht verschwinden

Das künftige Schicksal von Schweizer Pfarreien ist ungewiss. Müssen immer mehr von ihnen wegen Priestermangels und rückläufiger Kirchensteuern ihre Pforten schliessen? Und was passiert dann mit diesen Räumen? Für die Theologin Regula Grünenfelder ist wichtig: «Spirituelle Räume müssen Treffpunkte bleiben, auch wenn in Zukunft das Label katholische Kirche nicht mehr draufstehen wird».

Sabine Zgraggen

In der kleinen Pfarrei Maria Königin im Norden Deutschlands (siehe Kasten) gehen wegen Priestermangels und rückläufiger Steuereinnahmen die Lichter aus. Kein Einzelfall. Trotz des grossen Einsatzes von Pfarreirat und Gläubigen, sollen die Gebäude Ende 2024 definitiv geschlossen werden.

Ein Szenario, das auch in der Schweiz Fragen über die zukünftige Nutzung von immer mehr leerstehenden Kirchenräumen aufwirft: «Das sei vor allen Dingen eine theologische Frage», sagt Regula Grünenfelder «doch diese werde noch viel zu wenig erforscht und diskutiert».

Es ist Samstagmittag im Pfarreizentrum Johannes Täufer in Zug. Eine Gruppe junger Schülerinnen absolviert gerade einen Kurs und macht Pause, verschiedenste Menschen gehen im Foyer ein und aus.

Raum anders denken

Inmitten des lebendigen und offenen Raumes stehen die beiden Theologen Regula (58) und Bernhard Lenfers Grünenfelder (61) zu einem Gespräch bereit. Gastfreundlich werden Suppe und selbstgemachtes Fladenbrot gereicht. Man könnte glauben: Heile Pfarrei-Welt.

Doch die Theologin Regula Grünenfelder forscht seit Jahren über gesellschaftliche Entwicklungen und die zunehmende Marginalisierung von Glauben und Kirchenräumen. Ihre Aufmerksamkeit gilt einem Denken, das beim Raum, Lebensraum selbst seinen Anfang nimmt.

Das begründet sie schöpfungstheologisch und christologisch. Denn diesen Glauben gibt es nur im Raum, weil auch Menschen Räume sind, Paulus sagt: Tempel des Heiligen Geistes. «Ein kirchliches Leben vom sonstigen Leben aller Menschen abzuspalten, sei zutiefst unchristlich» sagt sie.

Kirchen müssen Treffpunkte bleiben

Damit meint sie, dass, werden Kirchen, Klöster und Pfarrzentren geschlossen, mehr als nur eine katholische Kirche verloren geht. Es verschwänden spirituelle Räume, Ankerpunkte des transzendentalen Obdachs, die aus Gründen der Humanität Treffpunkte bleiben und neu werden müssen – auch wenn in Zukunft das Label «katholische Kirche» nicht mehr draufstehen wird.

Die Verantwortung dafür gelte es theologisch bewusst zu übernehmen, das eigene Ende als Raum prägende Religion vor Augen gilt es zu gestalten, über sich selbst hinaus.

Ihr Mann Bernhard leitet seit knapp zwölf Jahren die Pfarrei St. Johannes der Täufer, die zum Pastoralraum Zug-Walchwil gehört. Die Problematik des Personalmangels mit bischöflichem Gütesiegel sind seit Jahrzehnten bekannt, bestätigt er, «es nehmen längstens andere Engagierte mit verschiedenen Fähigkeiten den Auftrag der Kirche wahr!»

Religiöse Reflexion teilen

Die Mitsorge für reflektierte geistliche Beheimatung, für sozial schwächere Menschen zum Beispiel, für das gemeinsame liturgische Feiern an den Übergängen des Lebens und des Jahres. Das braucht es, und deshalb ist es jetzt Zeit dafür, meint Bernhard Lenfers Grünfelder.

Eine Verantwortung, die in seinen Augen noch zu wenig klar wahrgenommen und geteilt werde. «Das Monopol auf religiöser Praxis und Reflexion der grossen Konfessionen, das gehört uns nicht einfach», sagt der Pfarreileiter. Dieses sei in die Gesellschaft hinein zu teilen, «pfingstlich grosszügig, wie die ersten jüdischen Christinnen und Christen ihren Glauben über sich selber hinaus geteilt haben, aus Notwendigkeit und in Beziehung, mit unendlichem Vertrauen, frei von kultischen Sicherheitsnetzen, mit einem ethischen Geländer», erklärt er.

Regula Grünenfelder legt nach: «Das älteste Christuslied besingt die Selbstzurücknahme Gottes in Christus. Selbstzurücknahme in Beziehung bedeutet nicht einfach kleiner zu werden und gleich zu bleiben, sondern sich durch diejenigen, die als Andere erscheinen, verändern zu lassen. Also: Hingabe. Das ist die theologische Herausforderung.»

Eine Kirche für alle

Wer besser verstehen will, was das Ehepaar Grünenfelder meint, schaut sich das eigens von der in Zürich lebenden Künstlerin Kati Rickenbach illustrierte Pfarrei-Bild an. Darauf sind Menschen aller Couleur zu sehen, ausserhalb des Kirchenraumes, aber auch in der Kirche.

«Die interreligiöse Weihnachtsfeier mit Teilnehmenden aus dem Quartier und solchen, denen St. Johannes Heimat ist, ist für viele Menschen ein echtes Bedürfnis und eine grosse Freude gewesen», sagt Bernhard Lenfers Grünenfelder.

Was müsste sich ändern? Es bedürfe grösserer Anstrengungen, sich des Themas überhaupt anzunehmen. «Die dauerhaft im Hamsterrad befindlichen kirchlichen Verantwortungsträger, bräuchten Abstand und Ruhe, um auch theologisch neu zu denken» – ist Regula Grünenfelder überzeugt.

Grossen Schmerz wahrnehmen

Sie selbst hat es so gemacht, stieg eine Zeitlang aus ihren Verpflichtungen aus, um gemeinsam mit anderen die Herausforderungen des Strukturbruchs zu untersuchen. Die digitale Transformation stellt alle Lebensbereiche vor radikale Grundsatzfragen.

Die Autoindustrie hat sich inzwischen zum Elektromotor durchgerungen. Stellen sich die grossen Konfessionen der Herausforderung, ihren Beitrag zur transzendentalen Beheimatung im begrenzten, verletzlichen Lebensraum, so ist Kirchenentwicklung nicht mehr traurig, sondern gesellschaftlich absolut relevant.

«Vor allen Dingen auch den grossen Schmerz vieler im Stich gelassener katholischer Gläubiger wahrzunehmen, die wie in der Diaspora Pfarrei Maria Königin bald vor geschlossenen Türen stehen werden, das sei eine zentrale Aufgabe der Bischöfe und auch theologischen Universitäten», so nochmals Bernhard Lenfers Grünenfelder.

Auf eine Anfrage von kath.ch, mit Bischof Bonnemain darüber ins Gespräch zu kommen, antwortete die Mediensprecherin des Bistums Chur, Nicole Büchel, am 11. Januar dieses Jahres: «Vielen Dank für Ihr Mail und das Interesse. Die von Ihnen formulierte Thematik stellt sich dem Bistum Chur aktuell noch nicht, insofern kann ich Sie beruhigen. Zur Politik und Organisation anderer Bistümer, insbesondere in anderen Ländern, nimmt Bischof Joseph Maria keine Stellung.»


Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/regula-gruenenfelder-spirituelle-raeume-duerfen-nicht-verschwinden/