Schwester Andrea: «Berufung ist ein persönlicher innerer Prozess»

Wäre Ordensfrau eine Option für mich? Dieser Frage können Frauen nun anhand des Buches «Meinst du mich, Gott?» nachgehen. Das Klostersterben sei ein Fakt, sagt Mitautorin Schwester Andrea Fux vom Kloster Mariazell Wurmsbach. Die Gemeinschaft kleidet diese Woche allerdings eine Kandidatin ein.

Regula Pfeifer

Weshalb haben Sie dieses Buch verfasst?

Schwester Andrea Fux: Es gibt seit 2021 das Buch des Klosters Einsiedeln, «Himmelsstürmer», verfasst von den Patres Thomas Fässler und Philipp Steiner. Dieses zeigt auf, anhand welcher Fragen sich Männer auf einen allfälligen Klostereintritt vorbereiten könnten. Bei den Besprechungen dieses Buches kam bei uns die Frage auf: Gibt es so etwas auch für Frauen? Das fragten wir Pater Thomas. Er verneinte und fand: Es wäre super, würde das jemand anpacken. Das machten wir dann mit Freude.

Dann gibt’s jetzt je ein Buch für Männer und Frauen?

Fux: Ja, «Himmelsstürmer» richtet sich bewusst an Männer. Die Patres sagen, sie könnten sich verständlicherweise nicht gut in den Berufungsprozess von Frauen einfühlen. Das wollten wir mit einem eigenen Buch für Frauen tun.

«Mir wurden als Schulleiterin bereits früher solche Fragen gestellt.»

Antworten Sie damit auf Fragen, die ihnen Gäste der «Auszeit im Kloster» stellten?

Fux: Unter anderem, ja. Allerdings wurden mir bereits früher solche Fragen gestellt. Ich bin ehemalige Schulleiterin des Mädcheninternats Kloster Mariazell Wurmsbach. Da wandten sich Schülerinnen, junge Erwachsene und Eltern an mich: Was soll das Klosterleben, was ist das Ziel? Weshalb geht jemand ins Kloster? Das konkrete Klosterleben ist offensichtlich den wenigsten bekannt.

Deshalb fanden wir: Es ist gut, mal aus dem Innern eines Klosters zu berichten. Und zu zeigen: Wir empfinden diese Lebensform als etwas sehr Spannendes. Es gibt viele Menschen in der Kirche – insbesondere in den Orden – die engagiert unterwegs sind. Mit dem Buch halten wir auch den Negativschlagzeilen über die Kirche etwas Positives entgegen.

Möchten Sie damit dem Trend des Klostersterbens entgegenwirken?

Fux: Ja, das wäre ein schöner Nebeneffekt. Doch grundsätzlich lässt sich eine Berufung nicht einfach herbeiführen. Das ist ein persönlicher innerer Prozess. Dass es in Europa wenig aufblühende Gemeinschaften gibt, ist ein Fakt. Wir vom Kloster Mariazell Wurmsbach haben aber das Glück, diese Woche eine Einkleidung einer Kandidatin zu haben. Und im Herbst kommt eine weitere Kandidatin.

«Die beiden Kandidatinnen haben sich den Schritt ins Kloster schon länger überlegt.»

Ist das eine Folge des Buches?

Fux: Das wäre etwas sehr kurzfristig (lacht). Aber wir wissen, dass sich immer wieder Frauen auf unserer Webseite über das Klosterleben informieren. Die beiden erwähnten Kandidatinnen haben sich den Schritt schon länger überlegt. Sie beteiligten sich auch an unserem «Auszeit»-Programm. Damals wussten wir allerdings noch nicht, dass sie sich einen Klostereintritt überlegen. Übrigens geht es im Buch nicht nur um unser Kloster. Wir thematisieren auch Angebote von anderen Klöstern – etwa das freiwillige Ordensjahr in Deutschland.

Worauf stützen sich Ihre Antworten und Tipps – auch auf die Erfahrungen von weiteren Ordensfrauen?

Fux: Die Verantwortung für die Antworten liegt bei uns drei Autorinnen: der Äbtissin Monika Thumm, der Mitarbeiterin, Sozialpädagogin und Familienmutter Daniela Scherrer und bei mir. Aber wir diskutieren in der Gemeinschaft ab und zu über Fragen, die von aussen an uns gelangen. Und wie wir darauf antworten. Insofern kenne ich weitere Meinungen.

«Wir Menschen haben eine Ursehnsucht: Wir möchten uns selbst finden – und Sinn im Leben finden.»

Sie beschreiben das Klosterleben als Ort, in dem Sinn erfahren werden kann. Etwa im Engagement für andere – aus der Verbundenheit mit Jesus heraus. Akzeptieren Sie auch Lebenssinn jenseits des christlichen Glaubens?

Fux: Ja klar, auf jeden Fall. Sinn erfahren kann der Mensch innerhalb und ausserhalb des Christentums. Wir Menschen haben eine Ursehnsucht: Wir möchten uns selbst finden – und Sinn im Leben finden. Das sehen wir bei den jungen Erwachsenen, die bei uns in die Auszeit kommen. Die meisten haben eine gute Ausbildung, etwa in der Medizin, im Recht, in der Sozialarbeit. Sie fragen sich aber: Wo kann ich mich einbringen, damit ich nicht einfach nur irgendeinen Job mache? Wo kann ich eine Spur hinterlassen – und vielleicht gar etwas zum Guten ändern helfen?

«Der strukturierte Wochenrhythmus hilft sehr, den Kopf freizubekommen und mehr bei sich zu sein.»

Im Kloster kann man gemäss dem Buch sinnliche Schönheit erleben – etwa in der Liturgie, bei Kreuzgang-Prozessionen, beim persönlichen Gebet in der Klosterkirche. Hilft die Abgeschiedenheit dabei?

Fux: Ja, das kann helfen, wenn ich es bewusst so für mich gestalte. Der strukturierte Wochenrhythmus im über tausendjährigen benediktinischen Leben – mit Gebet, mit Arbeit, mit aber auch vielen Kontakten – hilft sehr, den Kopf freizubekommen und mehr bei sich zu sein. So kann man seine innere Stimme besser hören. Das ist uns das Wichtigste: seine innere Stimme heraushören, die oft Gottes Stimme ist – und dann auf einen Weg gehen, der sehr individuell ist. Ich brauche diese Art Rückzug, um Gott zu suchen. Dafür bin ich ja hergekommen.

«Auch wir können oberflächlich dahinleben.»

Sind Ordensleute besser bei sich?

Fux: Wir sind Menschen wie alle anderen auch. Auch wir können oberflächlich dahinleben, wenn wir uns nicht immer wieder bewusst zurückholen. Korrigierend wirkt dabei die Gemeinschaft. Da sagt etwa eine Mitschwester: «Was hast du? Jetzt müssen wir mal wieder reden.» Das finde ich sehr hilfreich.

Sehen Sie ähnliche Tendenzen in der Gesellschaft?

Fux: Ja, es gibt heute die Tendenz zum Minimalismus. Etwa, indem man auf sehr kleinem Raum mit sehr wenigen Gegenständen lebt. Jene, die mitmachen, erleben diese Beschränkung oft als befreiend. Die vielen Möglichkeiten, die heute bestehen, überfordern oft. Das kann sogar dazu führen, dass jemand deshalb nichts wählt – was oft nicht gut ist.

«Wichtig ist: diesem Ruf tatsächlich zu folgen.»

Im Buch steht: «Echte Berufung ist ein Ruf in die Ungewissheit.» Finden Sie: Es gibt mehr Ungewissheit im Kloster als im normalen zivilen Leben?

Fux: Nein, das nicht. Ich finde es sogar sehr anspruchsvoll, eine Partnerschaft gut zu leben. Denn niemand hat einen Einfluss darauf, wie sich der eigene Partner entwickelt. Einem inneren Ruf zu folgen, beinhaltet immer eine Ungewissheit. Aber wichtig ist: diesem Ruf tatsächlich zu folgen. Damit man das am Ende des Lebens nicht bedauert.

Ordensfrauen können bis ins hohe Alter etwas zur Gemeinschaft beitragen, schreiben Sie. Das sei zufriedenstellend. Sind Klöster unter anderem die besseren Altersheime?

Fux: Ich kenne keine Gemeinschaft mit vielen alten Schwester «von innen», kann das also nicht beurteilen. Grundsätzlich finde ich wichtig für alle älteren Menschen, dass sie eine Aufgabe haben. Das habe ich bereits als junge Schwester bei älteren Schwestern als sehr schön und ergreifend miterlebt. Die vorherige Äbtissin hat sogar sterbenden Schwestern Aufträge mitgegeben, indem sie sagte: Jetzt gehst du dann zu Gott – bitte erinnere ihn daran …

Sehr konkret ist das Buch bei der Frage: «Wie spüre ich, dass ich wirklich eine Berufung zum Ordensleben habe?» Welches ist der entscheidende Punkt?

Fux: Das ist individuell sehr verschieden, deshalb haben wir mehrere Punkte aufgeführt. Ich persönlich habe Phasen erlebt. Als Pubertierende fragte ich mich: Wie könnte ich mein Leben besonders spannend gestalten? Ich wollte nicht 0815 sein und eine Familie haben, ich suchte die Herausforderung. Dabei kam ich auf die Idee des Klosterlebens, das stellte ich mir spannend vor, obwohl ich kaum etwas darüber wusste.

«Ich bin relativ jung eingetreten – mit 24 Jahren –, habe es aber nie bereut.»

Als ich später das Kloster Mariazell Wurmsbach kennenlernte, wollte ich wissen, ob die Menschen hier erfüllt wirken oder abgelöscht. Und dann herausfinden, ob das mein Weg sein könnte. Ich bin relativ jung eingetreten – mit 24 Jahren –, habe es aber nie bereut.

Was hat Ihnen das Buchschreiben persönlich gebracht?

Fux: Wir haben uns mit der heutigen Gesellschaft auseinandergesetzt. Mit der Rolle der katholischen Kirche und der klösterlichen Lebensform darin. Wir setzten uns mit dem Kern des Ordenslebens auseinander. Und fragten uns: Was könnten wir mitgeben, damit jemand auf die Suche gehen kann? Ich habe mich immer gefreut auf die Sitzungen zum Buchprojekt. Den Austausch mit all diesen Fragen empfand ich als sehr bereichernd. Spannend war auch die Aussensicht der Familienmutter Daniela Scherrer auf unsere Lebensweise.

Das Buch: Andrea Fux, Monika Thumm, Meinst du mich, Gott? Frauen auf dem Weg ins Ordensleben, Herder 2023. Link zur Webseite dazu.


Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/schwester-andrea-berufung-ist-ein-persoenlicher-innerer-prozess/