Palliative Care

Möglichst viel Lebensqualität statt Suizid-Beihilfe

Wer die Suizid-Beihilfe kritisch beurteilt, muss Alternativen anbieten: Meist wird in diesem Zusammenhang auf die Palliativmedizin beziehungsweise -pflege («Palliative Care») verwiesen, die bei unheilbar Kranken auf schmerzlindernde Behandlung mit einem ganzheitlichen Ansatz setzt. Wer Sterbende begleitet, weiss von vielen Fällen zu erzählen, in denen einst Sterbewillige froh waren, dass man ihrem Wunsch nach einem schnellen Ende nicht entsprochen hat – dank Palliativmedizin. So fordern auch die Kirchen immer wieder einen Ausbau der Palliativpflege. Kurz vor Weihnachten ist die Schweizerische Gesellschaft für palliative Medizin, Pflege und Begleitung in die Offensive gegangen.

Noch ein anderer Grund spricht für den Ausbau der Palliativmedizin: Ihre Bedeutung wird angesichts der Alterung der Gesellschaft noch steigen. «Die Entwicklung der Medizin in den letzten Jahrzehnten hat dazu geführt, dass immer mehr Krankheiten heilbar oder behandelbar wurden», heisst es auf der Homepage von palliative.ch, der Schweizerischen Gesellschaft für Palliative Medizin, Pflege und Begleitung. «Dies hat aber auch eine Zunahme von chronischen, fortschreitenden Krankheiten und komplexen Situationen zur Folge.»

Mehr als Schmerzbehandlung

Bei der Palliativmedizin handelt es sich gemäss der Weltgesundheitsorganisation WHO um «ein Angebot, das sich an Menschen richtet, die sich mit einer lebensbedrohlichen, unheilbaren Krankheitssituation konfrontiert sehen. Es geht darum, die Lebensqualität von Patienten und ihren Angehörigen durch das Vorbeugen und Lindern von Schmerzen und anderen Krankheitsbeschwerden zu verbessern. Hierzu dienen das frühzeitige Erkennen, eine sorgfältige Anamnese und Behandlung von Schmerzen und anderen Problemen im physischen, psychosozialen und spirituellen Bereich.» Es geht also nicht «nur» um Schmerzen, sondern auch um psychische Leiden, spirituelle Nöte, Ängste und Verzweiflung. Im Mai 2006 hat sich die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) mit Richtlinien zu Wort gemeldet. Diese halten fest: «Lebensqualität kann nicht primär medizinisch definiert werden, sondern ist im lebensgeschichtlichen Kontext zu verstehen».

Das bedeutet: Palliativpflege ist eine interdisziplinäre Angelegenheit – ein fächerübergreifendes Konzept, nicht eine weitere Fachrichtung oder Disziplin. «Ziel ist es nicht, eine neue medizinische Spezialität zu begründen», so die Richtlinien der SAMW, «sondern vor allem zu einer Haltung zu ermutigen, welche die Grenzen der Medizin anerkennt und sich dem Sterben des Patienten und dem häufig anklingenden Gefühl der Hilflosigkeit stellt.» Verschiedene medizinische Abteilungen eines Spitals, Seelsorge und psychologische Betreuung müssen Hand in Hand gehen, für jede Patientin und jeden Patienten zugeschnittene Lösungen gefunden werden.

Leben und Sterben gleichermassen respektieren

Lange Zeit fristete die Palliativmedizin vielerorts ein gewisses Stiefmütterchendasein – die Spitäler verstanden ihre Aufgabe in erster Linie darin, die Patientinnen und Patienten gesund zu machen, nicht, ihnen auf dem Weg zum Sterben zu helfen. «Palliative Care respektiert Leben und Sterben gleichermassen», heisst es bei «palliative.ch».

Seit einiger Zeit ist ein Umdenken festzustellen. An verschiedenen Spitälern und in verschiedenen Ortschaften werden Konzepte für Palliativpflege erarbeitet. Auch politische Vorstösse gibt es, die solches fordern. Doch nach wie vor sind die Angebote sehr unterschiedlich stark ausgebaut. Dies zunächst aus finanziellen Gründen: Mit der Palliativmedizin, die wenig Technologie benötigt, lasse sich weniger Geld verdienen als mit anderen Bereichen der Medizin. Das sagte Roland Kunz, Co-Präsident von Palliative.ch, gegenüber dem «Tages-Anzeiger». Ein weiteres Problem ist, dass in der Schweiz die Kantone zuständig sind für das Gesundheitswesen. Gesamtschweizerisch einführen lässt sich die Palliativmedizin nicht – auch wenn man noch so einmütig der Meinung ist, dass dieser Bereich der Medizin deutlich verbessert werden muss. Und so kommt es, dass die Schweiz dem Ausland hinterherhinkt in dieser Beziehung.

Am weitesten ist man noch in der Westschweiz: An den Universitäten Lausanne und Genf gibt es den ersten Lehrstuhl für Palliativmedizin der Schweiz.

St.Gallen: Palliativzentrum mit Pioniercharakter

Recht weit ist man in St.Gallen, wo es ein kantonales Konzept gibt. Das Kantonsspital hat vor einem Jahr aus einem Bereich der Onkologie ein eigenes Palliativzentrum errichtet hat. Dieses arbeitet gemäss der eigenen Homepage interdisziplinär und nach einem bio-psycho-sozialen Konzept. Die Rede ist von einem Paradigmenwechsel von der biomechanischen zur psychosozialen Medizin und Pflege. Das Team nutzt zugleich ärztliches, pflegerisches, psychologisches, körpertherapeutisches, sozialarbeiterisches und seelsorgerisches Wissen.

In anderen Spitälern wird auf den jeweiligen Stationen Palliativmedizin betrieben. Zuweilen sind es auch Netzwerke aus Spitex, Hausärzten, kirchlichen Diensten, Hospizvereinen und anderen Fachleuten, die Palliativpflege zu Hause anbieten. In Zürich etwa gibt es eine städtische Fachstelle zur Ergänzung der Spitex-Dienste. Neuerdings gibt es an der Fachhochschule St. Gallen ein Nachdiplomstudium für «Palliative Care».

Mehr: www.palliative.ch

https://www.kath.ch/palliative-care/