Der Fall Rupnik überschattet die Weihnachtstage im Vatikan

Der Skandal um den international bekannten Mosaikkünstler und Jesuitenpater Marko Rupnik schlägt in Rom hohe Wellen. Selbst Papst Franziskus kann sich der wachsenden Unruhe nicht mehr entziehen. Es wird spekuliert, ob es eine Anpassung des Kirchenrechts geben wird.

Ludwig Ring-Eifel

Am Vorabend von Heiligabend hat der Stellvertreter des Papstes für das Bistum Rom, Kardinal Angelo de Donatis, ein langes Kommunique zu einem innerkirchlichen Skandal veröffentlicht. Es war bereits die dritte offizielle Erklärung zum Fall des Jesuitenpaters Rupnik, der seit drei Wochen immer weitere Kreise zieht.

Die zunächst nur von kleinen Internetportalen erwähnten Anklagen von Ordensfrauen, die berichteten, von dem slowenischen Geistlichen missbraucht worden zu sein, fanden bald auch in Tageszeitungen Raum, und so mussten die kirchlichen Stellen reagieren. Mit jedem Presseartikel und mit jedem Kommunique wurde deutlicher, wie viele Ebenen der kirchlichen Hierarchie von dem Skandal um den weltweit bekannten Mosaik-Künstler und geistlichen Lehrer betroffen sind, der seit den 1990er Jahren in Rom lebt.

Anfang Dezember wurden «Vorsichtsmassnahmen» verhängt

Als erstes wurde die in Rom ansässige Leitung des weltweiten Jesuitenordens erfasst. Die Jesuiten veröffentlichten am 2. Dezember eine Erklärung. In ihr versuchten sie, die anschwellende Empörung mit dem Hinweis zu entkräften, dass es bei den Vorwürfen gegen Rupnik nicht um Minderjährige gehe und dass der Orden gegen den Pater «Vorsichtsmassnahmen» verhängt habe. Dieser dürfe nun weder Beichte hören noch Exerzitien leiten.

An diesem Punkt wurden Vatikanbeobachter hellhörig, war doch damit angedeutet, dass es um sexuelle Verfehlungen ging und dass der Beschuldigte das Sakrament der Beichte zur Vertuschung seiner Taten eingesetzt haben musste. Als nächstes räumte der Generalobere der Jesuiten, Arturo Sosa, bei einem vorweihnachtlichen Medienempfang Fehler ein. Ergänzend veröffentlichte der Orden eine Chronologie von Anzeigen und Ermittlungen und von zwei Kirchengerichtsverfahren, die seit 2018 gegen Rupnik liefen. 

Exkommunikation wurde zurückgezogen

Dramatischer Höhepunkt in dieser Zeittafel: Im Mai 2020 stellt die Glaubenskongregation fest, dass Rupnik exkommuniziert ist, weil er in der Beichte eine Frau von der sexuellen Übertretung losgesprochen hat, die er selbst mit ihr begangen hat. Darauf steht im katholischen Kirchenrecht die Höchststrafe der Exkommunikation. Und dann heisst es in der Chronologie: «Die Exkommunikation wurde durch ein Dekret der Glaubenskongregation im selben Monat zurückgezogen, nachdem Pater Rupnik die Taten gestanden und um Verzeihung gebeten hat.»

Vermutung, dass Papst Strafe aufgehoben hat

Dieser Satz, der ein kirchenrechtlich korrektes, aber ausserhalb der Kirche schwer verständliches Vorgehen beschreibt, beflügelt seither Spekulationen in italienischen Medien. Immer wieder wird die Vermutung geäussert, die rasche Aufhebung der Strafe könne doch wohl nur der Papst persönlich angeordnet haben. 

Unterdessen hat die Unruhe auch das «Centro Aletti» ergriffen. Die römische Wirkungsstätte Rupniks, in der er und seine Mitarbeiter Mosaiken für mehr als 150 Kirchen weltweit entworfen haben, ist zugleich ein «geistliches Zentrum» mit Exerzitien, Vorträgen und Bildungsangeboten. Da es seit 2019 als kirchliche «Vereinigung» im Bistum Rom geführt wird, sah sich am 23. Dezember der Kardinalvikar des Papstes für Rom zu seiner ausführlichen vorweihnachtlichen Stellungnahme verpflichtet.

«Wahrscheinlich» werden Schritte unternommen

Nach kirchenrechtlichen und seelsorgerischen Gedanken, in die er auch eine kräftige Medienschelte und viel Sorge um die Erschütterung des Gottesvolkes durch diesen Skandal einfliessen liess, kam de Donatis schliesslich zur Ankündigung von Massnahmen. Er schrieb, man werde «wahrscheinlich» auch Schritte gegen die Tätigkeit Rupniks als Seelsorger in Rom (dort ist ihm eine kleine Kirche unterstellt) und bezüglich des Centro Aletti unternehmen. Auch Rupniks Sitz in kirchlichen Gremien werde man überprüfen.

An mehreren Stellen seiner Erklärung deutet de Donatis an, dass der Papst (einmal als Bischof von Rom und ein anderes Mal als die «höhere Autorität») mit dem Fall befasst ist. Am Ende schreibt er: «Vertrauen wir dies alles der Barmherzigkeit Gottes an und der klugen Unterscheidung dessen, der berufen ist, Entscheidungen über die betroffenen Personen zu treffen.»

Papst Franziskus lauschte Predigt von Rupnik

Damit hat er den Ball ins Feld von Papst Franziskus gespielt. Und den betrifft die Causa Rupnik schon lange: Nicht nur als Bischof von Rom, sondern auch als Kirchenoberhaupt. Denn die Feststellung der Exkommunikation und auch deren Aufhebung vollzog die vatikanische Glaubensbehörde als Organ der päpstlichen Vollmacht. Zwei Monate vorher hatte Rupnik noch eine Fastenpredigt für die Vatikanspitzen gehalten, auch der Papst lauschte ihm damals. Und dann muss sich Franziskus als Chef der Römischen Kurie dazu verhalten – denn in ihr hat Rupnik weiterhin einige symbolische Posten als «Consultor».

Diskussion unter Kirchenrechtlern

Die Auswirkungen des Skandals reichen weit über den Fall Rupnik hinaus. Unter Kirchenrechtlern wird diskutiert, ob und wie kirchliche Sanktionsregeln verändert werden sollten. Bislang stand nur der sexuelle Missbrauch von Minderjährigen unter Strafe. Dies wurde vor wenigen Jahren auf Menschen mit Behinderungen erweitert.

Anpassung des Kirchenrechts wahrscheinlich

Angesichts immer weiterer Berichte über die Ausnutzung von sexuell unerfahrenen Ordensfrauen durch Priester sowie über ähnliche Vorfällen in charismatischen «geistlichen Gemeinschaften» wird nun eine weitere Anpassung des Kirchenrechts wahrscheinlicher. Auch hier ist der Papst gefordert, denn er ist an der Spitze der katholischen Kirche nicht nur der oberste Richter, sondern auch ihr Gesetzgeber. (cic)


Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/der-fall-rupnik-ueberschattet-die-weihnachtstage-im-vatikan/