Austausch mit Massimo Fusarelli: Der oberste Franziskaner besucht die Schweiz

Massimo Fusarelli hat seine Schweizer Mitbrüder und Angehörige des franziskanischen Laienordens in Zürich getroffen. Nach einer Vesper warb der oberste Franziskaner für eine Inkulturation aller Charismen innerhalb des Ordens.

Sabine Zgraggen*

Es ist sein erster Besuch in Zürich. Massimo Fusarelli, Generalminister des Franziskanerordens, ist am vergangenen Sonntagnachmittag in Kloten gelandet. Fusarelli stattet seinen franziskanischen Brüdern in der Schweiz einen Besuch ab und wird in den nächsten Tagen alle vier Häuser ihrer Niederlassungen sehen. Begleitet wird er von seinem Schweizer Mitbruder Albert Schmucki, dem Generaldefinitor des Ordens, der ihm nach der Landung auch kurz Zürich zeigt. Der oberste Franziskaner staunt als erstes darüber, wie ruhig es hier ist. Offensichtlich ist er in Rom anderes gewöhnt.

Europa-Tour

Die Schweiz ist der Auftakt einer Europa-Tour. Fusarelli wird später nach Österreich, Tschechien, Polen und schliesslich in die Ukraine reisen.

Fusarelli und Schmucki sind seit einem Jahr im Amt. Gemeinsam leisten sie nun ihren Dienst in den Fussstapfen des grossen Heiligen Franziskus von Rom aus. Der Franziskanerorden ist der weltweit drittgrösste Orden, nach den Benediktinern und Jesuiten, und zählt über 13’000 Ordensbrüder. Sie sind in 119 Ländern tätig. Mit über 700 Hilfsprojekten in 65 Ländern und vielen Neuberufungen in Afrika und Asien sind die Aufgaben gross.

Begegnung in der Dachkapelle

Ausdrücklich erwünscht sind an diesem Abend an der Hofackerstrasse in Zürich, wo die Franziskaner zuhause sind, auch Begegnungen mit den Geschwistern aus dem dritten Laienordnen. Und so drängen sich am Sonntagabend in der Dachstuhlkapelle an die 30 Ordensgeschwister. Es ist andächtig still, als Fusarelli um halb acht Uhr als einfacher Mitbruder dazu tritt und kurz vor dem Holzaltar niederkniet.

Es wird deutlich: Heute Abend möchte er einfach nur Gast sein. Die Vesper ist einfach gehalten, Bruder Christoph-Maria begleitet an der Gitarre die melodischen Psalmen. Mit Sicherheit eine Wohltat für jemanden, der von morgens früh bis spät nachts im Einsatz steht. Auf Wunsch eines Mitbruders spricht Fusarelli zum Schluss der Vesper einen Segen. Höflich bittet er um Nachsicht, dass er es auf Italienisch tut. Dabei spricht er zig Sprachen fliessend – auch Deutsch.

«Teilete» am Holztisch

Im Anschluss gibt es eine geschwisterliche «Teilete» (Mahlzeit, bei der jeder etwas für alle mitbringt, Anm. d. Red.). Der grosse Holztisch ist reich gedeckt. Ausdrücklich ergeht die Einladung, dem Generalminister doch «alle Fragen zu stellen, die man schon immer stellen wollte». Nun werden auch die Handys für Fotos gezückt und er sagt geduldig: «Das sei überall so – Fotos machen». Man merkt ihm an, dass er selbst das nicht braucht, aber auch das ist ein Dienst an der Verkündigung.

Mit Migranten und Laien gelebt

Eine erste Frage ergeht aus der Runde: Wie gelingt es, eine Glaubenserneuerung in unserer Gesellschaft anzustossen? Die Antwort von Fusarelli klingt so einfach, wie klar: «Indem wir den Glauben neu verkünden»; «be human!» setzt er überzeugt nach. Im einfachen Miteinander wachse der Glaube. Bei einem Glas Wein ergänzt er: Er habe in Rom während dreier Jahre in einer Gemeinschaft mit 15 Migrantinnen, Migranten und Laien gelebt, das sei eine Praxis mit Zukunft. Dadurch würden, wie von selbst, auch neue Gemeinschaften entstehen. Man spürt, dass es ihm ernst ist.

«Viele Gemeinschaften halten noch an alten Vorstellungen fest.»

Massimo Fusarelli

Fusarelli sagt: «Viele Gemeinschaften halten noch an alten Vorstellungen fest, sie wollen ihre ehemals grossen Häuser mit vielen Brüdern von damals erhalten, aber, wir müssen heute neu lernen, was sinnvoll ist». Und er berichtet von einem Besuch in Holland, wo Ordensmitglieder des ersten, zweiten und dritten Ordens zusammen eine Gemeinschaft bilden. Also Franziskaner, Clarissen und Laien. Er spricht von einer Ekklesiologie, die «mit und zwischen den Menschen stattfindet». Beim Zuhören ist eine grosse innere Glaubenskraft spürbar, die als Vision gelten kann.

Was aus seiner Sicht die grösste Herausforderung für den weltweit tätigen Orden sei, will jemand anderes wissen: «Die Beziehungen zu pflegen und eine Balance zwischen Europa, Nordamerika, bis nach Afrika und Asien herzustellen», lautet Fusarellis Antwort. Es gehe um die Inkulturation aller Charismen. Alle Charismen zusammen führten in eine neue Realität, ist der Oberste der Franziskaner überzeugt.

Viele Berufungen ausserhalb von Europa

Nach kurzem Nachdenken fährt er fort: Eine weitere grosse Herausforderung stellen die vielen Neuberufungen dar. Der Orden habe unterschiedlich lange Traditionen zum Beispiel in Mozambique, wo man seit 100 Jahren arbeite, aber erst wenige Jahre oder Jahrzehnte in anderen Staaten Afrikas. Die Frage der Ausbildung stellt sich drängend: «Während wir in Europa eine grosse Krise erleben, können wir bezüglich dieser Berufungen so vieler junger Männer und deren Ausbildungen ja nicht passiv bleiben.»

Wie sieht er als Generalminister die religiöse katholische Entwicklung? Von grösster Bedeutung sei die persönliche Hinwendung zu Gott. Das Gebet sei zentral, nicht das Machen. Einige Brüder würden heute viel zu viel arbeiten und verlören dabei das eigentliche Zentrum aus den Augen, sagt Fusarelli. Hier wäre der Ordensgründer, der Heilige Franziskus, das wegweisende Vorbild. Er führt auch an, dass «wir als Ordensgemeinschaften keine Lobbyisten für oder gegen etwas sind», sondern «aus dem Evangelium und der Tradition der Kirche leben». Es ginge um ein «franziskanisches Miteinander-Leben», ganz konkret vor Ort.

«Alle sollten sich gemeinsam fragen, wie wir bessere Christen sein können.»

Massimo Fusarelli

Inzwischen ist es spät geworden, man mag Bruder Massimo etwas Schlaf gönnen. Eine letzte Frage noch: «Wie wird unten in Rom die Schweiz mit ihren religiösen Fragen wahrgenommen?» Fusarelli überlegt. Diplomatisch führt er aus, zwischen sogenannt Konservativen und Progressiven – eine Einteilung, die er ablehne – scheine es einen zu grossen Graben zu geben. «Alle sollten sich gemeinsam fragen, wie wir bessere Christen sein können.» Ob die Italiener es nicht ähnlich halten? «Naja», fügt er an, «sie sind vielleicht auch nicht mit allem einverstanden, behalten es aber mehr in ihrem Kopf, als die Kritik an der Kirche immerzu öffentlich auszutragen.»

Mit dem Gedanken, dass die Tradition auch eine grosse Gabe sei, wird dem Generalminister noch ein Stück Kuchen gereicht. Der Abend als geschwisterliche Begegnung ist gelungen, alle sind dankbar.

* Die Theologin Sabine Zgraggen (53) leitet in Zürich die Spital- und Klinikseelsorge. Die verheiratete Mutter dreier Kinder gehört der Franziskanischen Gemeinschaft an. 

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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