Zum Tod von Max Peter Ammann: Wie «Holocaust» den «gestampften Jud» einstampfte

Er kannte sie alle: Bert Brecht, Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt. Der Regisseur Max Peter Ammann ist im Alter von 93 Jahren gestorben. Der frühere Dramatik-Leiter des Schweizer Fernsehens sorgte dafür, dass die amerikanische TV-Serie «Holocaust» auch in der Schweiz gezeigt wurde.

Raphael Rauch

Am Schluss hatte sich Max Peter Ammann nur noch für Goethes «Faust» interessiert. Der Dramaturg war von Goethes Stoff fasziniert, geradezu besessen. Er schrieb eine eigene Adaption mit vielen Original-Zitaten aus Goethes Drama. 

Für ein anspruchsvolles Kulturfernsehen

Max Peter Ammann war überzeugt, dass sein Faust sein wichtiges Werk sei. Er träumte davon, dass Barbara Frey es am Schauspielhaus Zürich einmal uraufführen würde. Dazu kam es freilich nicht. Das hielt Max Peter Ammann aber nicht davon ab, einen Schauspieler regelmässig nach Wil kommen zu lassen, um gemeinsam die Textpartien durchzugehen.

Max Peter Ammann hatte viele Gründe, auf sein Schaffen stolz zu sein. Etwa auf die «Telearena» im Schweizer Fernsehen. Hier wurden gesellschaftlich brisante Themen wie Antisemitismus oder Fremdenfeindlichkeit künstlerisch aufgegriffen und diskutiert. Max Peter Ammann stand für ein anspruchsvolles, forderndes und gesellschaftlich relevantes Kulturfernsehen.

Wil SG fand er katholisch, engstirnig und beschränkt

Vor Jahren erschien sein autobiographisch gefärbter Roman «Die Gottfriedkinder». Hier beschreibt er seine Kindheit und Jugend im Wil der 1930er- und 1940er-Jahre. Das Milieu der St. Galler Kleinstadt beschreibt er als katholisch, engstirnig und beschränkt.

Max Peter Ammanns grösster Erfolg dürfte zugleich sein unbekanntester sein. Nach anfänglichem Zögern hatte er sich dafür eingesetzt, dass die amerikanische TV-Serie «Holocaust» auch im Schweizer Fernsehen ausgestrahlt wurde.

Der Holocaust als Seifenoper

Der amerikanische Vierteiler «Holocaust» brachte die Gräuel des Massenmords an sechs Millionen Jüdinnen und Juden über den Bildschirm in die Schweizer Wohnzimmer und sorgte für eine Konfrontation mit der Vergangenheit. Der Begriff «Holocaust» wurde 1979 «Wort des Jahres» und gab jenem Verbrechen einen Namen, das Winston Churchill noch «crime without a name» genannt hatte.

Max Peter Ammann leitete von 1976 bis 1991 die Abteilung Dramatik beim Schweizer Fernsehen. In Wil SG erzählte er vor drei Jahren, dass er damals vor einem Dilemma stand: Sollte das Schweizer Fernsehen eine Serie ausstrahlen, die zwar Quote lieferte, aber nicht unbedingt für Qualität stand? Max Peter Ammann hielt nichts davon, ein so ernstes Thema wie den Holocaust im Seifenoper-Stil zu zeigen.

Früher mischten sich Bundesräte ins TV-Programm ein

Nach dem enormen Erfolg von «Holocaust» in Deutschland und anderen Ländern geriet die SRG unter Zugzwang. Max Peter Ammann berichtete, er habe sich schweren Herzens umstimmen lassen – weil «Holocaust» trotz fragwürdiger Machart eine positive Wirkung hatte. Und weil er keinen «Druck von oben» wollte. Damals habe sich auch schon mal der Bundesrat ins TV-Programm eingemischt. Also wurde «Holocaust» auch für die Eidgenossen ausgestrahlt – nur im Tessin nicht.

Die Wucht der Sendung war auch in der Schweiz zu spüren. Bei der deutschen Botschaft in Bern ging eine anonyme Bombendrohung mit dem Stichwort «Todeskommando Holocaust» ein. Schon im Vorfeld der Ausstrahlung wurden beim Schweizer Fernsehen 4’000 Exemplare des Begleitmaterials bestellt und später Zehntausende nachgedruckt.

«Büchsenfleisch waren eingestampfte Juden»

Der SRG-Forschungsdienst veranlasste nach der Ausstrahlung eine Ad-hoc-Untersuchung, die Wahrnehmungsunterschiede zwischen der Deutschschweiz und der Romandie an den Tag legte. So gaben vier Prozent der Romands, aber nur 0,4 Prozent der Deutschschweizer an, «es gäbe auch heute sehr, bzw. ziemlich viele Gegner der Juden». Die Aussage «Juden sind Bürger wie alle anderen auch» bejahten wiederum 86 Prozent der Deutschschweizer, aber nur 76 Prozent der Romands.

Nach der Ausstrahlung erreichten das Schweizer Fernsehen viele Zuschriften. «Wie haben wir im Militärdienst vom einfachen Soldaten bis zum Offizier gedankenlos Ausdrücke gebraucht: ‹Büchsenfleisch› waren eingestampfte Juden! Ich schäme mich im Nachhinein dafür», schrieb etwa ein Zuschauer. 

Frontismus, Verrat und Selbstbehauptung

Ein Berner mit deutschem Pass schilderte, wie ihn die Schweizer Behörden während des Zweiten Weltkrieges dazu zwingen wollten, Hitlers Einberufungsbefehl zu befolgen. Eine andere Zuschrift enthielt die Polemik: «Können Sie sich Bundesrat Honegger in seinem Gehaben und seiner überheblichen Art nicht ganz gut in einer Naziuniform vorstellen?» 

Eduard Stäuble, der damalige Abteilungsleiter für Kultur und Gesellschaft des Schweizer Fernsehens, sah in «Holocaust» die Möglichkeit, sich «auf die Flüchtlingspolitik der Jahre 1933 bis 1945 zu besinnen und Leistung und Versagen gegeneinander abzuwägen». In diesem Zusammenhang kündigte er auch die dreiteilige Serie «Wach auf, Schweizervolk!» an, die «die Schweiz im Spannungsfeld von Frontismus, Verrat und Selbstbehauptung» kritisch beleuchten sollte.

«Das Boot ist voll»

1981 sorgte Markus Imhoof mit «Das Boot ist voll» für Furore. Die Debatte über die Rolle der Schweiz während des Nationalsozialismus und den Antisemitismus hierzulande ging später mit den nachrichtenlosen Vermögen weiter und wird auch heute noch geführt. 

Dies zeigt sich etwa in der Frage, ob es so etwas wie «Swiss Holocaust Survivors» gab. Oder ob die hohen Sicherheitskosten der jüdischen Gemeinden deren Problem ist oder vielleicht doch der Staat für den Schutz seiner Bürger zu sorgen hat. Erst 40 Jahre nach «Holocaust» gab der Bundesrat hierzu ein klares Ja.

Mit einer Iranerin verheiratet

Max Peter Ammann war mit vielen Persönlichkeiten befreundet: von literarischen Grössen bis zur Familie von Altbundesrat Flavio Cotti. Am Ende blieb Max Peter Ammann, der mit einer Iranerin verheiratet war, vor allem Goethes «Faust». Am Dienstag ist er gestorben.


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