Eine Kirche aus 500 Teilen: Zum ersten Mal hat das Bundeslager eine Jurten-Kirche

Im Goms grassiert das Pfadi-Fieber. 30’000 Teilnehmende werden zum Bundeslager erwartet. Zum ersten Mal gibt es eine Jurten-Kirche: für Gottesdienste, für Informationen über die Weltreligionen – und als Oase zum Ausruhen. Die Vorfreude aufs Bundeslager steigt.

David Meier

Wer zum grössten Pfadi-Lager aller Zeiten will, muss einen langen Anfahrtsweg in Kauf nehmen. Nach dem Furka-Tunnel überblickt man das Goms, das in den nächsten zwei Wochen 30’000 junge Menschen empfangen wird.

Bundeslager auf altem Militärflugplatz

Wer am Bahnhof Ulrichen aussteigt, befindet sich gleich auf dem ehemaligen Militärflugplatz. Früher starteten und landeten hier Kampfjets. Wer 20 Minuten zu Fuss die Piste entlangläuft, gelangt zu einer Kirche, die sich im Aufbau befindet. Der Verband Katholischer Pfadi (VKP) installiert hier eine Jurten-Kirche.

Unterwegs treffe ich Michelle Willi (30) aus St. Gallen. Die Lehrerin erzählt, dass sie früher selber in der Pfadi war und nun ihre Sommerferien nutzt, um beim Bundeslager mitzuhelfen. 

Zur Pfadi-Taufe wilde Männer jagen

Michelle Willi heisst bei der Pfadi «Iso». Meist würden Namen gesucht, die besonders gut zur Person und zum Charakter passten, erzählt sie. «Ich bin ausgeglichen. So ist man auf den Namen Iso gekommen», erzählt Michelle Willi. 

An der Pfadi-Taufe erhalten die Pfadfinderinnen und Pfadfinder ihren Pfadi-Namen. Jede Taufe verlaufe anders, sagt Michelle Willi. Sie habe an ihrer Pfadi-Taufe «wilde Männer» jagen müssen, teilt sie mit einem verschmitzten Lächeln mit. 

Bohrer oder Vorschlaghammer?

Auf dem Areal des Bundeslagers sind zig Helferinnen und Helfer zu sehen. Sie richten Zelte auf, karren Palletten an und schrauben Holzteile zusammen. Ganz am Ende des Rollfeldes des ehemaligen Militärflugplatzes ist die Crew des VKP anzutreffen. 

Die Sonne brennt auf den Asphalt. Während die katholischen Pfadfinder Material aus dem Transportbus ausladen, kommen sie ordentlich ins Schwitzen. Als nächstes sind 84 Löcher gefragt – für die Verankerung der Zeltkirche in den Asphalt. Mit dem Bohrer oder mit dem Vorschlaghammer? Heringe oder doch besser Armierungseisen? Unter den Pfadfindern entbrennt eine Diskussion, was dem Zelt den besten Halt gibt.

Logistische Herausforderungen

Die Meinungen sind geteilt. «Wir müssen es ausprobieren», sagt ein Pfadfinder. Für alle ist es nämlich eine Premiere: Niemand der Anwesenden hat bislang ein Jurten-Zelt aufgebaut. 

Der Präses des VKP, Thomas Boutellier, heisst bei der Pfadi «Barny». Das Bundeslager bedeute eine logistische Herausforderung nach der anderen. «Allein die Jurten-Kirche besteht aus 500 Teilen», sagt Thomas Boutellier. 

Auf dem Weltjugendtag die Jurten-Kirche entdeckt

Michael Weber (40), genannt «Pelé», leitet den VKP. An die dreiteilige Jurten-Kirche werde ein «Kohtenturm» angebaut – also ein rund sechs Meter hoher Zeltturm, erklärt er. Der Turm dürfte jenem der Pfadi-Funker in unmittelbarer Nachbarschaft Konkurrenz machen.

Eine Jurten-Kirche auf dem Bundeslager – das ist eine Premiere. Die Schweizer Pfadi kannte die Jurten-Kirche lange Zeit nicht. Auf dem Weltjugendtag 2005 in Köln machte der VKP zum ersten Mal Bekanntschaft mit einer Jurten-Kirche. Für das diesjährige Bundeslager hat der VKP die Jurten-Kirche eigens angeschafft. Die Landeskirchen haben zur Finanzierung der 15’000 Franken beigetragen. 

Mandalas und Räucherstäbchen

Gottesdienste sind aber nur ein Aspekt, der unter dem schwarzen Zeltdach Platz finden wird. «Wir machen ein Walk-in-Angebot», sagt Thomas Boutellier. «In der Kirche kann man sich zum Beispiel über die Weltreligionen informieren. Wer sich für den Buddhismus interessiert, kann etwa Mandalas malen. Und den Hinduismus machen wir über Räucherstäbchen erfahrbar. Wir schaffen einen Ort für Begegnungen.» 

Die Kirche soll auch den gestressten Leiterinnen und Leitern der Pfadi eine Ruhe-Oase ermöglichen. Bei Gratis-Kaffee können sie sich entspannen und Kraft tanken. 

«Animation Sprituelle»

Kerstin Wesner ist Vorstandsmitglied im VKP. «Die offene Kirche eröffnet eine spirituelle Dimension. Das ist Teil der Pfadi-Pädagogik, bei der es um eine ganzheitliche Entwicklung geht», sagt Wesner. «Es ist kein konfessionell gebundenes Angebot. Wir sind für alle da.» 

Kerstin Wesner heisst bei der Pfadi «Dolce». Sie informiert über die «Animation Sprituelle»: In allen 23 Quartieren auf dem Bundeslager gibt es Equipment-Koffer. Darin befinden sich halbierte Nussschalen. 

Nussschalen wie Glückskekse

«Die Jugendlichen können einen Wunsch aufschreiben, ihn in die Nussschale stecken und diese zukleben», sagt Thomas Boutellier. «Die Nussschale kann man dann wie einen Glückskeks verschenken.»

Plötzlich kommt Hektik auf. Ein Pfadfinder namens «Biber» ist mit Bohrer, Armierungseisen und Vorschlaghammer zurück. Er bohrt die ersten Löcher in den Asphalt. Dann klopfen die Helferinnen und Helfer die Heringe in das Gelände. Ein wenig später können die ersten zwei Jurten-Plachen auf Stützen gestellt und aufgespannt werden. Pfadfinderin Dolce sagt begeistert: «Die Kirche soll ja beweglich sein. Dank der Jurten-Kirche kann sie auch überall stattfinden.»

Unvergessliche Momente

Auch wenn der Kirchturm am Abend noch nicht steht: Die freiwilligen Helferinnen und Helfer können den offiziellen Beginn am Samstag kaum erwarten. Sie freuen sich auf die vielen Kinder und auf unvergessliche Momente. Und zum ersten Mal auf ein Bundeslager mit einer Jurten-Kirche.

Später teilt Thomas Boutellier mit: Der Kirchturm könne nicht aufgebaut werden – der Wind sei zu stark. Doch auch ohne Kirchturm steht fest: Die Pfadis wollen mit dem Bundeslager hoch hinaus.


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