Doris Reisinger: Fragt die Täter und Vertuscher, ob sie noch katholisch sind

Manchmal werden Missbrauchsopfer gefragt, ob sie noch katholisch sind. Doris Reisinger findet diese Frage daneben: «Fragt das doch bitte die Täter und Vertuscher.» Nach ihrem Vortrag am Montagabend in Luzern erhielt sie eine empörte Reaktion.

Jacqueline Straub

Doris Reisinger wurde als Nonne missbraucht. Sie kämpft gegen Missbrauch und Vertuschung in der katholischen Kirche – und hat dafür am Sonntag in Luzern den Herbert-Haag-Preis erhalten.

Am Montagabend hielt sie an der Uni Luzern einen Vortrag. Nach dem Vortrag habe sie eine «empörte Reaktion» erreicht, schreibt Doris Reisinger auf Twitter. «Nicht wegen dem, was ich über die Kirche gesagt hatte, sondern weil ich nebenbei die Rolle von säkularen Ermittlungsbehörden in der Vertuschung von Missbrauchsfällen angesprochen hatte.»

Reisinger führt auf Twitter aus: «Ich musste mir von einer Person von der Staatsanwaltsakademie anhören, das wäre ein ungeheurer Vorwurf, der geeignet sei, das Vertrauen in die Justiz zu untergraben. Es wäre einfach falsch, was ich da gesagt hätte, ich dürfe und solle in Zukunft nicht mehr so sprechen.»

Reisinger vermutet, dass es bei den Strafverfolgungsbehörden eine «ähnliche Gefühlsgemengelage» gebe wie in den Kirchen: «Man mag einfach nicht glauben – und gerade die ‘Aufrechten’ nicht –, dass die eigene Organisation, der eigene Berufsstand anfällig für Korruption ist.»

Als Beispiel nannte sie: «Das reicht von einem unterbewussten Bias ‘gut katholischer’ bayerischer Ermittlungsbeamten (Münchner Gutachten) bis hin zu Fällen wie Mount Cashel in Kanada, wo es einen Deal zwischen der Provinzregierung von Neufundland und dem katholischen Orden gab.»

Auch bittet Doris Reisinger ihre Twitter-Follower darum: «Fragt bitte nicht mehr uns, ob wir noch katholisch sind. Fragt das doch bitte die Täter und Vertuscher.»

Nicht Betroffene «müssten sich dafür rechtfertigen (oder ‘bewundern’ lassen), dass ihnen kirchliche Beheimatung etwas bedeutet, sondern Verantwortungsträger müssen erklären, warum sie es Gläubigen, und gerade Betroffenen, so schwer machen, eine kirchliche Beheimatung zu finden.»

Zugleich fügt sie an: «Es gibt realistischerweise kein Überleben» der katholischen Kirche, denn die «Struktur ist durch und durch dysfunktional.» Dennoch müsse es eine Zukunft für Menschen geben, die eine kirchliche Beheimatung suchen und brauchen. «Auch mitten in und nach dem Zusammenbruch» der katholischen Kirche.


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