Bischof Joseph Bonnemain: «Frustration ist für mich ein Beweis, dass wir Kirche sind und Kirche bleiben werden»

Der Bischof von Chur, Joseph Bonnemain, hat sich am Sonntag mit zwölf Jugendlichen des künftigen Jugendrates getroffen. Auf die Frage nach der Missio für geschiedene und queere Menschen antwortet er vage. Den Jugendrat sieht er als «frische Quelle der Hoffnung».

Jacqueline Straub

Sie haben sich gestern mit dem Jugendrat in Zürich getroffen. Was sind Ihre Eindrücke?

Bischof Joseph Bonnemain*: Es war eine frische Quelle der Hoffnung für mich. Die jungen Menschen haben den ganzen Tag höchst motiviert und intensiv gearbeitet. Was ich dabei wieder gemerkt habe: Die jungen Menschen sind bereit, die Kirche voranzubringen. Sie sind nicht voreingenommen. Sie haben noch eine unbeschwerte Art, etwas in Bewegung zu setzen, ohne bereits alles vorbestimmt zu haben.

«Wir brauchen Botschafterinnen und Botschafter, damit überall im Bistum ein Umdenken zustande kommt.»

Was haben Sie den Jugendlichen mit auf den Weg gegeben?

Bonnemain: Wie der Evangelist Johannes schreibt: Gott ist die Liebe. Und alles andere steht an zweiter Stelle. Wir brauchen Botschafterinnen und Botschafter dieser Wahrheit, damit überall im Bistum ein Umdenken zustande kommt. Liebe heisst niemanden auszuschliessen und alle zu schätzen. Bis aber das ganze Bistum das verstanden hat, braucht es einen Kern – und das sollte der Jugendrat sein.

Spielen Sie damit auf konservative Gruppen im Bistum an, die dem synodalen Prozess skeptisch gegenüberstehen?

Bonnemain: Auch jenen, die keine Veränderung zulassen wollen, sollten wir uns öffnen, mit einer Haltung der unendlichen Liebe begegnen.

Wie funktioniert der Jugendrat?

Bonnemain: Das werden wir sehen (lacht). Die Jugendlichen haben sich gestern drei Stunden intensiv Gedanken gemacht, wie gross der Jugendrat sein soll und wie die Zusammensetzung aussehen kann. Es ist nicht in meinem Sinne, dem Jugendrat eine fixe Struktur vorzugeben. Er darf wachsen und sich entwickeln. Das Ziel ist es, bis Ostern bereits gewisse Themen zu besprechen. Ob ich dann wieder dabei sein werde, dürfen die Jugendlichen entscheiden.

Welche Themen haben Sie am Sonntag konkret besprochen?

Bonnemain: Wir haben alle neun Themenfelder des synodalen Prozesses besprochen. Die Jugendlichen haben ihre Anregungen und Forderungen formuliert. Dabei waren Transparenz der Entscheidungen und Beteiligung wichtige Themen.

«Die Liebe schliesst niemanden aus.»

Zum Start des synodalen Prozesses haben Jugendliche in Einsiedeln gesagt: Die Kirche sei «konservativ, homophob und frauenfeindlich». Wie lautet Ihre Antwort darauf?

Bonnemain: Meine Botschaft ist: Gott ist die Liebe. Und die Liebe schliesst niemanden aus. Doch die grosse Herausforderung ist, was wir unter Liebe verstehen.

Was verstehen Sie unter Liebe?

Bonnemain: Wie gesagt: Gott ist die Liebe und die vollkommene Liebe ist Gott. Nämlich das Wesen, welches ein liebender, ewiger Dialog zwischen den drei göttlichen Personen darstellt. Jede Person ist total aus sich selbst, frei von sich selbst, ganz im Anderen und restlos für ihn da. Eine Liebe, die versucht, selbst im Zentrum zu sein, ist eine billige Liebe.

«Es geht immer um den ganzen Menschen.»

Was heisst das konkret für Mitarbeitende, die eine Missio brauchen, aber geschieden oder queer sind?

Bonnemain: Das eigene Sein und die eigene Orientierung in den vielfältigen Seiten der eigenen Persönlichkeit gehören zur Identität des Einzelnen. Deswegen stellen sie keine Schwierigkeit betreffend Missio dar. Es geht immer um den ganzen Menschen. Wir dürfen einen Menschen nicht auf sein Empfinden reduzieren. Etwas anderes ist das Verhalten oder die Lebenspraxis. Jede und jeder, die oder der mit einer Missio – das heisst aufgrund einer offiziellen Sendung der katholischen Kirche – die Frohbotschaft verkündet, muss den Willen haben, kohärent mit dieser Frohbotschaft sein Leben zu gestalten.

Fordert die Jugend von Ihnen konkrete Änderungen im Bistum?

Bonnemain: Natürlich tut sie das. Wir müssen sehen, wie wir das umsetzen können.

Was bedeutet Ihnen die Jugend in der Kirche?

Bonnemain: Die Jugendlichen machen unsere Kirche lebendig – das schenkt mir grosse Hoffnung.

Haben Sie Befürchtungen?

Bonnemain: Nein. Die Kirche ist für mich nicht primär eine Institution oder Organisation, sondern die Kirche sind wir selbst. Wir können nicht aus uns selbst austreten. Wir bleiben Kirche. Sogar Frustration ist für mich ein Beweis, dass wir Kirche sind und Kirche bleiben werden.

* Bischof Joseph Maria Bonnemain (73) hat im Bistum Chur einen Jugendrat eingerichtet. Der neue Jugendrat des Bistums Chur soll nicht vom Bischof oder einer Fachstelle getragen sein, «sondern von den jungen Menschen, die sich – im Rahmen der Möglichkeiten eines in der Bistumsstruktur implementierten Rates – für die Anliegen, Fragen, Visionen etc. junger Menschen in der katholischen Kirche bzw. im Bistum Chur einsetzen und engagieren», schreibt das Bistum Chur in einer Medienmitteilung.


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