«Wir sind Ohr»-Umfrage: Kirche schliesst Frauen, LGBTQI+, Geschiedene und Jugendliche aus

Knapp 5400 Menschen haben sich an der «Wir sind Ohr»-Umfrage zum synodalen Prozess im Bistum Basel beteiligt. Nun liegen die Ergebnisse vor. Die Menschen fühlen sich von Papst Franziskus besser gehört als von Führungspersonen im Bistum Basel.

Raphael Rauch

«Ganze 77 Prozent stimmen der Aussage zu, dass Frauen in der katholischen Kirche nicht die gleichen Rechte erhalten wie Männer», schreibt das Meinungsforschungsinstitut «GFS Bern» in einer Studie für das Bistum Basel. Diese wurde am Donnerstag veröffentlicht

Auch Jugendliche werden ausgeschlossen

«Über 60 Prozent sehen LGBTQI+-Menschen und Geschiedene als aussen vorgelassen. Weiter sind 56 Prozent der Dialoggruppen der Auffassung, dass Jugendliche sich oft nicht zugehörig fühlen, da die kirchlichen Ausdrucksformen nicht auf sie zugeschnitten sind», heisst es in der Studie weiter.

Beim Zuhören schneidet Papst Franziskus besser ab als «Führungspersonen im Bistum Basel». 65 Prozent fühlen sich von «Führungspersonen im Bistum Basel» nicht gehört oder verstanden – 46 Prozent nicht von Papst Franziskus. 

«Enttäuschende oder verletzende Erfahrungen»

Als Hindernis, «besser aufeinander hören zu können», nennen 59 Prozent «enttäuschende oder verletzende Erfahrungen mit der Kirche». Für 55 Prozent erschwert das Zuhören, dass es «unumstössliche Wahrheiten» gebe, über die nicht diskutiert werden dürfe.

Hintergrund der Umfrage ist der synodale Prozess, den Papst Franziskus am 17. Oktober weltweit gestartet hat. 2023 diskutieren die Bischöfe in Rom darüber. 

Kirchenpolitische Dauerbrenner

Rom hatte zum synodalen Prozess zehn Themenfelder vorgegeben, aus denen das Bistum Basel 27 Fragen und die «Wir sind Ohr»-Kampagne entwickelt hatte – zusammen mit den Bistümern Chur und St. Gallen. Die Ergebnisse aus den anderen zwei Bistümern werden in den nächsten Wochen veröffentlicht.

Explizit wurde auch nach kirchenpolitischen Dauerbrennern gefragt. So lautete eine Frage: «Wo fühlen Sie sich in der Kirche (als Mann, Frau, Laie, Jugendlicher, queere Person etc.) nicht gehört?» Für die heissen Eisen haben sich die Menschen mehr interessiert als für Themenfelder, «die näher an der Synodalität selber sind», wie «GFS Bern» schreibt.

60 Prozent Frauen, 40 Prozent Männer machen mit

Zum Start des synodalen Prozesses hatte das Bistum Basel von einer «einzigartigen Chance», gesprochen, «sich in den weltweiten Diskurs über die Kirchenentwicklung einzubringen». Und: «Nur mit einer aktiven Teilnahme können Sie sich Gehör schaffen und Ihre Anregungen und Überzeugungen in den Prozess einbringen.»

Knapp 5400 Menschen sind im Bistum Basel dem Aufruf gefolgt, haben in Gruppen die Köpfe zusammengesteckt und bis zu 27 Fragen beantwortet. Gemessen an den rund eine Million Katholiken im Bistum Basel entspricht das 0.54 Prozent – allerdings war durch das zum Teil mehrstündige Diskutieren in Gruppen der Prozess deutlich aufwändiger als bei klassischen Meinungsumfragen.

Die Gruppen setzten sich laut «GFS Bern» aus 3202 Frauen und 2197 Männern zusammen – mit knapp 60 Prozent haben sich mehr Frauen an dem Umfrageprozess engagiert.

Wenig relevant fürs Kirche-Sein: Beichte und Kirchensteuern

Vor allem das Zugehörigkeitsgefühl wird laut Studie fürs Kirche-Sein als wichtig empfunden: «Die meisten Dialoggruppen kommen zum Schluss, dass das eigene Zugehörigkeitsgefühl darüber entscheidet, ob man zur Kirche gehört oder nicht (46%)», schreibt Studie. «Demnach sind alle Menschen, welche sich zugehörig fühlen, auch tatsächlich Teil der katholischen Kirche. Jeweils 44 Prozent knüpfen die Mitgliedschaft zur Kirche an das Sakrament der Taufe.»

Weiter heisst es: «Für die einen ist die römisch-katholische Taufe Voraussetzung, für andere hingegen spielt es keine Rolle von welcher Kirche die Menschen getauft sind. Weitere 41 Prozent ziehen die Grenze der Mitgliedschaft bei den christlichen Glaubensrichtungen.» Weder die Beichte noch das Bezahlen von Kirchensteuern würden als besonders relevant angesehen.

«Reformstau» wirkt «zunehmend entmutigend»

An der Basis werde der Glauben häufig viel stärker so gelebt, wie es den heutigen Lebensrealitäten und Wünschen der Gläubigen entspreche. «Das steht immer wieder auch im Widerspruch zur geltenden Doktrin.» 

Die Studie spricht auch von einer gewissen Frustration, weil sich die Gläubigen «durch die fehlende Reflexion und Handlung von Seiten der Kirche nicht ernst genommen» fühlten und «Zuhören alleine nicht ausreichend sei». Der «Reformstau» wirke «zunehmend entmutigend» und führe zu Resignation.

Rückbesinnung auf traditionelle Werte

Doch auch konservative Gruppen fühlten sich nicht gehört, schreibt die Studie: «Allen Wünschen nach einer moderneren und progressiveren Kirche zum Trotze gibt es ganz klar auch Stimmen, die sich wieder eine stärkere Rückbesinnung auf traditionelle Werte und Normen wünschen. Und für viele ist es zunehmend so, dass sie sich als gläubige und bekennende Katholiken selber marginalisiert fühlen.»

Die Ergebnisse der Umfrage werden nächste Woche in einer synodalen Versammlung in Basel diskutiert. Daraus wird ein Bericht erstellt, der erst auf nationaler Ebene in der Bischofskonferenz diskutiert wird und dann nach Rom geht.


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