Martin Werlen: In der Amtszeit von Papst Franziskus ist alles zu spät – und trotzdem bewegt sich vieles

Am Mittwoch gab es ein Novum im Vatikan: Ein Laie und eine Ordensschwester haben die Gäste vorgestellt und die Lesungen vorgetragen. Schade, dass solche Änderungen nicht mit einem Bedauern über das Bisherige eingeführt werden. Ein Gastkommentar.

Martin Werlen*

Papst Franziskus hat vor bald neun Jahren eine Führungsaufgabe inmitten unzähliger Baustellen übernommen. Unter seinen Vorgängern war es über Jahrzehnte nicht erlaubt, Baustellen zu benennen oder Vorschläge für den Weiterbau zu entwerfen, ohne dafür bestraft zu werden. 

Zum Scheitern verurteilt?

Wer in einer solchen Situation die Verantwortung übernimmt, kann eigentlich nur scheitern. Alles müsste gleichzeitig angepackt werden. Aber das ist nicht möglich. Die Priorisierung wird von verschiedenen Leuten unterschiedlich, ja sogar gegenteilig eingestuft. Wie weiter?

Mich beeindruckt, dass Papst Franziskus dabei die Ruhe bewahrt und Schritt für Schritt umsetzt. Sein grosses Verdienst ist gewiss, dass er eine neue, vom Evangelium geprägte Kultur ermöglicht und fördert. Das geschieht nicht per Schalterdrehung, sondern braucht Zeit und Geduld. Dabei sind grosse und kleine Zeichen wichtig. 

Synodale Prozesse

Ein grosses Zeichen ist für mich die Zulassung und Forderung synodaler Prozesse. Die latente Angst vor dieser wesentlich zur Kirche gehörenden Dimension macht sich immer wieder manifest bemerkbar. Wir können hoffen, dass sich Papst Franziskus davon nicht zu sehr beeindrucken lässt.

Ein kleines Zeichen wurde bei der Generalaudienz am vergangenen Mittwoch gesetzt – leider von einer spontanen inhaltlichen Ergänzung in den Schatten gestellt. Erstmalig haben nicht nur Monsignori die Gäste vorgestellt und die Lesungen vorgetragen. Schade, dass solche Änderungen nicht mit einem Bedauern über das Bisherige eingeführt werden.

«Solches Getue passte in das weltliche Getue früherer Fürstenhöfe»

Wie hätten wir aufgehorcht, wenn Papst Franziskus gesagt hätte: «Wie ihr wohl bemerkt habt, haben bisher nur schwarz gekleidete Männer hier die Gäste vorgestellt und die Lesungen vorgetragen. Ist das nicht traurig? Solches Getue passte in das weltliche Getue früherer Fürstenhöfe, aber nicht in eine katholische Kirche, die im 21. Jahrhundert das Evangelium verkündet. Dieser alte Zopf ist ab heute abgeschnitten. Es gibt noch viel Ähnliches, an das wir uns hier in der Abgeschiedenheit gewöhnt haben. Wir werden noch einiges so ändern, dass es Gott gefällt, auch wenn wenige Leute entsetzt aufschreien werden.»

Wie sehr sich die Kultur in der Kirche seit Papst Franziskus verändert hat, möchte ich anhand zweier Buchprojekte zeigen. Vor einem Jahr erschien das Buch «… weil Gott es so will: Frauen erzählen von ihrer Berufung zur Diakonin und Priesterin», herausgegeben von der Benediktinerin Philippa Rath. Jetzt kommt eine Replik heraus: «Frauen ins Amt! Männer solidarisieren sich», herausgegeben von Schwester Philippa Rath und Burkhard Hose.

Alles zu spät?

Ein solches Buch wäre vor zehn Jahren nicht denkbar gewesen. Unter den Autoren sind: ein Kardinal, Bischöfe, Weihbischöfe, Ordensobere, Generalvikare, Regenten, Theologieprofessoren, Dekane, Seminaristen, Mitarbeitende in Ordinariaten. In der Amtszeit von Papst Franziskus ist alles zu spät – und trotzdem hat sich vieles bewegt. Gott sei Dank!

* Der Benediktiner Martin Werlen (59) war von 2001 bis 2013 Abt des Klosters Einsiedeln und des Klosters Fahr. Seit 2020 steht der Walliser der Einsiedler Propstei St. Gerold im Grossen Walsertal in Vorarlberg vor. 


Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

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