«Und sie dreht sich doch!» – Kirche und Wissenschaft können nicht ohneeinander

Am 8. Januar vor 380 Jahren starb Galileo Galilei im Hausarrest. Erst 1992 rehabilitierte ihn die römisch-katholische Kirche formal. Bis heute fordern Forscher wie Galilei oder Judith Butler mit ihren Theorien und Erkenntnissen die kirchliche Obrigkeit dazu auf, ihre Sichtweise zu überdenken – und das ist gut so!

Natalie Fritz

Wir Menschen sind Gewohnheitstiere. Wir mögen Kategorien und Schubladen, weil uns die Welt durch sie weniger komplex scheint. Gut und Böse, schwarz und weiss, Mann und Frau. Was sich nicht leicht einordnen lässt, übersehen wir lieber. Komplexität macht uns nervös. Lieber arrangieren wir uns mit scheinbar «natürlichen» Tatsachen und Verhaltensweisen. Sie werden ja meist schon seit Jahrhunderten überliefert. Wenn aber neue Erkenntnisse diese Tatsachen und Praktiken hinterfragen, kann dies das Weltbild nachhaltig erschüttern und Machtverhältnisse demontieren.

Unbequeme Erkenntnisse, inklusivere Gesellschaft?!

Als etwa die US-amerikanische Philosophin Judith Butler in den 1990er Jahren von biologischem (sex) und sozialem Geschlecht (gender) zu sprechen beginnt, stösst sie auf viel Kritik und Unverständnis. Mann und Frau – das ist Biologie! Und auch die Bibel spricht von zwei Geschlechtern. Das hat nichts mit Schriftauslegung oder mit angeeigneten Verhaltensmustern zu tun, oder?! Dass wir uns heute mit Kategorien wie «Geschlecht» und dem, was dazwischen liegt, beschäftigen, ist auch Butlers Überlegungen zu verdanken. Ihre wissenschaftliche Arbeit hat die Gesellschaft und letztlich auch die katholische Kirche bewegt. Das ist nicht selbstverständlich, wie die Geschichte zeigt.

Nicht alles lässt sich mit der Bibel erklären, meint Galilei

Als der Florentiner Universalgelehrte Galileio Galilei 1632 seine astronomisch-weltanschauliche Abhandlung «Dialogo di Galileo Galilei sopra i due massimi sistemi del mondo Tolemaico e Copernicano» veröffentlicht, rechnet er wohl bereits mit möglichen Konsequenzen.

Schliesslich hat man ihn bereits 1616 von kirchlicher Seite darauf hingewiesen, dass es gefährlich sei, das kopernikanische System zu verteidigen. Man legt ihm nahe, dieses heliozentrische Weltbild nur als Hypothese zu diskutieren. Doch der Wissenschaftler nimmt diesen Rat nicht an. Galileo ist überzeugt davon, dass Glaube und Wissenschaft zwei verschiedene Dinge sind. Mit der Bibel allein lässt sich aus seiner Warte die Welt nur bedingt erklären. So schreibt er 1615 an Christine, Grossherzogin von Lothringen:

«…die Absicht des Heiligen Geistes ist, uns zu lehren, wie wir in den Himmel kommen, nicht wie der Himmel geht.»

Galilei 1615

Falsche Sicherheit

Vielleicht wiegt sich Galilei in falscher Sicherheit, als er den «Dialogo» 1632 veröffentlicht – schliesslich ist er mit Papst Urban VIII. befreundet und hat eine vorläufige Druckerlaubnis der Kirche.

Zudem geben ihm die Erkenntnisse recht: mit Hilfe seines Fernrohrs kann Galilei beweisen, dass das kopernikanische Weltbild korrekt sein muss. Die Erde umkreist die Sonne, nicht umgekehrt. Und das schreibt er auch so im «Dialogo», der auf Italienisch erscheint. Galilei wird kurze Zeit später vor das Inquisitionsgericht zitiert. Die Publikation wird gestoppt. Galilei wird wegen Häresie zu lebenslanger Haft verurteilt. Dem Scheiterhaufen entkommt er nur, weil er seinen Erkenntnissen abschwört.

Die Erde und die Kirche stehen still…

Aber warum stört sich die katholische Obrigkeit 1632 dermassen an den astronomischen Erkenntnissen des Forschers? Nun, in erster Linie korrumpieren sie die Autorität der katholischen Kirche. In einer Zeit der Rekonstitution der katholischen Kirche – die Reformation war in vollem Gange – mussten Zweifel an ihrer Deutungshoheit im Keim erstickt werden. Die Tatsache, dass Galileis Abhandlung auf Italienisch erscheint und mittels Buchdrucks rasch vervielfältigt werden kann, setzt die katholischen Machthaber unter Druck. Bislang rechtfertigte die Kirche das geozentrische Weltbild mit mehreren Bibelstellen, besonders aber mit Josua 10, 12-14. Dort lässt Gott die Sonne und den Mond stillstehen. Daraus schloss man, dass sie sich üblicherweise um die Erde bewegen. Nun wird durch Galilei am christlichen Weltbild gerüttelt, die ewige Wahrheit hinterfragt und mit ihr diejenigen, die sie vertreten.

Der gläubige Empiriker

Die Verurteilung Galileis ist insofern tragisch, als dass sich der Forscher selbst stets als gläubiger Mensch versteht. Galilei sieht keinen Widerspruch darin, gläubig zu sein aber die Bibel in naturwissenschaftlichen Belangen nicht wortgetreu auszulegen. Viele wichtige Kirchenmänner sind damals naturwissenschaftlich gebildet und interessiert. Seinem Freund, dem Benediktiner und Naturwissenschaftler Benedetto Castelli schreibt er 1613:

«Wenn schon die Schrift nicht irren kann, so können doch einige ihrer Erklärer und Deuter in verschiedener Form irren.»

Galilei, 1613

350 Jahre später erklärt Papst Johannes Paul II. vor der Vollversammlung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, dass es sich bei der Ablehnung von Galileis Erkenntnissen um ein Versagen der damaligen Theologen handelte: «Die Mehrheit der Theologen vermochte nicht formell zwischen der Heiligen Schrift und ihrer Deutung zu unterscheiden, und das ließ sie eine Frage der wissenschaftlichen Forschung unberechtigterweise auf die Ebene der Glaubenslehre übertragen.»

Bewegt sie sich doch, die Kirche?

Es gibt Hinweise darauf, dass Galilei versucht hat, den Papst bei seinen vielen Audienzen von der Richtigkeit des heliozentrischen Weltbildes zu überzeugen. Wie sähe die katholische Kirche wohl heute aus, hätte Urban VIII. sich im 17. Jahrhundert zu einer gedanklichen Öffnung durchringen können? Wäre die Frauenordination heute Alltag, weil sich aus der Bibel allein keine eindeutige Ablehnung derselben folgern lässt? Hätten Menschen jeglicher sexuellen Orientierung die Möglichkeit, in der katholischen Kirche das Ehesakrament zu empfangen, weil sexuelle Vorlieben eine biologische und letztlich schöpferische Tatsache sind? Und wie viele Menschen wären dem Scheiterhaufen entkommen, wenn Katastrophen nicht mit Magie und bösen Mächten erklärt worden wären?

Wissenschaft und Kirche haben viele Berührungspunkte, brauchen und beeinflussen sich auf allen Ebenen. So stellen sich in vielen Wissenschaftsdisziplinen ethische und moralische Fragen: Was bedeutet Sterbehilfe? Wie lässt sich Reproduktionsmedizin rechtfertigen? Was ist Leben und wann beginnt es? Was bedeutet Gleichberechtigung?… Die Menschheit entwickelt und bewegt sich weiter und mit ihr auch die Kirche – eppur si muove (und sie bewegt sich doch)!


Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/und-sie-dreht-sich-doch-warum-kirche-und-wissenschaft-nicht-ohneeinander-koennen/