175 Jahre Bistum St. Gallen: Drei Frauen suchen Lebenshilfe in den Grossen Exerzitien

Eine Stütze während der Chemo, Gelassenheit in der Erziehung und den Glauben vertiefen. Drei Frauen erzählen, weshalb und wie sie sich an den Grossen Exerzitien beteiligen. Sie sind Teil des 175-Jahr-Jubiläums des Bistums St. Gallen.

Regula Pfeifer

Rosette Scherer (59) durchlebt eine schwierige Phase. Sie steckt mitten in einer Chemotherapie. Und die raubt ihr jeweils alle Kraft. Zudem hat sie seit dem Start der Grossen Exerzitien am 16. November zweimal die Grippe erwischt.

«Die Grossen Exerzitien helfen mir, durch die Zeit zu gehen.»

Rosette Scherer

Und doch gibt sie nicht auf. Denn die Grossen Exerzitien sind ihr eine Stütze. «Sie helfen mir, durch die Zeit zu gehen.» Gemeint ist die Zeit der Chemotherapie. Die Exerzitien hätten ihr «eine klare Ausrichtung» und «einen Weg» eröffnet, sagt Rosette Scherer. Sie sei ruhiger und gelassener geworden.

Tägliches Zeitfenster für Exerzitien

Sie nimmt sich vor, täglich ein Zeitfenster für die Exerzitien freizuhalten. Dann geht sie in die Stube, setzt sich an den Tisch am Fenster, zündet eine Kerze an und versucht, den Körper wahrzunehmen und in die Stille zu kommen.

Gelingt ihr das, liest Rosette Scherer den Text des Tages. Der befindet sich in der Publikation «Gemeinsam erfahren wir Gott. Grosse Exerzitien im Alltag, November 2021 – Juni 2022», den das Bistum St. Gallen zu seinem 175-Jahr-Jubiläum an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser ignatianischen Glaubensübung verteilt hat.

«Wenn man ins Gebet geht, versteht man das Gelesene plötzlich.»

Nach dem Lesen schliesst Rosette Scherer die Augen. Die Gedanken, die ihr nun durch den Kopf gehen, schreibt sie auf. «Wenn man ins Gebet geht, versteht man das Gelesene plötzlich», sagt Scherer. «Es klingt auf einer anderen Ebene an.»

Doch manchmal kommt Rosette Scherer nicht zur Ruhe. Dann beendet sie die Übung vorzeitig. Diese Misserfolge bereiteten ihr anfänglich Mühe. Geholfen hat ihr der Austausch mit ihrer Kollegin, die bereits exerzitienerfahren ist. Diese habe ihr geraten, die Hürde nicht allzu hoch zu stecken.

Wer an den Grossen Exerzitien teilnimmt, erklärt sich bereit, die eigenen Erfahrungen regelmässig mit derselben Bezugsperson in der Gruppe zu besprechen. Und einmal im Monat trifft sich die ganze Gruppe. Fünf Gruppen sind es im Bistum St. Gallen.

Beide Treffen empfindet Rosette Scherer als hilfreich und bereichernd. «Die monatlichen Treffen führen zu einem vertieften Verständnis darüber, wie die Exerzitien umzusetzen sind», sagt sie. Sie schätzt auch das Anfangsritual, das die Beteiligten zusammenbringt.

«So wird der Labyrinth-Weg langsam erleuchtet.»

«Wir sitzen im Kreis, jede und jeder hat eine Kerze. Diese bringt er oder sie in die Kreismitte und setzt sie ins Labyrinth, das da ausgelegt ist. So wird der Labyrinth-Weg langsam erleuchtet. Das ist einfach, kraftvoll, inspirierend.» Gut sei auch zu wissen: In anderen Städten passiert dasselbe. «Wir sind gemeinsam auf dem Weg.»

Rosette Scherer arbeitet mittags in der Tagesbetreuung Halden, einem Hort für Schulkinder in St. Gallen. Sie hat Meditationserfahrung. «Exerzitien sind aber Neuland für mich», sagt Scherer. Seit Jahren hat sie nach christlichen mystischen Erfahrungen gesucht. Gefunden hat sie sie nun: bei den Grossen Exerzitien.

Birgit Schneider Brzovic (44) beteiligt sich ebenfalls an den Grossen Exerzitien in St. Gallen, wohnt aber ausserhalb der Stadt. Sie hat bereits Exerzitien-Erfahrung. Vor zwei Jahren habe sie Schweigeexerzitien für Frauen unter der Leitung von Hildegard Aepli besucht, sagt sie. Der Kurs fand im vorarlbergischen Batschuns statt.

«Der Gebetsweg und die damit einhergehende Verbundenheit mit Jesus helfen mir bei kleineren und grösseren Herausforderungen im Alltag», sagt Schneider. Die Mutter von Jugendlichen hat darin ein «tragendes Fundament» für den Tag gefunden. «Ich bin viel gelassener in Erziehungsfragen», sagt sie.

Schneider möchte so auch herausfinden, wie sie künftig ausser Haus tätig werden will. Die ausgebildete Primarlehrerin und Chorleiterin hat bis letzten Sommer in einer Pfarrei mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet und auf Weihnachten hin einen Projektchor geleitet. Nun will sie Klarheit gewinnen, «wo, wie und in welchem Umfang» sie künftig erwerbstätig sein will.

Das Gebet mit einem Waldlauf verlängern

Für die Exerzitien hat sie zuhause im Bürozimmer eine Ecke eingerichtet. Da hat es eine Kerze, ein Kreuz, einen Gebetsschemel, Papier und Stifte für Notizen. «Wenn immer möglich, setze ich mich am Vormittag hin, wenn das Haus leer ist», sagt sie. Morgens nimmt sie sich für die Übung 20 bis 50 Minuten Zeit, abends rund drei bis zehn Minuten. «Manchmal verlängere ich den morgendlichen Gebetsweg noch mit einem Waldlauf», sagt sie.

«Es ist faszinierend, wie die ignatianischen Übungen aufeinander aufbauen, so dass man immer mehr in die Tiefe geht», sagt Schneider. Das Ganze sei nicht ein Meditieren zum Selbstzweck, sondern münde «in ein Tätigwerden für die Mitmenschen».

Ein eigentlicher Exerzitien-Profi ist die dritte Beteiligte. Armella Häne (74) bietet selbst seit sieben Jahren dreiwöchige Exerzitien im Alltag an, dies in ihrer Pfarrei in Rorschach. Zudem leitet sie siebentägige Fastenkurse im Haus Gutenberg im liechtensteinischen Balzers.

Die ausgebildete Pflegefachfrau hat sich zur Lehrerin Krankenpflege, zur Feldenkrais-Pädagogin und zur Transaktionsanalytikerin weitergebildet. Das ist eine besondere Form der Persönlichkeitsanalyse. Sie ist zudem im Pfarreirat und im Kirchenchor von St. Kolumban in Rorschach aktiv.

Blick zurück aufs Leben

An den Grossen Exerzitien beteiligt sich Armella Häne aus der Sehnsucht heraus, ihren Glauben zu vertiefen. Wie die anderen Beteiligten nimmt sie sich morgens und abends dafür Zeit.

«Das ignatianische ‘Gebet für die kommenden Wochen’ gibt mir Orientierung und Halt», sagt Häne. «Ich blicke zurück auf mein Leben und meine Vergangenheit und bin dankbar für alles, was mir geschenkt worden ist.»

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