Was können wir von Franziskus und Klara fürs neue Jahr mitnehmen?

Neues Jahr, neues Glück. Was können wir von Franziskus und Klara lernen? Viel, findet der Franziskaner Paul Zahner (55). Warum er keinen Führerausweis hat – und welche spirituellen Impulse er fürs neue Jahr mitgibt.

Raphael Rauch

Was können wir von Franziskus und Klara fürs neue Jahr mitnehmen – ganz konkret?

Paul Zahner*: Das Leben besteht aus Offenheit für andere Menschen. Nicht ich muss alles selber genau wissen, sondern andere dürfen mich auf Wesentliches hinweisen und in jeder Begegnung mit anderen kann ich Neues lernen.

«Als grüner Franziskaner wollte ich auf diese Umweltbelastung verzichten.»

Für viele junge Menschen steht die Klimafrage im Zentrum. Was lernen wir aus dem franziskanischen Leben in der Klimakrise?

Zahner: Die Natur, die Schöpfung, das Klima hat einen sehr hohen Wert für die Welt und auch für unser persönliches Leben. Franziskus lebt in der Schöpfung und lernt von der Schöpfung, etwa von den Tieren ganz Wesentliches. Das war der Grund, warum ich seit meiner Jugend nie Auto gefahren bin. Als grüner Franziskaner wollte ich auf diese Umweltbelastung verzichten und fuhr und fahre Bahn und Bus. Das ist nicht immer einfach.

Schaffen Sie’s trotzdem ohne Führerausweis?

Zahner: Ein Priester muss Autofahren, denken die Leute. Aus ökologischen Gründen kann ich auch darauf verzichten und fahre mit dem ÖV. Natürlich bin ich manchmal sehr dankbar, wenn mich jemand mit dem Auto mitnimmt, da gewisse Verbindungen gar nicht anders gefahren werden können und ich doch Dienste für Menschen tun möchte. Ich nehme dabei viel mehr Zeit für meine Fahrten in Kauf, als das mit dem Auto nötig wäre. Ich bewundere die Klimajugend und hoffe, dass junge Leute ebenfalls versuchen, ökologisch zu fahren und zu leben – und nicht nur davon reden. Aber ich weiss, dass dies nicht leicht ist.

«Das Bistum Chur ist tief gespalten und es wäre wichtig, die Mitte in Christus wieder neu zu finden.»

Sie wohnen in Näfels GL. Was machen die Franziskaner fürs Bistum Chur?

Zahner: Wir Franziskaner wollen nicht zu einer Seite des Bistums dazugehören, sondern versuchen die Mitte zu halten, indem wir die Liturgie sehr gerne feiern und auch versuchen, für die materiell oder innerlich Armen da zu sein. Das Bistum Chur ist tief gespalten und es wäre wichtig, die Mitte in Christus wieder neu zu finden. Dann werden alle Dienste wichtig und wertvoll. In der Seelsorge versuche ich selber einfach für die Menschen da zu sein. Das ist manchmal ausserordentlich anstrengend.

«Ich habe bei den Armen gelernt, was Leben ist.»

Wo sehen Sie dringenden Handlungsbedarf?

Zahner: Franziskus spricht gerne von der Tiefe und von der Weite. Beides gehört ganz und gar zusammen. Die Tiefe ist die sehnsüchtige Suche nach Jesus Christus. Ein Leben ohne kontemplative Leidenschaft verliert das Christsein immer wieder neu. Diese Leidenschaft zu suchen muss in die Mitte unseres Lebens gehören. Wir bieten dazu einzelne Möglichkeiten an, die in die Tiefe führen, etwas Einzelexerzitien. Aber es braucht auch die Weite.

Wo finden Sie Weite?

Zahner: Die Begegnungen mit den Armen in Zürich waren mir immer unglaublich wertvoll. Die Situationen mit den Armen riefen mich dauernd zur Umkehr und zum Neubeginn. Ich habe bei den Armen gelernt, was Leben ist. Ich habe das Evangelium im Zuhören gegenüber Menschen am Rande der Gesellschaft gelernt. Diese Weite ist eine immer neue Gotteserfahrung.

Besteht hier nicht die Gefahr, Armut zu romantisieren?

Zahner: Das ist eindeutig eine sehr grosse Gefahr. Begegne ich aber Menschen am Rande so wie sie gerade sind, verfalle ich dieser Gefahr nicht. Diese Armen wollen unbedingt Geld ausleihen, den Hund in ihrem Zimmer übernachten lassen, rufen menschenfeindlich gegen Ausländer oder Frauen aus und so weiter. Wenn ich die Grenzen der Menschen erlebe, zerfällt meine Romantisierung der Armut.

Ist Wohlstand und Jesus-Nachfolge ein Widerspruch?

Zahner: Als ich jung war, war ich überzeugt, dass die Menschen Gott aus Leidenschaft suchen, immer wieder neu. Heute weiss ich, dass Wohlstand diese Leidenschaft an den Rand drängen kann und Menschen auf das Geld und die Einnahmen schauen und nicht auf den Sinn ihres Lebens. Oft verdrängt so der materielle Wohlstand die Suche nach der Sehnsucht Jesu. Trotzdem kann sie immer wieder neu aufbrechen und ich kann in der Begegnung mit Menschen und mit Jesus plötzlich eine völlig neue Tiefe erleben.

Papst Franziskus ist letztes Jahr in den Irak geflogen: «Fratelli tutti». Ist der Dialog mit dem Islam für Sie ein Thema?

Zahner: Der Heilige Franziskus begegnet dem Sultan Melek-al-Kamil im Jahre 1219 und lernt von ihm sehr viel für sein eigenes Leben – etwa, dass das regelmässige Gebet der Muslime sehr wichtig ist und auch wir Christinnen und Christen von Muslimen das regelmässige Gebet lernen können. Daraus entstand das Gebet des «Engel des Herrn», für das drei Mal am Tage die Kirchenglocken geläutet werden. Diese Regelmässigkeit hat der Heilige Franziskus nicht aus der christlichen Tradition, sondern aus der islamischen Tradition geschöpft.

Was heisst der Dialog mit dem Islam für Sie persönlich?

Zahner: Ich lerne vom Islam. In einem Palliativhospiz hatte ich tiefe Gespräche mit einem Muslim über die 99 Namen Allahs, die oftmals mit der islamischen Gebetskette gebetet werden. Sie sind nahe dem Lobpreis Gottes des heiligen Franziskus. Offensichtlich gehen sie von einer ähnlichen Gotteserfahrung aus und kennen auch den geheimnisvollen 100. Namen Allahs nicht genau. So weitete sich mein Blick auf die innere Tiefe der Religionen.

* Der Franziskaner Paul Zahner (55) stammt aus Kaltbrunn SG und lebt in Näfels GL. Er ist «Priester, Guardian, Kustodierat, Kustodiesekretär, Moderator der Werkstatt Franziskanische Forschung», wie auf der Website steht – und hilft in vielen Pfarreien aus, zur Zeit vor allem im Seelsorgeraum Glarus Süd.


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