Prozess im Vatikan erneut vertagt – Kritik an Strafverfolgung

Der Strafprozess um den vatikanischen Finanzskandal rund um Kardinal Giovanni Angelo Becciu ist am Dienstag erneut vertagt worden. Am Mittwoch wollen die Richter ihre Entscheidung bekanntgeben, ob das Verhalten der Strafverfolger hinsichtlich der Zeugenbefragung rechtens war.

Im Fokus steht die Befragung des Hauptzeugen und nicht angeklagten Alberto Perlasca.

Die Verteidiger hatten am Dienstag eine sofortige Herausgabe aller Beweismaterialien – darunter Videoaufnahmen von Perlasca – gefordert. Andernfalls könne der Prozess nicht fortgesetzt werden. Fraglich sei zudem, ob eine wohl ohne Anwälte durchgeführte Befragung Perlascas per se rechtens gewesen sei.

Die Strafverfolgung hatte zum Prozessauftakt Ende Juli die Herausgabe aller Video- und Audioaufnahmen zunächst zugesagt. Die von Richter Giuseppe Pignatone angegebene Frist zur Einreichung der Materialien liess Strafverfolger Alessandro Diddi, jedoch verstreichen. Begründung: Schutz der Persönlichkeitsrechte.

Seilziehen um Dokumente

Diddi verteidigte und entschuldigte am Dienstag sein Vorgehen. Die Audio- und Videoaufnahmen seien zu umfangreich und Elemente müssten herausgenommen werden, um die Beteiligten zu schützen. Ausserdem gebe es eine Abschrift, die bereits Teil der Prozessakte sei.

Der bislang grösste Strafprozess der vatikanischen Justiz war Anfang Juli angekündigt worden und hatte Ende Juli begonnen. Nach mehrstündiger Verhandlung wurde er jedoch am ersten Prozesstag auf Oktober vertagt, unter anderem um weitere Beweismaterialien einzubringen. Die Verteidiger hatten auch mangelnde Vorbereitungszeit beklagt.

Kardinal als Premiere

Die zehn Angeklagten sollen allesamt an dubiosen sowie äusserst verlustreichen Investitionen in eine Londoner Luxusimmobilie beteiligt gewesen sein. Mit Becciu sitzt zudem – infolge einer Rechtsanpassung durch Papst Franziskus im Frühjahr – erstmals ein Kardinal auf der Anklagebank.

Weitere Angeklagte sind unter anderem Beccius Sekretär Mauro Carlino, die Finanzmanager Gianluigi Torzi und Raffaele Mincione sowie die Sicherheitsberaterin Cecilia Marogna und der Schweizer Jurist Rene Brülhart. Die Vorwürfe reichen von Amtsmissbrauch, Veruntreuung und Geldwäsche bis hin zu Betrug und Erpressung.

Der Hauptzeuge Perlasca war viele Jahre Verwaltungsleiter der ersten Abteilung im Staatssekretariat. Er schloss im Auftrag Beccius und seines Nachfolgers Erzbischof Edgar Pena Parra erste Verträge mit den angeklagten Finanzmanagern Mincione und Torzi. Mittlerweile lebt er wieder in seinem Heimatbistum Como.


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