«Hört uns zu!» – Lautstarke Forderung nach neuem Sexualstrafrecht

Medienmitteilung

Bern. Von sexueller Gewalt Betroffene, Amnesty International und weitere Organisationen sowie Vertreter*innen politischer Parteien rufen die Rechtskommission des Ständerats auf, die Chance zu ergreifen sich für ein modernes Sexualstrafrecht auszusprechen, das nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehr als Vergewaltigung definiert.

Nach der Vernehmlassung zur Revision des Sexualstrafrechts behandelt am Dienstag, 31. August die ständerätliche Rechtskommission das Projekt. Nur einige Meter entfernt, auf dem Waisenhausplatz in Bern, versammeln sich gleichzeitig zahlreiche Betroffene, Aktivist*innen, Politiker*innen und Organisationen zur Aktion «Hört uns zu!».

«Vor zwei Jahren haben wir die Forderung nach einer umfassenden Reform des veralteten Vergewaltigungstatbestandes in der Schweiz lanciert. Aus einzelnen Stimmen wurde eine gesellschaftliche Bewegung. Heute sind wir eine breite Koalition, die Gerechtigkeit und ein modernes Sexualstrafrecht fordern – keine halben Sachen!», sagt Noemi Grütter, Frauenrechtsverantwortliche bei Amnesty Schweiz.

«Mehr als 50 Prozent der Betroffenen sexueller Gewalt, reagieren bei einem Übergriff mit einer Schockstarre; dies muss von den Mitgliedern der Rechtskommission endlich anerkannt werden. Das Gesetz muss die sexuelle Selbstbestimmung besser schützen und jetzt ein Zeichen setzen, dass sexuelle Gewalt in der Schweiz nicht toleriert wird», sagt Noemi Grütter.

In Folge der Ratifizierung der Istanbul-Konvention und aufgrund erschütternder Berichte zum Ausmass sexueller Gewalt gegen Frauen, haben mehrere europäische Länder angekündigt, dass sie die strafrechtliche Definition der Vergewaltigung neu formulieren wollen. In zwölf Ländern in Europa wird nicht-einvernehmlicher Sex bereits als Vergewaltigung anerkannt. Die Erfahrung zeigt: Die beantragte Reform führt nicht zu einer Umkehr der Beweislast. Die Unschuldsvermutung bleibt unangetastet. Es ist weiterhin an der Staatsanwaltschaft zu beweisen, dass die beschuldigte Person ohne Einwilligung des Opfers gehandelt hat.

Quotes von unterstützenden Organisationen, Betroffenen und Politiker*innen

«Die Zeiten ändern sich, also soll sich auch die Gesetzgebung ändern. Es ist an der Zeit, ein klares Zeichen zu setzen und zu zeigen, dass unsere Gesellschaft keine Art sexueller Gewalt toleriert.» Sibel Arslan, Nationalrätin, Grüne Partei

«Wenn ein Opfer aufgrund eines Angriffs nicht mehr in der Lage ist, ein Nein zu äussern, läuft die Widerspruchsregelung ins Leere – nur mit der Zustimmungsregel wird das Selbstbestimmungsrecht effektiv gewahrt.» Susann Vincenz Stauffacher, Präsidentin FDP-Frauen

«Opfer von Vergewaltigungen sind oft nicht in der Lage, sich zu wehren. Deshalb muss der Strafbestand der Vergewaltigung neu definiert werden: Eine Vergewaltigung liegt dann vor, wenn das Opfer nicht klar eingewilligt hat.» Barbara Streit-Stettler, Grossrätin Bern, EVP

«Sexuelle Handlungen gegen den Willen einer Person darf das Strafrecht nicht tolerieren. Das veraltete Sittenbild muss aus dem Recht entfernt werden.» Kathrin Bertschy, Nationalrätin, GLP

«Das Sexualstrafrecht soll die persönliche Integrität umfassend schützen. Nur Ja heisst Ja.» Sabine Sutter, Präsidentin, CVP Frauen Aargau

«Nur 8 Prozent der Frauen, die vergewaltigt werden, zeigen die Tat an. Das zeugt vom Misstrauen der Frauen in das Justizsystem und in das Gesetz im Bereich des Sexualstrafrechts. Es ist unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass dieses Vertrauen steigt. Das geht nur mit einer Zustimmungslösung.» Tamara Funiciello, Nationalrätin, SP

«Trans Menschen sind übermässig von sexualisierter Gewalt betroffen. Auch sie brauchen Schutz und Unterstützung, nicht ein Strafgericht, das ihr Geschlecht verhandelt.» Alecs Recher, Leitung Rechtsberatung, Transgender Network Switzerland

«Sexuelle Beziehungen basieren auf gegenseitigem Einverständnis. Das ist ein Grundsatz, der allen einleuchtet und den auch Schüler*innen im Sexualaufklärungsunterreicht vehement vertreten und einfordern. Die Gesellschaft ist in ihrem Verständnis bereits viel weiter als die Rechtsgrundlage. Daher ist der Schritt der Schweiz zu einem zeitgemässen Sexualstrafrecht überfällig!» Barbara Berger, Geschäftsleiterin Sexuelle Gesundheit Schweiz

«Das fehlende Zustimmungsprinzip bei Sexualdelikten widerspricht einem grundlegenden liberalen Verständnis von sexueller Selbstbestimmung, persönlicher Freiheit und Menschenwürde. So liegt das grundlegende Unrecht einer Vergewaltigung in der Verletzung des Selbstbestimmungsrechts. Unabhängig von Geschlecht und Penetrationsmittel ist daher jegliche anale, orale und vaginale Penetration, bei der die Zustimmung dazu fehlt, als Vergewaltigung anzuerkennen.» Natasha Rössli, Mitglied Sexualstrafrechtsteam, Operation Libero

«Erstarrung und Todesangst können Gründe sein, dass eine Person, die vergewaltigt wird, nicht in der Lage ist sich physisch gegen die erlebte Gewalt zu wehren – davon berichten zahlreiche Betroffene. Eine Vergewaltigung dann nicht als solche anzuerkennen ist absurd. Allerdings geschieht genau das im aktuellen Sexualstrafrecht. Eine zusätzliche Pein für Betroffene und häufiger Grund, dass Sexualdelikte nicht angezeigt werden. Die Revision soll dies ändern.» Salome Gloor, Opferberaterin, Beratungsstelle Frauen-Nottelefon Winterthur

«Für Betroffene sexueller Gewalt, die in eine Schockstarre verfallen, gibt es nur eine Möglichkeit Gerechtigkeit zu erhalten: mit einer Zustimmungslösung im Sexualstrafrecht.» Morena Diaz, Betroffene Sexueller Gewalt

«Sexualität muss auf Einverständnis beruhen. Das wird auch von der Istanbul-Konvention gefordert und muss in unserem Sexualstrafrecht umgesetzt werden.» Anna-Béatrice Schmaltz, Mitkoordinatorin NGO-Netzwerk Istanbul-Konvention

Weitere Informationen: https://www.amnesty.ch/de/ueber-amnesty/veranstaltungen/2021/open-mic

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