Jung, schwarz, schwul: Rapper «Lil Nas X» tanzt vom Paradies in die Hölle

Der US-Rapper «Lil Nas X» zählt zu den aktuell kontroversesten Künstlern. Als Sohn eines Gospelsängers haderte er mit seinem Schwulsein. Heute spielt er mit Motiven zwischen Christentum und Satanismus. Dazu gehören 666 Schuhpaare mit angeblichem Menschenblut – und das Lukas-Evangelium.

Christiane Wohlhaupter

Im Sommer 2019 schwamm «Lil Nas X» mit seinem Song «Old Town Road» auf der Erfolgswelle. Die nutzte er für sein Outing, was in der afroamerikanischen Rapperszene immer noch einem Tabubruch gleichkommt. Zwei Jahre später tanzt der Sohn eines Gospelsängers in seinen Videos mit Satan und nackten Knackis.

Der Vater ist stolz auf seinen Sohn

Was anfangs schwierig aussah, endete mit einem Happy End: «Lebe das Leben nach deinen Überzeugungen. [Ich bin] sehr STOLZ auf dich», lautet die Nachricht von Robert Stafford an seinen Sohn Montero Lamar Hill am 26. März 2021. Dieser, besser bekannt unter dem Künstlernamen «Lil Nas X», hatte eben ein neues, kontroverses Musikvideo veröffentlicht: «Montero (Call Me by Your Name)».

In dem Video begibt sich der junge Afroamerikaner zielstrebig zum Teufel, den er mit vollem Körpereinsatz zu verführen versucht.

Mit Reizen wird da nicht gegeizt: «Lil Nas X» ist 1,85 Meter gross, 75 Kilogramm leicht und oft auch nur leicht bekleidet: in enger Boxershort mit Lackstiefeln, die übers Knie reichen, mit mehreren Halsketten und einer Perücke mit feuerroten Zöpfen.

In dieser Aufmachung räkelt er sich auf dem stoisch dreinblickenden Teufel, um ihm zum Schluss das Genick zu brechen und die Hörner abzunehmen.

Dabei hatte alles so pastellfarben angefangen: In einem bunten, paradiesisch anmutenden Garten lehnt «Lil Nas X» mit einer pinken Gitarre an einem Baum und singt. Doch schon bald kann er der Verführung der Schlange nicht mehr widerstehen und rauscht ein paar Szenen später an einer langen Rutschstange enthusiastisch in die Hölle hinab.

Der Aufschrei in konservativen US-Kreisen war gross. Nicht zuletzt auch, weil «Little Nas X» gemeinsam mit dem Künstlerkollektiv «MSCHF» den Verkauf von «Satan Shoes» startete: den Schuhen, die der Teufel im «Montero»-Video trägt.

Bei diesen handelte es sich um ein nicht-autorisiertes Sondermodell von «Nike Air Max 97»: in schwarz gehalten, mit in die Schnürsenkel eingefädeltem Pentagramm-Anhänger und angeblich einem Tropfen menschlichen Bluts in der Sohle.

666 Exemplare: Satanistische Schuhe?

Ausserdem verwies ein Aufdruck auf der Seite auf das Lukas-Evangelium: «Ich sah den Satan wie einen Blitz aus dem Himmel fallen.» Angelehnt an Lk 10,18 dürfte wahrscheinlich auch der Preis von 1018 US-Dollar zustande gekommen sein.

Eines der 666 Paare – die Johannes-Offenbarung lässt grüssen – ist an den Füssen von Sängerin Miley Cyrus (»Wrecking Ball», «Party in the U.S.A.») gelandet, die sie in einer Fotoserie auf Instagram präsentiert.

Nike wehrt sich gegen Verletzung des Markenrechts

Sportartikelhersteller Nike ging gerichtlich gegen «MSCHF» und die nicht-gebilligte Verwendung der Markenzeichen vor. Der Unmut über die Schuhe hatte sich durchaus auch an Nike gerichtet, wie sich beispielsweise im Tweet eines früheren Basketballspielers zeigt:   

«Meine Kinder werden nie wieder «Old Town Road» abspielen. Ob ich nach dieser Aktion jemals wieder Nike tragen werde, muss ich mir noch überlegen. Ernsthaft Nike? Ein Tropfen Blut?»

«Old Town Road» war der grosse Durchbruch für «Lil Nas X». Auf der Suche nach Erfolg kombinierte er Country mit Trap und lieferte einen eingängigen wie erfolgreichen Ohrwurm ab.

Die Billboard-Country-Charts sind die tonangebenden Charts in diesem Genre. Kurz bevor er hier die Spitzenposition erreichte, stuften die Verantwortlichen den Song als «nicht Country» genug ein.

Manch einer witterte rassistische Motive hinter der Entscheidung. Aber «Lil Nas X» wusste sich zu helfen. Mit der Unterstützung von Country-Sänger Billy Ray Cyrus (»Achy Breaky Heart») entstand 2019 ein Remix, der die Anforderungen erfüllte und den Erfolg des Songs manifestierte.

Zeitreise vom Jahr 1889 ins Jahr 2019

2020 heimste «Lil Nas X» zwei Grammys für «Old Town Road» ein. Lediglich in der Kategorie «Aufnahme des Jahres» (»Record of the Year») musste er hinter Billie Eilishs «Bad Guy» zurückstecken. Aber für die Kategorien «Beste Popdarbietung eines Duos oder einer Gruppe» (»Best Pop Duo/Group Performance») und «Bestes Musikvideo» (»Best Music Video») konnte er die prestigeträchtigen Auszeichnungen verbuchen. 

Verdientermassen, denn das Musikvideo nimmt die Zuschauer in fünf Minuten mit auf eine abenteuerliche Zeitreise vom Jahr 1889 ins Jahr 2019. Zunächst trägt «Lil Nas X» in seiner ledernen Cowboy-Aufmachung noch einen Kreuzanhänger im linken Ohr. Als er die Kluft gegen ein farbenfroheres, verspielteres Outfit tauscht, wird auch der Ohrschmuck glitzernder.

Online veröffentlichte «Lil Nas X» jüngst einen Brief, den er rückblickend an sein 20-jähriges Selbst richtet – auf der Höhe des Erfolgs mit «Old Town Road»: «Ich weiss, manchmal glaubst du, dass es von jetzt an bergab geht. Ich weiss, deine Sexualität lässt dich wie ein Aussenseiter unter deinen Altersgenossen erscheinen. […] Ich weiss, wenn du die Bezeichnung ‹One Hit Wonder› ein weiteres Mal hörst, könntest du verbrennen. Aber du musst weitermachen. Du musst erkennen, dass du die Gelegenheit hast, die Person zu sein, die ich brauchte, als ich aufgewachsen bin. Du musst aufhören, dich selbst zu bemitleiden. Du musst dich dran erinnern, dass die einzige Person, die an dich glauben muss, DU bist.»

Und nach diesem Prinzip scheint Montero Lamar Hill tatsächlich gehandelt zu haben. Seinen Namen verdankt er übrigens dem Wunsch seiner Mutter nach einem Mitsubishi Montero (auf dem europäischen Markt als Mitsubishi Pajero bekannt), wie er der «New York Times» mitteilte.

Scheidungskind – erst bei der Mutter, dann beim Vater

Als er sechs Jahre alt war, trennten sich seine Eltern. Zunächst lebten er und seine vier Geschwister bei der Mutter. Nach einem Sorgerechtsstreit landeten er und seine Brüder schliesslich beim Vater.

Lange habe er mit seiner Homosexualität gehadert, berichtete er in einem Interview mit dem «Time» Magazin: Christlich aufgewachsen sei ihm seit jungen Jahren vermittelt worden, dass Schwulsein nie okay sei. Mit 14 Jahren habe er sich vorgenommen, das Geheimnis seiner Sexualität mit ins Grab zu nehmen, schreibt er auf «Instagram».

«Will dich nicht der Teufel in Versuchung führen?»

«Ich habe sogar gedacht: Wenn ich diese Gefühle habe, dann ist das eine Prüfung. Eine vorübergehende Prüfung. Es wird vorübergehen. Gott führt mich nur in Versuchung», erklärte er seine Gedankengänge aus dieser Zeit dem britischen Magazin «GQ».

Als er sich dann vor seiner Familie outete, war die erste Reaktion des Vaters. «Will dich nicht der Teufel in Versuchung führen?» Inzwischen scheint der Vater seine Meinung geändert zu haben, wie die bestärkende Nachricht eingangs des Texts beweist.

Vorbild für andere?

Das Versteckspiel ist also vorbei. «Das wird anderen queeren Menschen die Tür öffnen, einfach zu existieren», schreibt «Lil Nas X» auf «Instagram».

Und auch die Worte, die den Song «Montero (Call Me by Your Name)» einleiten, spiegeln diese Überzeugung wider: «Im Leben verstecken wir die Teile von uns, von denen wir nicht wollen, dass die Welt sie sieht. Wir verleugnen sie, wir verbannen sie. Aber hier tun wir das nicht. Willkommen in Montero.» Inzwischen ist es das meistgehasste Video auf YouTube. Mehr als eine Million Mal hat es den «Daumen nach unten» erhalten – häufiger als jedes andere Video auf der Plattform. Auch das ist eine Leistung.

Lil Nas X nimmt es mit Fassung und zeigt in seinen Tweets die von ihm empfundene Doppelmoral mit problematischen Vergleichen auf: «Ihr sagt, die Endzeit sei angebrochen, wenn ein schwuler N**** auf einem CGI-Satan twerkt – als ob es den Holocaust und Sklaverei nicht gegeben hätte.»

CGI steht für Computer Generated Imagery, also am Computer generiertes 3D-Bildmaterial. CGI kam beispielsweise für die Figur des Gollum in der «Herr der Ringe»-Reihe zum Einsatz – und eben auch für den Satan im «Montero»-Video. Twerking meint kreisende, ruckartige Hüft- und Beckenbewegungen. «Lil Nas X» spielt auf die lasziven Szenen mit dem Teufel an – und weist die Kritik zurück.

Lasziv durchs Gefängnis: Nude is the new orange!

Der Rapper findet, dass die Pandemie oder die anhaltenden Amokläufe in den USA mehr Aufmerksamkeit verdient hätten als er. Um sich an die eigene Nase zu packen, setzt er sich für sozialen Wandel ein. Mit seinem aktuellen Video «Industry Baby» ruft er für Spenden für das «Bail Project» auf.

Es unterstützt verhaftete Menschen dabei, mit einer Kaution auf freien Fuss zu kommen und die Zeit bis zur Verhandlung nicht in Haft verbringen zu müssen. Die Aufregung ist auch bei diesem Video gross: «Lil Nas X» tanzt lasziv durchs Gefängnis – diesmal nicht allein, sondern mit Gefängnisinsassen, die mal pinke Overalls tragen, mal gar nichts. Nude is the new orange!

Manche Kritiker stören sich daran, dass «Lil Nas X» weisser Musik-Partner bei diesem Song, Jack Harlow, eine von ihnen als heteronormativ empfundene Figur übernehmen darf. Er wird nicht so wie «Lil Nas X» in der Gemeinschaftsdusche mit anderen Gefangenen gezeigt, sondern beim Schäferstündchen mit einer Gefängniswärterin.

«Lil Nas X» nimmt diese Kritik mit Augenzwinkern: «Einige von euch sind gar nicht wütend, dass ich schwul bin, sondern dass ich schwul und trotzdem erfolgreich bin!»

An welchem neuen Song «Lil Nas X» gerade arbeitet, ist nicht bekannt. Aber zwischen Selbstverwirklichung und Provokation wird sich sicher etwas finden lassen.


Mit diesem Hit tanzt die Welt ins himmlische Jerusalem

Kirche Schweiz – katholisch, aktuell, relevant

https://www.kath.ch/newsd/jung-schwarz-schwul-rapper-lil-nas-x-tanzt-vom-paradies-in-die-hoelle/